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Zentralafrika ist seit Hunderttausenden von Jahren von Jäger- und Sammlerpopulationen besiedelt, wie jüngste Forschungsresultate basierend auf genetischen, archäologischen und paläoökologischen Daten enthüllen. Die heutigen, im Kongobecken lebenden Jäger und Sammler sprechen jedoch Sprachen, die sie in jüngerer Zeit von ihren Nachbarn, den Landwirtschaft betreibenden Bantu, übernommen haben. Welche Elemente der alten kulturellen Vielfalt in Zentralafrika sind somit auf eine langfristige Entwicklung und einen regionalen kulturellen Austausch vor der Landwirtschaft zurückzuführen? Und welche Aspekte wurden durch Interaktionen mit bäuerlichen Gemeinschaften beeinflusst?
Ein internationales Forscherteam unter der Leitung von Andrea Migliano vom Institut für Evolutionäre Anthropologie der Universität Zürich (UZH) hat bei verschiedenen Jäger- und Sammlerpopulationen in Zentralafrika bisher unbekannte Zusammenhänge zwischen Kultur, Sprache und Genen entdeckt. «Wir haben herausgefunden, dass die Verbreitung von Musikinstrumenten bei den Jägern und Sammlern sehr stark mit jenen genetischen Regionen korreliert, die einen sehr alten Ursprung haben. Diese Gruppen haben also schon Musikinstrumente ausgetauscht, lange bevor es in der Region Populationen gab, die Landwirtschaft betrieben», sagt Migliano.
Entwickelt hat das Projekt Cecilia Padilla-Iglesias, Doktorandin und Erstautorin der Studie. Der Zeitpunkt, wann genetische Information zwischen Populationen ausgetauscht wurde, lässt sich ermitteln, indem der Ursprung bestimmter Genomsegmente zurückverfolgt wird. Deshalb sammelten die Forschenden genetische Daten von elf zentralafrikanischen Jäger- und Sammlergruppen und unterteilten deren DNA in Segmente gemäss dem Zeitpunkt des Austauschs: solche, die von aussen oder durch den Austausch mit Bantu-Populationen eingeführt wurden; solche, die aus dem jüngeren Austausch zwischen Jäger- und Sammlerpopulationen stammen, und solche, die uralten Ursprungs sind.
Ausserdem erstellte das Team einen umfangreichen Datensatz von Musikinstrumenten und Werkzeugen für die Nahrungssuche – zusammen mit deren Namen aus historischen Dokumenten und Ethnographien. Anschliessend verglichen sie, wie die Struktur der kulturellen Vielfalt – die Ähnlichkeit zwischen Gruppen in Bezug auf die genutzten Musikinstrumente und Werkzeuge sowie dem Vorhandensein oder Fehlen ähnlicher Musikinstrumente – mit der genetischen Vielfalt zu verschiedenen Zeitpunkten korrelierte.
«Überraschend war, dass die verschiedenen zentralafrikanischen Jäger- und Sammlergruppen eine unverhältnismässig grosse Anzahl von Wörtern mit Bezug zur Musik gemeinsam haben, obwohl sie Sprachen aus sehr unterschiedlichen Familien sprechen. Diese Wörter lassen sich also auf eine Zeit zurückführen, bevor die Jäger- und Sammlerpopulationen die Sprachen ihrer Bantu-Nachbarn übernahmen», erklärt Anthropologin Andrea Migliano.
Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die umfangreichen Interaktionen zwischen den Jäger- und Sammlergruppen im Kongobecken nicht nur ihre genetische Ausstattung, sondern auch ihre sprachlichen und kulturellen Merkmale beeinflussten, selbst wenn sie durch Tausende von Kilometern voneinander getrennt waren. Diese ausgedehnten sozialen Netzwerke trugen dazu bei, eine kulturelle Vielfalt aufrechtzuerhalten, die sich Tausende von Jahren vor der Einführung der Landwirtschaft in der Region entwickelte. Migliano ergänzt: «Die gross angelegte kulturelle Vernetzung des modernen Menschen hat tiefe Wurzeln in der Vergangenheit – zumindest in Zentralafrika.»
Literatur:
Cecilia Padilla-Iglesias et. al. Deep history of cultural and linguistic evolution among Central African hunter-gatherers. Nature Human Behaviour. 27 May 2024. DOI: 10.1038/s41562-024-01891-y