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Beat Keller forscht seit Jahrzehnten mit Weizen und ist noch immer fasziniert von dieser Pflanze und ihrer Ertragskraft: Jahr für Jahr liefert sie für jede Erdbewohnerin umgerechnet 100 Kilogramm Korn. «Ohne Weizen gäbe es Hunger, nicht nur in ärmeren Ländern, sondern auch bei uns», sagt der Molekularbiologe und Pflanzenforscher.
Da Weizen nicht nur eine herausragende Bedeutung hat, sondern aufgrund der langen landwirtschaftlichen Tradition auch bestens untersucht und charakterisiert ist, eignet er sich auch als Studienobjekt der Molekularbiologen. Konkret hat Keller mit seinen Forscherkolleginnen und -kollegen die letzten Jahrzehnte daran gearbeitet, Weizen durch gentechnische Eingriffe gegen Mehltau – einen verbreiteten Pilzschädling – widerstandsfähiger zu machen.
Unterdessen ist klar: Es funktioniert, die Resistenz lässt sich gentechnisch «massiv verbessern», wie der Forscher sagt. Keller und sein Team haben sich dazu natürlicher Resistenzgene bedient, die sie aus Weizensorten verschiedener Weltgegenden identifiziert und isoliert haben. Es handelt sich um sogenannte Pm-Gene, dabei steht Pm für Powdery mildew, die englische Bezeichnung des Mehltau-Erregers. Die Pm-Gene bilden Immunrezeptoren, die in den Zellen des Weizens eine natürliche Abwehrreaktion auslösen, wenn sie mit dem Pilzschädling in Kontakt kommen.
In molekulargenetischer Kleinarbeit haben Keller und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedene Kombinationen von Pm-Genen in Weizenlinien eingebaut und danach – ein Novum für die Schweiz – in Feldversuchen mit Agroscope getestet. Der erste dieser Tests fand 2008 statt, die letzten Versuchsreihen in Zürich-Reckenholz laufen dieses und nächstes Jahr.
Beat Keller ist seit Jahren der einzige Forscher in der Schweiz, der die Herausforderung angenommen hat, trotz Gentech-Moratorium transgene Pflanzen aufs Feld zu bringen. Dies erlaubt eine Ausnahmebestimmung für die Grundlagenforschung. Als Winkelried der grünen Gentechnik sieht er sich trotzdem nicht, eher als Wegbereiter einer Technik, die er für «unverzichtbar hält, um die Ernährung in Zukunft zu sichern». Denn eine moderne Pflanzenzucht ohne dieses Werkzeug macht für Keller angesichts des steigenden Bedarfs an Nahrungspflanzen keinen Sinn.
Konsequent weitergedacht gehören Versuche draussen auf dem Feld zur Forschung dazu. «Es ist hinlänglich bekannt, dass sich Resultate kontrollierter Labortests in der Natur nicht immer bestätigten», sagt Keller. Aus seiner Sicht sind damit die Grundlagenforscher fast gezwungen, ihre Ergebnisse einem Praxistest zu unterwerfen. Sonst blieben sie wirkungslos.
Dabei hebt sich Keller wohltuend von den Turbobefürwortern ab, die in der Vergangenheit die grüne Gentechnik über den Klee lobten. Sie prophezeiten genetisch optimierte Wunderpflanzen, die Stickstoff aus der Luft binden und dank optimierter Photosynthese höchste Erträge liefern könnten, bei gleichzeitiger Hitze- und Schädlingsresistenz. «Wir haben viel gelernt in diesen vergangenen Jahren und sind bescheidener geworden», sagt der Grundlagenforscher. «Die Vorstellung, mit wenigen Genveränderungen massive Effekte zu erzielen, ist oft falsch.»
Stattdessen zeigt sich immer deutlicher die -extreme Komplexität und Vernetzung des pflanzlichen Stoffwechsels, der über die Genanlagen reguliert wird. Dreht man an einem Schräubchen dort, bewegt sich ein -Rädchen da. Wie komplex unsere Nahrungspflanzen sind, zeigt sich gerade bei unserem Brotweizen, der über Jahrtausende domestiziert wurde.
