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Digitale Transformation

«Miteinander statt Nebeneinander»

Künstliche Intelligenz und Big Data verändern die Gesellschaft rasant – und mit ihr die Universität und das Studium. Welche Chancen und Herausforderungen damit verbunden sind, erklären Harald Gall, Lena Jäger und Claudia Witt vom Digital Strategy Board der UZH.
Interview: David Werner
«Wir denken in grossen Linien.» Harald Gall, Claudia Witt und Lena Jäger. (Bild: Stefan Walter)

Frau Witt, wie weit blicken Sie voraus, wenn Sie über die digitale Zukunft der UZH diskutieren?
Claudia Witt: Wir spannen weite Horizonte auf und denken in grossen Linien. Wir denken zehn bis fünfzehn Jahre in die Zukunft – um von dort wieder in die Gegenwart zurückzukehren und zu überlegen, wie die UZH im Hier und Jetzt die Weichen stellen sollte. Wenn man immer nur die nächstliegenden Schritte im Auge hat, erkennt man die langfristigen Chancen der technologischen Entwicklung zu wenig.

Frau Jäger, das Digital Strategy Board ist interdisziplinär zusammengesetzt. Was verbindet die Mitglieder dieses Gremiums?
Lena Jäger: Gemeinsam ist uns, dass wir uns im Bereich digitale Technologien, künstliche Intelligenz und Datenwissenschaften gut auskennen, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der innovativen Anwendung. Dass wir aus unterschiedlichen Disziplinen kommen, hilft uns dabei, die Komplexität unserer Aufgabe zu meistern.

Herr Gall, was ist die Aufgabe des Board?
Harald Gall: Wir beraten die Universitätsleitung bei der Umsetzung der Digitalstrategie der UZH, die letztes Jahr lanciert wurde. Unser wichtigster Auftrag ist, jedes Jahr eine Agenda dafür zu erarbeiten, eine «Digital Charter». Die erste Charter wurde im April 2024 von der Universitätsleitung verabschiedet, die folgenden werden darauf aufbauen.

Harald_Gall

Drei Trends haben für die UZH höchste Priorität: KI-Technologien, Secure Computing und Datafication.

Harald Gall
Informatiker

Wie sind Sie bei der Erarbeitung der Agenda vorgegangen?
Gall: Wir haben zuerst den Blick nach aussen gerichtet und eine Analyse der allgemeinen technologischen Trends gemacht. Dabei haben wir uns auf diverse Studien, auf Gespräche mit verschiedenen Expert:innen aus anderen Universitäten und der Wirtschaft sowie auf eine Befragung von Mitarbeitenden und Studierenden der UZH gestützt. Insgesamt haben wir etwa ein Dutzend Trends analysiert, vom Metaverse über virtuelle Realität bis hin zu KI-gestützten autonomen Laborrobotern. Drei dieser Trends haben aus unserer Sicht für die UZH höchste Priorität: erstens die  Entwicklung und Anwendung von KI-Technologien, zweitens Secure Computing und drittens Datafication, also die Aufbereitung, Modellierung und sichere Nutzung grosser Datenmengen. Bezogen auf diese Trends haben wir eine Reihe konkreter Aktionslinien definiert.

Unterscheidet sich dieses Vorgehen von dem anderer Universitäten?
Gall: Unser Ansatz ist vergleichsweise umfassend. Es gibt Universitäten, die konzentrieren sich auf die Digitalisierung von administrativen Abläufen, andere widmen sich vorrangig digitalen Lern- und Lehrformaten, und wieder andere fokussieren technologisch auf die Forschung. Wir nehmen alle universitären Aufgaben – Forschung, Lehre und Services  – zugleich in den Blick.

Warum hat die UZH diesen umfassenden Ansatz gewählt?
Jäger: Weil wir dadurch als forschungsintensive und fachlich ausserordentlich vielfältig aufgestellte Volluniversität enorm viel gewinnen können. Die Vielfalt der UZH entfaltet ihren Nutzen und ihre Wirkung im Miteinander, nicht im Nebeneinander der verschiedenen Bereiche. Das Miteinander wollen wir stärken. Wir möchten die digitale Infrastruktur so weiterentwickeln, dass sie zu einer engeren Verzahnung von Forschung, Lehre und Services beiträgt, mehr interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht und die Menschen, die an der UZH arbeiten und studieren, dabei unterstützt, flexibel zu interagieren und zu kooperieren.

Witt: Digitale Technologie kann viel mehr, als die Effizienz bestehender, voneinander isolierter Abläufe zu steigern. Sie kann die Grundlage dafür schaffen, dass wir Forschung, Lehre und die Services viel durchlässiger und beweglicher organisieren können. Dafür müssen wir auf ein flexibles Zusammenspiel integrierter digitaler Prozesse hinarbeiten und von Anfang an vernetzt denken. Das ist zunächst mit mehr Mühen verbunden. Aber es ist noch viel mühsamer und kostspieliger, getrennt voneinander entwickelte Systeme nachträglich aufeinander abzustimmen.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die Strukturen und Abläufe flexibler werden können?
Gall: Das Datenmanagement an der UZH ist heute noch sehr fragmentiert und nicht alle Daten, die wir nutzen, haben die nötige Qualität. Wir müssen verstärkt auf eine qualitativ hochwertige Datenhaltung und ein koordiniertes Datenmanagement hinarbeiten. Dafür ist die gesamtuniversitäre Entwicklungsperspektive, wie wir sie dank der Digitalstrategie jetzt einnehmen, sehr hilfreich.

