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Um Sensibilisierung solle es vor allem gehen, leitete Gerd Folkers, Pharmazieprofessor und designierter Leiter des Collegium Helveticums, den Debattierabend zu Forschungskooperationen mit der Wirtschaft ein. Zwischen den Stuhlreihen des Audimax wandelnd zitierte er ein wissenschaftliches Werk aus dem Jahr 1926. Darin hiess es, dass unmässiger Tabakgenuss für die Lungen gar nicht so schädlich sei, sondern eher die Nerven etwas beanspruche. - Der Autor hatte sein Buch der Zigarettenherstellerin Reemtsma AG gewidmet.
Derart tendenziös gestalten sich heutzutage die Beziehungen zwischen akademisch Forschenden und Wirtschaftsunternehmen kaum mehr. Regelwerke zur gegenseitigen Absicherung werden entworfen und eingehalten. «Drittmittel» sind an Hochschulen zum verheissungsvollen Zauberwort geworden angesichts immer kostspieligerer Forschungsprojekte und austrocknenden öffentlichen Quellen. Gleichzeitig sehen sich allerdings die Forschenden an Hochschulen und Universitäten gezwungen, den Verdacht auf Auftragsforschung zu entkräften.
Präkompetitive Forschung sei eine Möglichkeit, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten und dennoch frei zu forschen. Dies war die zentrale Aussage des Belgiers Paul Embrechts, der an der ETH Mathematik lehrt. Er hat vor neun Jahren das «RiskLab» aufgebaut, in dem zu Risikomanagement geforscht wird und das eine gemeinsame Plattform von Forschenden von ETH, Credit Suisse, SwissRe sowie UBS darstellt. Alle Forschungsergebnisse werden sofort auf dem Internet publiziert und sind somit frei zugänglich. Da Forschungsarbeiten sich auf einer noch wettbewerbsfreien Stufe abspielen, ist das möglich. Embrechts sprach in den höchsten Tönen von der Zusammenarbeit mit den Unternehmen. Gewisse Fragestellungen bräuchten das gemeinsame Denken verschiedener Akteure. Selbst in der jetzigen Situation, wo Banken und Rückversicherung nicht mehr wie bisher eine Million Franken jährlich zahlen können, halten beide Seiten an der Zusammenarbeit fest.
Gleichermassen positiv steht Martin Schwab, Professor für Neurowissenschaften an der Universität Zürich, Forschungskooperationen gegenüber. In Europa ortete er in diesem Zusammenhang gravierende Mängel und Verspätungen gegenüber den USA. Forschung und deren Anwendung würden zu strikt getrennt, was er auf historische Entwicklungen zurückführte. Universitäten und Wirtschaft hätten vor allem ein Kommunikationsproblem, so die These des Neurobiologen. Wenn Ausbildung und Bedarf so schlecht aufeinander abgestimmt seien, dürfe man sich auch nicht wundern, wenn Konzerne wie Novartis ihre Forschungsinstitutionen in der Nähe von amerikanischen Spitzenuniversitäten aufbauen, meinte Schwab, der selber ein Projekt mit finanzieller Unterstützung von Novartis durchführt. Den Vorwurf, solche Kooperationen seien im Grunde Auftragsforschung, liess er keineswegs gelten. Zumal Universität und ETH Zürich einen Dachvertrag abgeschlossen hätten, der die Forschungsfreiheit sicherstelle. Aufgrund dieses Vertrages könnten innerhalb kürzester Zeit und völlig unbürokratisch neue Projekte gestartet werden. Die Rechte an entwickelten Patenten liegen bei Uni und ETH, Novartis habe lediglich die Vorkaufsrechte. Neben der Forschung gehöre auch ein gewisser Ausbildungsanteil zur Vereinbarung mit dem Pharmariesen, ergänzte Schwab. So würden Workshops veranstaltet, die auch den Studierenden zugute kommen.
Einen eigenwilligen, weil nicht recht zum Thema des Abends passen wollenden Beitrag steuerte der Berner Professor und Direktor des dortigen Botanischen Gartens Klaus Ammann bei. Jeder Forschung seien kulturelle und historische Grenzen gesetzt, so dass sie ohnehin nie ganz frei sein könne. Ammanns wichtigstes Anliegen war in der Diskussion, darauf hinzuweisen, dass die Wissenschaften sich stärker um ihre sozio-ökonomischen Folgen kümmern müssten. Als aktuelles Beispiel führte er die Entwicklungen in der Biologie und im Besonderen die Gentech-Debatte an. Die Biologie habe ihre Unschuld verloren, und darum sollte man auch ihren Freiraum einschränken.
Einspruch in die Diskussion erhob bei aller Einigkeit der Referenten der Wissenschaftsjournalist Felix Würsten. Er wollte von den Rednern wissen, wie es denn um die klassischen Fächer an der ETH bestellt sei. Da diese, etwa das Bauingenieurswesen, nicht so trendig sind wie die Risikoforschung oder die Neurowissenschaften, sei es für diese Fächern viel schwieriger, Drittmittel von der Industrie zu bekommen. Diese Frage blieb allerdings im Raum stehen. Auf Würstens weitere Frage, wie stark denn nun tatsächlich der Anpassungsdruck auf die Wissenschaftler von Seiten der Industrie sei, antwortete indessen Martin Schwab. Dabei führte er das Beispiel von Vertragsverhandlungen an, aus denen Forschende sich zurückgezogen hätten, weil der Druck in Richtung Auftragsforschung zu gross gewesen sei. Generell würden die Forschenden, so Schwab, sich den Bedingungen der Industrie sehr wenig beugen.
Während Gerd Folkers den Abend erheiternd und geistreich moderierte, wäre neben dem Aufzählen von positiven Beispielen für Forschungskooperationen noch eine stärkere und vor allem kritischere Reflexion des Themas zu wünschen gewesen. In Ansätzen hatte dies Georg Kohler, Professor für politischen Philosophie an der Universität Zürich, unternommen. Er schlug zu Beginn des Abends zur Konzeptualisierung des Problems die Parabel vom Hasen und dem Igel vor. Die weisen Igel wären demnach die kompromisslosen Verfechter forscherischer Freiheit und die einsichtigen Hasen die pragmatischen Kritiker des zu wenig an wissenschaftlich-technischer Innovation interessierten universitären Betriebs. Die Ironie des Abends bestand nun nicht nur darin, dass Professor Kohler ein hinsichtlich Drittmitteln besonders «untrendiges» Fach vertritt, sondern dass die Hasen dem Igel in dieser Veranstaltung immer ein Stück voraus waren.