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Unipublic: Welche Art von Sendungen haben Sie analysiert?
Martin Luginbühl: Unsere Idee war, Informationssendungen des Deutschschweizer Fernsehens zu untersuchen, mit Schwerpunkt auf der Tagesschau. Das Archiv des Schweizer Fernsehens ist aber lückenhaft, weshalb wir zum Beispiel auch «Schweiz Aktuell» und die «Rundschau» hinzunahmen. Ein anderer Grund für die Erweiterung war, dass uns der ganze mediale Diskurs über die Schweizer Ausländerpolitik interessierte.
Welchen Zeitraum haben Sie erforscht?
Wir haben Sendungen von 1957 bis 1999 untersucht und uns dabei auf zentrale Themen beschränkt: etwa auf die Flüchtlingsthematik, in neuerer Zeit auch Gesetzgebungsprozesse und Abstimmungen, etwa jene über die so genannte Schwarzenbach-Initiative.
Sie arbeiten mit dem Begriff des narrativen Musters. Was verstehen Sie darunter?
Fernsehnachrichten versteht man besser, wenn man sie als Erzählungen versteht. Die Tagesschau kaschiert allerdings das Erzählen und inszeniert sich als neutrale Berichterstattung. Der Moderator zum Beispiel tritt beinahe als allwissende Figur auf. Dass erzählt wird, möchte ich nicht negativ werten, aber das Fernsehen, wie andere Medien auch, konstruiert dabei eine bestimmte Wirklichkeit.
Welche narrativen Muster haben Sie gefunden?
Es gibt Deutungsmuster, die Ereignisse interpretieren: Die Ungarnflüchtlinge etwa werden konsequent als junge, ehrliche und bescheidene Menschen vorgeführt, die glücklich sind, in die Schweiz zu kommen. Das ändert sich später: Die Kosovoflüchtlinge werden häufig als «Flut» oder als «Heer» dargestellt, was impliziert, dass man einen Damm dagegen errichten muss. Neben Deutungsmustern gibt es auch Stilmuster. So werden am Fernsehen etwa in personalisierendem Stil Einzelschicksale gezeigt.
Werden die Zuschauer dadurch manipuliert?
Medien konstruierenimmer Realität, zur objektiven haben wir keinen direkten Zugang. Fernsehnachrichten tun aber immer so, als ob sie die Realität massstabsgetreu wiedergeben würden. Ich spreche aber lieber nicht von Manipulation, da dies den Vorwurf einer unzulässigen Veränderung beinhaltet. Ich spreche lieber wertfrei von Konstruktion, denn Medien gestalten ja in jedem Fall.
Aber Deutungsmuster wie «Heer» und «Flut» sind doch problematisch.
Bei solchen Mustern kann man sich fragen, ob die Macher sich bewusst sind, dass sie diese gängigen Metaphern verwenden. Ich möchte ihnen nicht böse Absichten unterstellen, aber man kann zumindest kritisieren, dass das, was die Metaphern implizieren, in den Sendungen nicht kritisch reflektiert wird.
Haben Sie das Zusammenspiel von Sprache und Bild analysiert?
Die Medienlinguistik geht von einem weiten Textbegriff aus, der Ton und Bild einschliesst. Bezüglich der Flüchtlingsthematik werden häufig Aufnahmen gezeigt, auf denen sich die Flüchtlinge hinter Zäunen oder Mauern befinden - wie eine zurückgestaute Flut. Häufig ist auch, dass man diese Flüchtlinge im Kontext von Verbotsschildern filmt. Eine Ausnahme bilden die Ungarnflüchtlinge, die meist beim Lernen gezeigt wurden.
Sie haben auch die Rolle von politischen und ökonomischen Akteuren untersucht. Auf welche Resultate sind Sie gekommen?
Ökonomische Akteure spielten nur im Zusammenhang mit den so genannten sechs Überfremdungsinitiativen eine Rolle. Anfangs, bei den Tibet- oder Ungarnflüchtlingen zum Beispiel, wurden vor allem nicht etablierte politische Akteure gezeigt, Vereine oder Nichtregierungs-Organisationen. Erst ab den späten 60er-Jahren spielen die Parteien eine grössere Rolle.In frühen Sendungen wird der Bundesrat, falls er überhaupt erwähnt wird, explizit gelobt. Man sieht aber höchst selten einen Bundesrat im Bild. Als der gesellschaftliche Konsens in der Ausländerpolitik aufbricht, spiegelt sich dies in den narrativen Mustern: Der Bundesrat ist jetzt eine Konfliktpartei unter anderen und tritt persönlich auf. Ein anderes Phänomen ist, dass bei Gesetzgebungsprozessen die direkt Betroffenen, in diesem Fall die Ausländer, nicht zu Wort kommen.
Machen sich Akteure das Fernsehen zu Nutze?
Diesen Aspekt haben wir nicht untersucht. Ich kann aber sagen, dass Akteure schon lange versuchen, sich medial zu inszenieren. Zum Beispiel machte der Gewerbeverband eine Pressekonferenz in einer Backstube. Ein jüngeres Beispiel ist, wie Ruth Metzler in ein Empfangszentrum geht und sich demselben Prozedere wie ein Flüchtling unterwirft. Die Medien wurden eingeladen und sollten attraktive Bilder liefern. Akteure wissen, dass sie zum Beispiel an Pressekonferenzen einen pointiert formulierten Satz bringen müssen, den man dann gut zitieren kann.
Es stehen National- und Ständeratswahlen an. Sie haben zwar keine Wahlberichterstattung untersucht. Dennoch die Frage: Wirken sich Wahlen auf die Form narrativer Muster aus?
In den von uns untersuchten Beiträgen beziehen Politiker Stellung zu einer Sache. Wenn Politiker in der Öffentlichkeit sprechen, machen sie immer auch Werbung für sich und ihre Partei. Im Wahlkampf wird dann die Selbstdarstellung das primäre Ziel.
Die Untersuchung «Narrative Muster in Fersehberichten über politische und ökonomische Akteure» wurde als Teilprojekt des Schwerpunktprogramms «Zukunft Schweiz» des Nationalfonds gefördert. Eine Publikation der Studie ist beabsichtigt. Harald Burger, Professor am Deutschen Seminar, leitete das Projekt, Mitarbeitende waren Martin Luginbühl und Kathrine Schwab. Die Forschenden sind Mitglieder des Kompetenzzentrums «Globale Informationsgesellschaft» (SwissGIS). Dieses Zentrum wurde 1999 an der Universität Zürich von Wissenschaftler/innen aus Soziolgie, Politologie und Publizistik in Hinblick auf eine Disziplinen übergreifende Forschung gegründet. Die Forschungsvorhaben haben die Informationsgesellschaft Schweiz zum Gegenstand.