Was ist ausserdem wichtig?
Gall:  Wir wollen Prozesse, digitale Infrastrukturen und auch die Software smart gestalten, also die benötigten Rechenleistung möglichst gering halten. Auch Anwendungsfreundlichkeit und Nachhaltigkeit sind wichtig.
 

Claudia Witt

Die UZH betreibt exzellente Forschung zu Digitalthemen.

Claudia Witt
Medizinerin

In welchem Bereich der UZH ist die digitale Transformation am weitesten fortgeschritten?
Witt: In der Forschung. Die UZH beitreibt exzellente Forschung zu Digitalthemen. Das thematische Spektrum ist ausserordentlich breit und auch zur künstlichen Intelligenz wird in vielen Disziplinen hochrangig geforscht, von der Informatik und Computerlinguistik über die Medizin und die Naturwissenschaften bis hin zu Wirtschafts-, Rechts-, Sozial- und Geisteswissenschaften. Gleichzeitig ist die UZH stark darin, die vielfältigen gesellschaftlichen Auswirkungen digitaler Technologien zu analysieren. Allein im Rahmen der Digital Society Initiative (DSI) hat die UZH seit 2016 mehr als tausend Forschende vernetzt und über dreissig neue Professuren zu Digitalisierungsthemen geschaffen.

Gall: Die UZH kann Technologie, und sie kann Verantwortung.

Jäger: Und sie ist gut darin, beides zu kombinieren.

Wie können die Rahmenbedingungen für die Forschung verbessert werden?
Jäger: Für die Forschung steht ein Ausbau der verfügbaren Rechen- und Speicherleistung im Vordergrund. Ein besonderes Augenmerk liegt auch auf Daten mit hohen Sicherheitsanforderungen, zum Beispiel im Gesundheitsbereich. Auch ein niederschwelliger Zugriff auf fortschrittliche KI-Pro-gramme soll gewährleistet werden. Ein weiteres Ziel ist es, die KI-Forschung an der UZH in ihrer ganzen fachlichen Breite besser zu koordinieren. Zudem sollen anwendungsfreundliche digitale Schnittstellen und Dashboards die UZH-Forschenden von administrativen Aufgaben entlasten.

Wie wird sich der Lehr- und Studienbetrieb in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren verändern?
Jäger: Mit dem steigenden Angebot an digitalen Lernhilfen und der steigenden Verfügbarkeit von Wissen durch künstliche Intelligenz verändern sich die Lerngewohnheiten der Studierenden und ihre Erwartungen an die Universität. Gleichzeitig verändern sich auch die Anforderungen der Berufswelt, auf die wir die Studierenden vorbereiten müssen. Ein Universitätsstudium muss Studierende dazu befähigen, sich rasch auf wechselnde Bedingungen und technologische Neuerungen einzustellen, dafür ist zum Beispiel die Vermittlung überfachlicher Kompetenzen wichtig. Fächerübergreifende Formate und forschungsnahe Projekte, in denen Studierende selbständig und in Teams Probleme lösen, bereiten Studierende gut auf künftige Anforderungen vor.

Witt: Die Studierenden wollen ihr Studium zunehmend individuell gestalten. Sie werden aus der Fülle von Lernangeboten diejenigen zusammenstellen wollen, die ihren Zielen und Voraussetzungen entsprechen. Auch die Bedeutung des lebenslangen Lernens wird weiter steigen. Um dem Rechnung zu tragen, müssen wir die Lehrangebote weiter flexibilisieren. Unsere bisherigen Bachelor- und Masterabschlüsse könnte man durch interdisziplinäre Mikrozertifikate ergänzen. Die «School for Transdisciplinary Studies» der UZH oder das DSI-Minor-Studienprogramm «Digital Skills» zeigen schon heute, wohin die Reise gehen kann. Noch aber ist es an der UZH nicht so einfach, fakultätsübergreifende Angebote zu organisieren. 

Inwiefern hängen Flexibilisierung  und Individualisierung mit der digitalen Transformation zusammen?
Witt: Die Frage ist immer, mit wie viel organisatorischer Komplexität wir umgehen können. Flexibilisierung und Individualisierung von Lehre und Studium führen zu mehr organisatorischer Komplexität, da stösst man irgendwann an Grenzen. Aber dank digitaler Technologie sind diese Grenzen heute viel weiter gesteckt, als es früher der Fall war. Ein geplanter Think Tank zur digitalen Zukunft der UZH wird Ideen dazu entwickeln und diskutieren, wie die Spielräume sinnvoll genutzt werden können.

