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Wilde Tiere hatten auf Simon Rüegg schon immer eine magische Wirkung. Als der junge Tierarzt vor rund drei Jahren angefragt wurde, ob er im Rahmen einer Doktorarbeit die Todesursachen bei ausgewilderten Przewalskipferden untersuchen wolle, musste er sich darum die Antwort nicht zweimal überlegen. Bereits kurze Zeit später befand er sich auf dem Weg in die Mongolei, der Heimat der letzten Wildpferde.
Przewalskipferde sind die einzigen, noch lebenden Urahnen unser Hauspferde. Ihren Namen verdanken sie ihrem Entdecker, dem russischen General Nikolai Przewalski. Bereits zu prähistorischen Zeiten galoppierten die ungestümen Wildpferde durch die asiatische Steppenlandschaft. Heute sind sie nur noch in Zoos anzutreffen. Mitte der 1970er-Jahre wurde das letzte freilebende Przewalskipferd getötet.
Die wenigen Exemplare, welche in Menschenobhut überlebten, sind die Hoffnung einer internationalen Gruppe von Pferdefreunden. Privatpersonen und Tierärzte, aber auch Tierparks, haben sich in der Takhi-Stiftung zusammengeschlossen, um sich gemeinsam dafür einzusetzen, dass Przewalskipferde wieder in ihrer ursprünglichen Heimat - der Wüste Gobi - angesiedelt werden. Um dieses Ziel zu erreichen, organisiert die Takhi-Stiftung in regelmässigen Abständen die Rückführung von in Gefangenschaft geborenen Pferden in die Mongolei.
Obwohl die aus Europa stammenden Pferde schrittweise auf das harte Leben in der Steppe vorbereitet werden, scheint ihnen die neu gewonnene Freiheit allerdings nicht immer zu bekommen. Wie Untersuchungen an vor Ort gefundenen Kadavern zeigten, machen den Wildpferden vor allem Piroplasmen - Blutparasiten - zu schaffen. Für Pferde, die über ihre ganze Körperkraft verfügen, sind diese Parasiten in der Regel ungefährlich. Durch die Auswilderung in die rauhe Landschaft müssen die Przewalskipferde aber bereits verschiedene andere Stressfaktoren bewältigen. Dadurch sind sie doppelt anfällig. Eine Infektion mit Piroplasmen kann dann leicht zum Tod führen.
In seiner Doktorarbeit konnte Simon Rüegg die Vermutung bestätigen, dass die Piroplasmose am Auswilderungsort endemisch, das heisst örtlich begrenzt vorkommt. Ein gewisser Teil der wilden Pferde, aber auch ein Teil der Hauspferde von mongolischen Nomaden ist also ständig mit dem Krankheitserreger infiziert. Für dieses Resultat reiste der Tierarzt während sechs Monaten mit einem Geländewagen durch die Wüste Gobi, um Pferdeblut und Zecken zu sammeln. Angesichts der vielen verschiedenen Zecken, die in der mongolischen Steppenlandschaft vorkommen, war Rüegg ziemlich erstaunt, dass er nur eine einzige Art, nämlich Dermacentor nuttalli, auf den Pferden fand. «Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass diese Zeckenart für die Übertragung der Blutparasiten verantwortlich ist», erklärt Rüegg.
Damit konnte der Tierarzt bereits die Fragestellung seiner Dissertation beantworten, der Wissensdurst des jungen Forschers war aber noch lange nicht gelöscht: «Auf der Suche nach Massnahmen zur Vorbeugung von Piroplasmose wurde mir bewusst, wie komplex die ganze Geschichte ist und wie wenig man über die Vorgänge weiss, die an der Übertragung der Krankheit durch Zecken beteiligt sind.»
Für den jungen Forscher war es unter solchen Umständen unmöglich, das Kapitel Piroplasmose abzuschliessen. Kurzerhand entschloss sich der frischgebackene Doktor der veterinär-medizinischen Fakultät der Universität Bern darum für eine zweite Dissertation, diesmal am Institut für Parasitologie der Universität Zürich. Sein Beitragsgesuch beim «Forschungskredit 2003» wurde ohne Umschweife gutgeheissen. Kurz darauf zog er mit seinen sieben Sachen nach Zürich.
Nun will der Doktorand erst einmal den wissenschaftlichen Nachweis erbringen, dass die Zecke Dermacentor nuttallitatsächlich die Überträgerin der krankheitserregenden Piroplasmen ist. Im Mittelpunkt seiner Dissertation wird aber die Entwicklung mathematischer Modelle stehen. Diese sollen dazu beitragen, die Dynamik der Piroplasmose und die Vorgänge bei der Übertragung dieser Infektionskrankheit besser zu verstehen.
«Was die Erforschung dieser Krankheit so verwickelt macht, sind die vielen verschiedenen Parameter, die direkt oder indirekt die Verbreitung der Blutparasiten beeinflussen», erklärt Rüegg. Dies liegt nicht zuletzt an der Zecke Dermacentor nuttalliselber, die in ihrer Wachstumsphase an verschiedenen Tierarten saugt. Als junge Zecke im Larven- und Nymphestadium befällt Dermacentor nuttallials Parasit ausschliesslich Kleinsäuger, zum Beispiel Mäuse oder Marder. Pferdeblut saugt sie erst, wenn sie ausgewachsen ist. Aber auch dann scheint die Zecke einen abwechslungsreichen Ernährungsplan zu schätzen. Laut Rüegg sitzen die erwachsenen Blutsauger auf verschiedenen Wirtstieren, wobei neben den Wildpferden auch das Vieh und die Hauspferde der mongolischen Nomaden zu den unfreiwilligen Gastgebern zählen.
Dass neben diesen unzähligen biologischen auch noch verschiedene abiotische Parameter - wie zum Beispiel Temperatur oder relative Luftfeuchtigkeit - berücksichtigt werden müssen, macht die Modellberechnungen erst recht kompliziert. Simon Rüegg begegnet dieser Herausforderung allerdings mit Gelassenheit. Einstweilen freut er sich auf das Sammeln weiterer Rohdaten. Denn dazu wird der Tierarzt schon im März wieder in die Wüste Gobi reisen.