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Die klare Zuteilung eines der beiden Geschlechter zu einem Menschen wird in unserer Gesellschaft als selbstverständlich erachtet. Diese Selbstverständlichkeit wird durch transsexuelle Personen in Frage gestellt. Transsexuelle Personen identifizieren sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht, sondern empfinden sich dem Gegengeschlecht zugehörig. Dadurch entstehen für die betroffenen Personen oft grosse soziale Probleme. Aber auch juristisch gesehen wirft Transsexualität viele Fragen auf, da das Geschlecht auch eine rechtliche Relevanz hat.
Die juristischen Problemfelder sind vielfältig: Kann eine transsexuelle Person ihren Namen und Registereintrag ändern? Kann sie im neuen Geschlecht eine Ehe schliessen? Stellt ein Geschlechtswechsel einen Scheidungsgrund dar? Ist Transsexualität ein ausreichender Kündigungsgrund eines Arbeitsverhältnisses? Müssen die Krankenkassen die aufgrund der Transsexualität anfallenden Kosten übernehmen? - In der Schweiz gibt es kein Gesetz, das solche Fragen klären würde. Wer aber entscheidet dann? Und wie wurde bisher entschieden? Diesen und weiteren Fragen geht der Jurist Bernhard Rubin in seiner Dissertation auf den Grund.
Um sich ganz auf die Dissertation konzentrieren zu können, hat Rubin einen Beitrag vom Forschungskredit der Universität Zürich beantragt. Auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht wurde er durch eine Kollegin. Der Forschungskredit ermöglicht es ihm, innerhalb der nächsten eineinhalb Jahre zu promovieren und dadurch in seiner beruflichen Laufbahn zügig einen Schritt weiter zu kommen.
Rubin ist zufällig - durch einen Zeitungsartikel über Roberta Close, ein bekanntes brasilianisches Photomodell - auf das Thema gestossen. Roberta Close war ursprünglich ein Mann; sie lebt in der Schweiz und ist hier als Frau anerkannt und mit einem Schweizer verheiratet. In Brasilien ist sie jedoch weiterhin als Mann registriert, da dort ein Geschlechtswechsel juristisch nicht anerkannt wird. Der Fall Roberta Close hat Rubin motiviert, dieser Problematik näher auf den Grund zu gehen.
Der Schwerpunkt von Rubins Arbeit liegt auf der Darstellung der bis anhin nur am Rande behandelten Rechtslage in der Schweiz. Die Grundlage dafür bilden zirka hundert Urteile von Schweizer Gerichten, die Rubin erhalten und ausgewertet hat. Anhand dieser Daten und durch Kontakte mit Betroffenen und Beratungsstellen kann Rubin die juristischen Probleme, die mit Transsexualität und Geschlechtswechsel zusammenhängen, darstellen und verschiedene Lösungsansätze dazu diskutieren.
Für die Diskussion von Lösungsansätzen vergleicht Rubin die Situation in der Schweiz mit derjenigen in Deutschland, Österreich und Brasilien. Rubin hat Länder mit unterschiedlichen Ansätzen ausgewählt. So hat Deutschland bereits 1980 ein eigenes «Transsexuellengesetz» erlassen, und in Österreich liegt die Zuständigkeit für die Anerkennung eines Geschlechtswechsels bei der Verwaltungsbehörde. In Brasilien ist die rechtliche Anerkennung eines Geschlechtswechsels im allgemeinen nicht möglich.
Von grosser Bedeutung ist auch die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Strassburg (EGMR). Vor kurzem hat der Gerichtshof im Zusammenhang mit Transsexualität und Geschlechtswechsel einen menschenrechtlichen Minimalstandard definiert, der von den Unterzeichnerstaaten des EMRK künftig nicht mehr unterschrittenwerden darf. Die Unterzeichnerstaaten müssen Geschlechtswechsel im eigenen Staat juristisch anerkennen. Des Weiteren haben transsexuelle Personen das Recht, im neuen Geschlecht eine Ehe einzugehen.
In der Schweiz gibt es kein Gesetz in Bezug auf Geschlechtswechsel. Wie aber wird inder Praxis vorgegangen, wenn eine Person einen Geschlechtswechsel und, damit verbunden, einen Namenswechsel anerkennen lassen möchte? Die Rechtsfindung ist in diesen Fällen den Richterinnen und Richtern überlassen. Diese berufen sich auf die wenigen Entscheide, die publiziert sind, und vertrauen im Übrigen auf die medizinischen Gutachten zu den betroffenen Personen. Was bedeutet dies für die Transsexuellen selbst?
Fast alle Fälle, die Rubin bekannt sind, wurden zugunsten der Betroffenen entschieden. Aus Sicht der Betroffenen scheint die Situation in der Schweiz also durchaus positiv zu sein. Trotz dieser Bilanz spürt Rubin eine starke Verunsicherung bei den Transsexuellen. Es ist für Betroffene schwierig herauszufinden, wie sie vorzugehen haben und was sie erwarten können. Und auch den Richterinnen und Richtern stellt sich das Problem, dass äusserst wenig Literatur zur Verfügung steht, weshalb sie vor allem in komplexeren Fällen weitgehend auf ihr eigenes Rechtsempfinden zurückgeworfen werden.
Ob es in der Schweiz ein Gesetz zu Transsexualität geben soll, ist sehr umstritten. Rubin ist jedoch überzeugt, dass eine breitere Diskussion dieses Themas den Betroffenen sowie den Richterinnen und Richtern bereits helfen würde, und er hofft, dass die Publikation seiner Dissertationsarbeit Anstoss und Grundlagedieser vertieften Diskussion in der Schweiz sein wird.