Wie verändert die künstliche Intelligenz das Lernen und die Lehre an der Universität?
Jäger: Die gesteigerte Verfügbarkeit von Wissen erleichtert den Studierenden vieles, das hat Vorteile und Nachteile. Zu den Nachteilen gehört, dass es anspruchsvoller wird, Studierende dazu zu bringen, sich vertieft mit Lerninhalten auseinanderzusetzen. Ein probates Mittel, um Wissen zu vertiefen, waren bisher Hausarbeiten. Doch diese verlieren ihren Sinn, wenn Studierende sich ihre Texte von künstlicher Intelligenz schreiben lassen.

Haben Sie eine Alternative?
Jäger: Vertieftes Lernen wird nur stattfinden, wenn die Studierenden es aus eigenem Antrieb wollen. Um sie zu animieren, eigenständig Zusammenhänge zu ergründen und Probleme zu lösen, muss man die Neugier und die Begeisterung der Studierenden wecken. Das geht am besten im direkten Austausch zwischen Studierenden und Dozierenden. Forschungsnahe Formate, Kleingruppen und Projektteams eignen sich gut hierfür.

Die unmittelbare Interaktion zwischen Dozierenden und Studierenden rückt also wieder ins Zentrum – trotz oder wegen digitaler Technologie. Schliesst sich da  nicht ein Kreis?
Gall: Der direkte Austausch stand immer im Zentrum der universitären Lehre und war immer ausschlaggebend für die Qualität eines Universitätsstudiums. Das wird aller Voraussicht nach auch so bleiben. Digitale Technologie wird den direkten Austausch nie ersetzen, aber sie kann ihn ergänzen. Digitale Hilfsmittel können bestimmte didaktische, administrative und organisatorische Aufgaben übernehmen und damit im Präsenzunterricht Kapazitäten für vertiefte Diskussionen, kreative Settings und persönliche Betreuung freisetzen. Auch künstliche Intelligenz lässt sich für solche Zwecke einsetzen.
 

Lena Jager

Die UZH plant, einen auf KI basierenden ‹Buddy› für Studierende einzuführen, der sie im Studium unterstützt.

Lena Jäger
Computerlinguistin

Haben Sie ein konkretes Beispiel dafür?
Jäger: Die UZH plant, bis Ende 2025 einen auf künstlicher Intelligenz basierenden «AI-Buddy» für die Studierenden einzuführen. Die Idee ist in einem Strategy Lab der Digital Society Initiative entstanden. Es handelt sich dabei um eine App, die verschiedene Dienstleistungen integriert. Der AI-Buddy soll Studierende zum Beispiel bei der Wahl von Lehrveranstaltungen unterstützen, Themenvertiefungen vorschlagen oder dabei helfen, den persönlichen Austausch mit anderen Studierenden oder Dozierenden zu koordinieren. Auch individuelle Kompetenz- und Leistungskontrollen, Fortschrittsanalysen und die Verwaltung von Lernportfolios gehören zum Angebot der Zukunft.

Witt: Der AI-Buddy kann natürlich nur funktionieren, wenn Studierende eigene Daten zur Verfügung stellen – zum Beispiel Informationen über die gewählten Lehrveranstaltungen oder die bisher erbrachten Leistungen. Der Entscheid darüber, ob und wie intensiv sie den AI-Buddy nutzen wollen, sollte bei den Studierenden selbst liegen. Die Idee ist, dass sie ihre Daten individuell und selektiv freigeben können, um ausgewählte Services zu nutzen. Bei solchen KI-basierten Instrumenten ist es sinnvoll, wenn der Mensch selbst darüber bestimmen kann, welche Leistungen er in Anspruch nehmen möchte und welche nicht. Aufgabe der UZH ist es, Datensicherheit und Datenqualität zu gewährleisten, Vertrauen aufzubauen und zu erhalten. Denn wie bei allen KI-basierten Instrumenten ist es letztlich eine Frage des Vertrauens, ob sie genutzt werden.

Soll künstliche Intelligenz auch zur Unterstützung administrativer Bereiche eingesetzt werden?
Jäger: Ja, wir verfolgen die Idee eines durch generative künstliche Intelligenz gestützten digitalen Begleiters für administrative Prozesse: ein Large Language Model, das spezifisch für den universitätsinternen Gebrauch trainiert wird.

Wie schnell kann und soll die digitale Transformation an der UZH vorangehen?
Gall: Man muss realistisch bleiben und darf den Bogen nicht überspannen. Deshalb setzen wir Prioritäten und gehen schrittweise vor. Wir haben in der Digital Charter 2024 sieben Aktionslinien vorgeschlagen. In rund einem Jahr überprüfen wir die Fortschritte und schätzen ein, wo man das Tempo erhöhen kann und wo man es drosseln muss. Je nach Bedarf schlagen wir Anpassungen bei der Digital Charter vor. Die Entscheidungen trifft immer die Universitätsleitung, sie spricht auch die Ressourcen zu. Die Aktionslinien werden von den zuständigen Facheinheiten der UZH umgesetzt.