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Beutetiere haben im Zuge ihrer Evolution zahlreiche Methoden entwickelt, um ihren Fressfeinden zu entkommen oder gar nicht erst entdeckt zu werden. Diese oft mit viel Aufwand betriebenen Strategien haben aber nicht nur Vorteile: Das Ausschauhalten und Erkennen von Fressfeinden sowie die Flucht brauchen viel Hirnkapazität und Energie. Andererseits kann eine gute Tarnung die Paarungssuche erschweren und zudem den Bewegungsfreiraum auf dem passenden Untergrund einschränken. Wie sich Frösche an diesen wechselseitigen Selektionsdruck angepasst haben, hat UZH-Evolutionsbiologe Stefan Lüpold zusammen mit Forschenden aus China und den Niederlanden untersucht.
Das Team hat die evolutionäre Entwicklung der Anpassungen an die verschiedenen Fressfeinde von über 100 Froscharten erforscht. Die Studienergebnisse zeigen, dass Frösche, die nur wenige Fressfeinde haben, auf die Flucht als Überlebensstrategie setzen. Dies wird an ihrem relativ grossen Gehirn deutlich, das erhöhte Flexibilität in ihrem Fluchtverhalten erlaubt, sowie an ihren muskulösen Hinterbeinen zum Wegspringen. Diese Froscharten sind auch auffälliger gefärbt, was unter anderem die visuelle Kommunikation unterstützen kann.
Haben die Frösche jedoch viele Feinde, so dass der Raubdruck steigt, ist die Flucht-Strategie weniger effizient. Es fehlt ganz einfach die Zeit – etwa fürs Fressen oder für die Fortpflanzung. «Unter diesen erschwerten Bedingungen überwiegen also die Nachteile der notwendigen kognitiven Leistung für die Flucht», sagt Letztautor Stefan Lüpold. «Evolutionär hat dies zu einem Umschwenken auf weniger Mobilität und bessere Tarnung geführt – und dafür zu einem kleineren Gehirn.»
Die Studie stellt erstmals einen direkten Zusammenhang her zwischen der Hirnevolution und unterschiedlichen Strategien zur Vermeidung von Fressfeinden. Sie zeigt, dass Tarnfärbung nicht unbedingt eine ideale primäre Strategie ist, wie oft angenommen, sondern eher eine sekundäre Anpassung, ausgelöst durch den hohen Aufwand für ein flexibles, kognitives Fluchtverhalten. Ob ein solcher Zusammenhang allerdings auch mit anderen Strategien bei Fröschen (wie etwa Giftdrüsen) oder in anderen Tiergruppen besteht, muss weiter erforscht werden.
«Unsere Studie zeigt, dass bei der Erforschung der Hirnevolution nicht nur kognitive Vorteile, sondern unbedingt auch Aufwand und Ertrag der Hirnleistung erwogen werden sollten», erklärt Lüpold. Wenn ein starker Raubdruck zu einer Verhaltensänderung und Verkleinerung des Gehirns führt, kann dies weitreichende Konsequenzen für andere Lebensfunktionen haben. Zudem deutet die Studie darauf hin, dass sich eine Veränderung des Lebensraums auch auf die energetischen Investitionen der Beutetiere auswirken kann.
Literatur:
Liao, W. B., Y. Jiang, D. Y. Li, L. Jin, M. J. Zhong, Y. Qi, S. Lüpold, and A. Kotrschal. Cognition contra camouflage: how the brain mediates predator-driven crypsis evolution. Science Advances, 17 August 2022. DOI: 10.1126/sciadv.abq1878.