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Springen wir in die nahe Zukunft. Vielleicht in das Jahr 2031. Eine Patientin am Universitätsspital Balgrist soll an der Wirbelsäule operiert werden. Sie liegt auf dem Operationstisch, die Narkose funktioniert einwandfrei. Nun ist die Zeit für die Chirurgen gekommen. Neben der erfahrenen Ärztin oder Arzt beugen sich zusätzlich drei Roboterarme über die Patientin. Sie werden einen Teil der chirurgischen Arbeit übernehmen. Die Roboter bestehen aus hartem Material mit Kugelgelenken, die sich agil bewegen. Bei einem ist vorne, auf dem sogenannten «Endeffektor», ein kleines, multifunktionales Werkzeug angebracht. Damit kann er sägen, schneiden oder bohren. Dieser Roboterarm interagiert mit den zwei anderen, die weitere Aufgaben übernehmen können. In der OP-Leuchte integrierte, hyperspektrale Kameras liefern detailreiche Bilder, die das menschliche Auge nicht wahrnehmen kann.
Die Operationsroboter sind nicht nur hochpräzise und intelligent, sondern mit zahlreichen visuellen und nichtvisuellen Sensoren versehen. Mithilfe dieser Sensoren können sie beim Durchbohren von Knochen den elektrischen und mechanischen Widerstand messen und daraus schliessen, in welcher Körperstruktur – Knochen oder Gewebe – sie sich befinden. Ultraschall hilft bei der Ortung von Anatomie und Instrumenten und liefert der Chirurgin oder dem Chirurgen Bilder in Echtzeit. Es ist wichtig, dass keine Nerven oder andere lebenswichtige Organe verletzt werden, höchstpräzise Arbeit ist gefordert. Bestimmte Teilschritte der Operation, wo höchste Präzision gefragt ist, kann der Roboter übernehmen und erweist sich damit als wertvoller Assistent.
Es ist wichtig, dass diejenigen, die die Roboter entwickeln, wissen, was wir Chirurgen benötigen.
Zurück in die Gegenwart. Schon heute werden Roboter im Operationssaal eingesetzt, allerdings orientieren sich diese nur anhand visueller Information. «Man kann aufgrund moderner Bildgebung eine Operation gut planen. Passiert jedoch etwas Unerwartetes, ist der Chirurg oder die Chirurgin auf das eigene Können und oft auch auf sein Gefühl angewiesen», sagt Mazda Farshad. Er ist Wirbelsäulenspezialist und Medizinischer Direktor der Universitätsklinik Balgrist und Professor der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich.
Farshad arbeitet zusammen mit dem Grundlagenforscher Philipp Fürnstahl an neuen modernen Robotern, die im Operationssaal als Assistenten eingesetzt werden können. Fürnstahl ist Professor für Orthopädische Forschung mit Schwerpunkt auf der Anwendung von Computertechnologien an der Universität Zürich. Beide Wissenschaftler gehören zum Team des «FAROS»-Projekts, das durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union gefördert wird. «FAROS» (Functionally Accurate Robotic Surgery) startete am 1. Januar 2021 und ist auf eine Dauer von dreieinhalb Jahren ausgelegt. Neben der Universität Zürich sind die KU Leuven in Belgien, die Universität Sorbonne in Frankreich und das King's College London in England involviert.
Die Universitätsklinik Balgrist hat klinische, experimentelle und interdisziplinäre Aufgaben übernommen, sie fungiert als Bindeglied zwischen den Bereichen Robotik, Informatik und klinische Forschung. «Wir hatten Glück, dass FAROS noch vor dem Ausschluss der Schweiz aus Horizon Europe anerkannt wurde», sagt Fürnstahl. Von der Europäischen Kommission bekam das Projekt im Rahmen von Horizon 2020 während drei Jahren knapp 3 Millionen Euro. Farshad betont, wie wertvoll die Zusammenarbeit mit anderen Universitäten ist: «Wir haben Kompetenzen gebündelt, Doppelspurigkeiten vermieden und arbeiten gut zusammen. Der Flow ist gut.» Auch die enge Zusammenarbeit von Grundlagenforschenden und Klinikern am Balgrist selbst ist optimal, weil Klinik und Forschungsgebäude direkt nebeneinander liegen. «Es ist wichtig, dass diejenigen, die die Roboter entwickeln, wissen, was wir Chirurgen benötigen. Nur so können wir verhindern, dass Dinge angefertigt werden, die sich in der Praxis als nutzlos oder gar gefährlich erweisen», sagt Farshad.