Unsere Vorfahren haben das Getreide vor rund 8000 Jahren aus Wildformen von Urgetreiden gezüchtet. Aus Emmer und Ziegengras der asiatischen Steppe ist die wichtigste Nahrungspflanze entstanden, wobei es bei der Kreuzung verwandter Arten zu Verdoppelungen des Genoms kam. Der heutige Weizen Triticum aestivum hat einen sechsfachen Chromosomensatz und ein Genom, das mit 16 Milliar-den Basenpaaren rund fünfmal so gross ist wie das menschliche Erbgut. Statt rund 25000 Gene wie der Mensch trägt Weizen rund 100000 Gene.
Die Begrenztheit gentechnischer Methoden bedeutet aber nicht, dass die Technologie an Bedeutung verliert. Im Gegenteil: Mit der Genom-Editierung ist seit wenigen Jahren eine vielversprechende Ära neuer Verfahren angebrochen, die von den Grundlagen- und Züchtungsforschenden rasch übernommen wurde.
Bekannte Verfahren wie Crispr/Cas9 erlauben punktgenaue Änderungen im Genom, von der Deletion einzelner DNA-Bausteine bis zum Austausch ganzer Gene. Damit ist es möglich geworden, künstliche Mutationen an gewünschten Orten herbeizuführen, die von spontanen, natürlichen Veränderungen oft nicht mehr unterschieden werden können. Das zielgenaue Verfahren beschleunigt die herkömmliche Mutationszüchtung massiv. Weltweit werden Hunderte von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben realisiert, neue Zuchtlininen kommen auf den Markt.
Was den Weizen betrifft, so laufen im Ausland mehrere Projekte: Sie zielen auf erhöhten Nährwert und Ertrag, reduzierten Glutengehalt sowie Resistenzen gegen Trockenheit, Schädlinge und Krankheitserreger wie den Mehltau. Bei diesem Pilzschädling hat sich daraus ein neuer und überraschend einfacher Ansatz ergeben. Er basiert auf sogenannten MLO-Genen, die offenbar in allen Kultur- und Landpflanzen vorhanden sind. Sie halten den Pilzschädling von der Pflanze fern, wenn sie ausgeschaltet werden. Diese Resistenz geht zurück auf eine äthiopischen Gerstensorte, die in den 1940er-Jahren erstmals beschrieben wurde.
Vor kurzem ist es chinesischen Wissenschaftlern via Genom-Editierung gelungen, in Weizen alle sechs Kopien der MLO-Gene im hexaploiden Genom auszuschalten und eine mehltauresistente Variante zu erhalten. «Wenn sich diese Resistenz in der Praxis auf dem Feld bewährt, ist das ein Game-changer», sagt Beat Keller – das heisst eine Innovation, die alles verändert.
Der Wissenschaftler sagt dies ohne Bitterkeit, wohlwissend, dass die neusten Befunde chinesischer Labors «seine» Mehltauresistenz mit Pm-Genen ausstechen könnten. Denn bei seinen Arbeiten über Resistenzgene gehe es um mehr als einen Krankheitserreger, dahinter stecke ein grundsätzliches Thema: «Uns interessiert die Anpassung von Schädlingen an ihren Wirt, das heisst die Ko-Evolution zwischen krankmachenden Erregern und Abwehrmechanismen bei den Pflanzen», betont Keller.
Im Fall von Mehltau erforscht sein Team die Pflanze Triticale, eine Kreuzung von Weizen und Roggen, die seit den 1960er-Jahren angebaut wird. Der einst gegen Mehltau resistente Triticale wird heute auch vom Pilz befallen. Forschungsarbeiten zeigen, dass sich der Schädling an die neue Getreideform anpassen konnte, indem er neue Hybridformen bildete. Zurzeit werden in Kellers Gruppe im Rahmen des UFSP «Evolution in Aktion» die molekularen Determinanten dieser Wechselbeziehungen erforscht.
Das Potenzial von Weizen ist noch lange nicht ausgeschöpft. Beat Kellers Begeisterung für die Pflanze, die eine zehntausendjährige Geschichte hat, ist greifbar, wenn er über den Winterweizen spricht, den die Bauern bei uns vorwiegend anbauen. Im Spätherbst ausgesät, braucht die Pflanze über den Winter eine längere Kälterperiode, um im Frühling die Sprossen auszutreiben. Trotz widriger Witterung mit Kälte und Nässe schiesst die erstaunlich widerstandsfähige Pflanze in die Höhe und bildet im Sommer die Ähren mit den Körnern. Von ihrem Mehl ernähren sich Milliarden von Menschen. «Ist das nicht fantastisch!», sagt Keller.