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Kaum jemandem käme es in den Sinn, die Frage «Wie schmeckts?» beim Wort zu nehmen und seine Geschmacksempfindungen ausführlich zu beschreiben. Es fehlt uns nicht nur das Vokabular dazu, sondern es ist im Alltag auch nicht nötig. Eine Kostprobe erklärt meist mehr als viele Worte.
Es gibt aber Industriezweige, für die es sehr wichtig ist, die richtigen Worte für einen Geschmack oder einen Geruch zu finden. Lebensmittel werden über Wort und Bild den Konsument/innen schmackhaft gemacht, auch Düfte von Parfums oder Deodorants werden beschrieben. Darin hat die Werbebranche eine lange Tradition. Sprachwissenschaftliche Untersuchungen von beschriebenen Sinneswahrnehmungen hingegen sind bislang rar.
Dass die Wissenschaft sich auch mit subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen befasse, begrüsste Rektor Hans Weder, als er die Tagung «Semantik der Sinne» am Deutschen Seminar eröffnete. In seiner eigenen Forschungstätigkeit habe er beobachtet, wie sich die sinnliche Dimension eines Textes bei seiner seitenlangen Auslegung verflüchtige. Gleichzeitig betonte er, dass die Wissenschaft aber auch die Möglichkeit habe, ihrem Hang zur Abstraktion ins Auge zu blicken und helfen könne zu entdecken, was sinnliche Erfahrungen bedeuten. In diesem Sinne gratulierte er den Organisator/innen der interdisziplinären Tagung zu ihrem «wissenschaftlichen Abenteuer».
Die Tagungwar Abschluss und zugleich Höhepunkt einer Zusammenarbeit von Sprachwissenschaftler/innen an der Universität und Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaftler/innen der ETH Zürich. Den Anstoss gab eine Doktorarbeit über die Lagerung von Äpfeln, wie ETH-Professor Felix Escher erzählte. Dabei hatte sich gezeigt, dass die Frischhaltung von Äpfeln nicht nur ein physikalischesProblem, sondern auch ein begriffliches ist. Denn was ist mit der Rede von «frisch» eigentlich gemeint? Er wandte sich an die Linguistikprofessorin Angelika Linke, die sich für das Thema interessierte und ein Seminar zum Problem der Versprachlichung von Sinneswahrnehmungen organisierte. «Man muss lange reden, bis man merkt, dass man sich nicht versteht», kommentierte Linke scherzhaft die «anregende, aber nicht immer einfache interdisziplinäre Zusammenarbeit».
Rund um das Thema der Sinneswahrnehmungen führten die Studierenden verschiedene Forschungsarbeiten durch. Esther Galliker befasste sich in ihrer Lizenziatsarbeit mit «Frische», Geschmacks- und Geruchsausdrücken in der Zeitschriftenwerbung ab 1931. Anhand von Werbungen in «Annabelle» und «Beobachter» zeigte sie sprachliche Veränderungen auf, die auf kulturelle Veränderungen hindeuten. Während sich bis in die Sechzigerjahre Deodorant-Werbung finden lässt, die auf schlechten Körpergeruch bei Männern Bezug nimmt, verwenden die Werber/innen in späterer Zeit nur noch positive Ausdrücke. «Duft» löste «Geruch» ab; entsprechend wurde das Deodorant vom Geruchsvertilger zum Duftspender.
«Frisch» sei die Werbe-Ikone für industriell verarbeitete Lebensmittel, berichtete Galliker weiter. Eine Instant-Ovomaltine warb etwa mit seinem Bestandteil an «Frischmilch», Tütensuppen mit «gartenfrischen» Kräutern und eine Pizzawerbung aus dem Jahre 2003 mit dem Slogan «Frisch aus dem Tiefkühlfach». Der Begriff «Frische» werde zunehmend abstrakter verwendet. Gleichzeitig beeinflusse Werbung die Wahrnehmung von «Frische». Es habe sich zum Beispiel in Befragungen gezeigt, dass ältere Menschen «Frische» eher auf die Haltbarkeitsaspekte eines Lebensmittels beziehen – so können Ananas in der Konserve durchaus als frisch gelten –, während jüngere Menschen die Frische eines Produktes vielmehr nach dessen sensorischen Qualitäten beurteilen.
Der Begriff «frisch» erwies sich auch aufgrund weiterer Untersuchungen, etwa Befragungen von Fokusgruppen, als vage und schillernd. Im Plenum führte er zu kontroversen Diskussionen, worin die unterschiedlichen linguistischen Schulen der Schweizer und der deutschen Forschenden zum Ausdruck kamen – der situativ-pragmatische Ansatz gegenüber dem semantischen, der Wortbedeutungen einzelner Wörter und Wortfelder untersucht.
Noch vielfältiger wurde die Diskussion an der Tagung durch Vertreter/innen aus der Wirtschaft. Beim Aromen- und Dufthersteller Givaudan Schweiz ist die Verständigung über Gerüche und Geschmäcker eine Voraussetzung für das Geschäft. In einem Vortrag und während der Postersession präsentierten Givaudan-Vertreter/innen ein eigens entwickeltes standardisiertes Duftlexikon. Darin sind 135 Duft- oder Geschmacksrichtungen enthalten, zum Beispiel Vanille, die durch zehn bis zwanzig Attribute beschrieben wird; zu jeder Beschreibung gibt es ein Fläschchen mit einer Duftreferenz. Damit haben die Sensorikforscher/innen im Prinzip eine Kunstsprache geschaffen. Das Duftlexikon funktioniert indessen nur unter geschulten Leuten. Würde man aber zum Beispiel einen bestimmten Duft oder Geschmack unter die Konsument/innen eines anderen kulturellen Raumes bringen, sei es in Asien oder in Afrika, dürfte die kulturell bedingte, andersartige Versprachlichung von Sinneswahrnehmungen Probleme schaffen.
Auf der industriellen Seite ist deshalb das Interesse für die Sprachforschung erwacht. Die Linguistin Angelika Linke beobachtet das gelassen: «Der lingustic turnist wohl endlich auch ausserhalb unserer Wissenschaft angekommen. Dass Sprache nicht nur Medium ist, sondern selber Botschaften vermittelt und das Denken beeinflusst, wissen wir schon lange.»