Mit dem FAROS-Projekt werden eingangs beschriebenen Operationsroboter entwickelt, die quasi sehen, hören und fühlen können. Das wird durch zahlreiche visuelle und nicht-visuelle Sensoren und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ermöglicht. So lernen die Roboter mithilfe der Analyse vibro-akustischer Signale beispielsweise das Hören und das Tasten. Dies geschieht unter anderem über Kontaktmikrofone, die auf der Haut der Patienten angebracht sind und so die Resonanz der Schallwellen im Körper des Patienten messen. «Im Moment validieren wir die Methoden in Studien mit Gewebeproben oder menschlichen Präparaten», sagt Fürnstahl. Nach vielen Versuchen lernen die Roboter, wann der Bohrer zum Beispiel aus der harten Knochenschicht auf Weichteile trifft. «Wir müssen viele Daten sammeln, die sich schon allein aus der Heterogenität von Knochen oder Gewebe ergeben, denn diese Strukturen sind bei Männern, Frauen und Kindern, aber auch je nach Alter unterschiedlich», so Fürnstahl weiter.
Wir haben im OR-X die idealen Bedingungen zum Testen der Roboter.
«Wir haben im Balgrist ideale Bedingungen zum Testen der Roboter, weil wir im August 2023 eines der modernsten Forschungs- und Lehrzentren für Chirurgie – den OR-X – eröffnet haben», sagt Fürnstahl. Der OR-X besteht aus einem vollwertigen Forschungs-Operationssaal sowie mehreren Trainingslabors, in denen Operationen von A bis Z durchgeführt werden können. «Das ist auch für den medizinischen Nachwuchs von grosser Bedeutung», so Fürnstahl. «Sie lernen unter realen Bedingungen – auch mithilfe der Roboter». (Mehr zu OR-X, siehe unten).
Die Forschenden können mit den Robotern Teilschritte einüben, bei denen eine hohe Präzision erforderlich ist – wie beispielsweise bei minimal-invasiven Eingriffen. Das sind Operationen, bei denen der Eingriff nur über einen äusserst kleinen Schnitt ausgeführt wird. Eine kleine Kamera (ein sog. Endoskop) und Instrumente werden dann über diesen Schnitt in den Patienten oder die Patientin eingeführt. Normalerweise muss der Chirurg oder die Chirurgin das Endoskop und die Instrumente gleichzeitig führen. In FAROS übernimmt der Roboter die Führung des Endoskops, sodass sich der Chirurg oder die Chirurgin ganz auf die Instrumente konzentrieren kann.
Werden die Roboter in Zukunft selbst operieren können? «Eine Standard-OP besteht aus etwa 300 Schritten, bei schwierigen sind es bis zu 700 bis 800 Schritte», erklärt Farshad. Während der Operation analysiere der Arzt oder die Ärztin laufend die Situation, das können Roboter noch nicht. Die technische Unterstützung der Chirurgen ist sinnvoll und in Zukunft nicht mehr aus den Operationssälen wegzudenken, darin sind sich die Experten einig. Doch sie sind sich ebenso sicher, dass Roboter in naher Zukunft nicht über die Rolle des Assistenten hinauskommen werden. «Sie werden die Arbeit der Ärzte und Ärztinnen besser und genauer machen, aber der Chirurg oder die Chirurgin bleibt auch in Zukunft im Operationssaal unersetzbar», sagt Farshad.