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Primaten, zu denen wir Menschen gehören, gelten als höchst soziale Tiere. Affen und Menschenaffen leben oft in Gruppen. Bei Lemuren und anderen sogenannten Feuchtnasen-Primaten ging man hingegen davon aus, dass sie eher einzelgängerisch sind und dies auch die ursprüngliche Lebensweise aller Primaten darstellte. Frühere Studien versuchten deshalb zu erklären, wie und wann in der Evolution der Primaten das Paarleben entstanden ist.
Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass viele der nachtaktiven und daher schwer zu untersuchenden Feuchtnasen-Primaten gar nicht einzeln leben, sondern in Paaren von Weibchen und Männchen. Doch was bedeutet das für die Lebensweise der Vorfahren aller Primaten? Und warum leben manche Affenarten in Gruppen, andere in Paaren und wieder andere allein?
Diesen Fragen gingen Forschende der Universitäten Zürich und Strasbourg nach. Für die Studie sammelte Charlotte Olivier vom Institut Pluridisciplinaire Hubert Curien detaillierte Informationen zur Zusammensetzung wilder Primatengruppen, die alle aus Feldstudien stammten. Daraus entstand über mehrere Jahre eine Datenbank von fast 500 Populationen aus über 200 Primatenarten.
Über die Hälfte der so erfassten Primatenarten wiesen mehr als eine Form der sozialen Organisation auf. «Am häufigsten waren Gruppen, in denen mehrere Weibchen und mehreren Männchen zusammenlebten, wie etwa bei den Schimpansen oder Makaken. Am zweithäufigsten kamen Gruppen mit nur einem Männchen und mehreren Weibchen vor – wie bei Gorillas oder Languren», erklärt Letztautor Adrian Jäggi von der Universität Zürich. «Ein Viertel aller Arten organisierte sich aber auch in Paaren.»
Unter Berücksichtigung sozioökologischer und lebensgeschichtlicher Variablen wie Körpergrösse, Ernährung oder Lebensraum berechneten die Forschenden mit komplexen statistischen Modellen, die von Jordan Martin vom Institut für evolutionäre Medizin der UZH erstellt wurden, die Wahrscheinlichkeit einzelner sozialer Organisationsformen – auch für unsere Vorfahren vor fast 70 Millionen Jahren.
Um deren Lebensweise zu rekonstruieren, stützten sich die Wissenschaftler auf Fossilfunde, die zeigten, dass diese kleiner als viele heute lebenden Arten waren und in Bäumen lebten. Diese Faktoren korrelieren stark mit Paarleben. «Unser Modell zeigt, dass die Primaten auch früher variabel zusammenlebten und Paare die mit Abstand wahrscheinlichste Form der sozialen Organisation unserer letzten gemeinsamen Vorfahren war», erklärt Martin. Nur etwa 15 Prozent unserer Vorfahren sei einzelgängerisch unterwegs gewesen. «Das Leben in grösseren Gruppen entstand also erst später in der Geschichte der Primaten.»
Damit war die Sozialstruktur der ersten Primaten jener der heutigen Menschen wohl ähnlicher als bisher angenommen. «Auch wir leben oft, aber längst nicht immer, als Paare, sind zugleich eingebettet in Grossfamilien und grössere Gruppen und Gesellschaften», so Jäggi. Allerdings bedeute Paarleben bei unseren Vorgängern nicht, dass sie sexuell monogam waren oder gemeinsame Jungenaufzucht hatten. «Es war wohl eher so, dass ein bestimmtes Weibchen und ein bestimmtes Männchen die meiste Zeit gemeinsam anzutreffen waren und ihr Streifgebiet und den Schlafplatz teilten, was ihnen Vorteile im Vergleich zu einer solitären Lebensweise brachte», erklärt Letztautor Carsten Schradin aus Strasbourg. So konnten sie zum Beispiel Konkurrenten fernhalten oder sich gegenseitig wärmen.
Literatur:
Charlotte-Anaïs Olivier, Jordan Martin, et al. Primate Social Organization Evolved from a Flexible Pair-Living Ancestor, Proceedings of the National Academy of Sciences, 28. December 2023. Doi: 10.1073/pnas.2215401120