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Das neue Medikament Ensovibep ist besonders bei akuten, ambulanten Covid-19-Patienten wirksam und verringert nach Angaben der Hersteller das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes oder Notaufnahmebesuches sowie des Todes um 80 Prozent. Zudem verlief im Vergleich zur Placebo-Gruppe die Genesung schneller und besser. Zwar stehen noch die klinischen Versuche der Phase 3 aus, dem Mittel werden aber gute Chancen eingeräumt, auch diese erfolgreich abzuschliessen. Novartis hat bereits darüber informiert, die Lizenz von Ensovibep von Molecular Partners für 150 Millionen Schweizer Franken zu übernehmen und wird voraussichtlich die späte Entwicklungs- und Vermarktungsphase leiten.
Diese Absichtserklärung ist für das UZH-Spin-off Molecular Partners ein grosser Erfolg. 2004 wurde das biochemische Unternehmen von einigen UZH-Forschenden gegründet und zog schon bald von den UZH-Laboren in den Bio-Technopark Schlieren. Heute beschäftigt das Unternehmen 150 Mitarbeitende und ist seit 2014 an der Schweizer Börse SIX kotiert. Im November 2021 stieg Novartis mit ein.
Andreas Plückthun, Professor für Biochemie an der Universität Zürich, hat zusammen mit seinem Team die neue biochemische Technologie in seinem Labor erforscht und entwickelt. Er war Mitgründer und sass über 15 Jahre im Verwaltungsrat der Molecular Partners.
Herr Plückthun, wie haben Sie reagiert, als Sie gehört haben, dass die von Ihnen und Molecular Partners entwickelte Technologie jetzt erstmals in einem Medikament gegen Covid-19 angewandt wird?
Andreas Plückthun: Es freut mich natürlich sehr, dass unsere akademische Grundlagenforschung zeigen kann, wozu sie fähig ist. Ursprünglich wollten wir in unserem Labor am Biochemischen Institut aus reiner wissenschaftlicher Neugier erkunden, ob sich künstliche Eiweiss-Proteine so konzipieren lassen, dass sie an kranke Zellen andocken und diese vernichten können. Wir fokussierten uns dabei vor allem am Anfang auf Krebszellen und später auch auf Viren. Wie sich nun zeigt, war unsere Grundidee richtig und hat nun das Potenzial, eine wichtige Rolle in der medizinischen Therapie und Diagnostik zu spielen. Das ist natürlich sehr befriedigend für alle Beteiligten.
Was ist das Revolutionäre an dieser neuen biochemischen Technologie?
Die sogenannten Designed Ankyrin Repeat Proteins (DARPins) sind synthetische Eiweissstoffe, die quasi am Computer konzipiert und im Reagenzglas evolviert werden und dann auf Zellen getestet werden. Sie sind äusserst stabil, passen sich der Oberfläche der Antigene an und können den weiteren Verlauf von verschiedensten Krankheiten in eine gewünschte Richtung beeinflussen. Zudem lassen sich die künstlichen Proteine einfach und schnell in wenigen Wochen herstellen für weitere, umfangreichere Tests. Gerade in Pandemiezeiten ist es wichtig, dass man schnell auf neue Virenarten reagieren kann.
Wann hat man denn die Entwicklung dieser Proteine auf Covid-19 gestartet?
Das geschah im Februar 2020, am Anfang der ersten Corona-Welle. Das war damals eine etwas riskante Entscheidung, weil man noch nicht genau wusste, ob die Pandemie nach Europa kommen würde oder nicht. Eine solche Fokussierung bindet viele Ressourcen, die vielleicht andernorts fehlen. Es gab in der Öffentlichkeit ja einige Stimmen, die dachten, im April 2020 sei der ganze Spuk vorbei. Wie wir wissen, kam es anders.
Es tönt doch fast wie ein Traum – in nur zwei Jahren zusammen mit Novartis die Zulassung für ein Medikament gegen Covid-19 beantragen und der Bund schon 200'000 Doesen des Wirkstoffs bestellt hat und sich die Option auf grosse Nachbestellungen gesichert hat.
Es besteht die Hoffnung, dass es so läuft und die Studien der Phase 3 erfolgreich sind. Aber die Firma ist ja nicht auf Covid-19 beschränkt. Man darf nicht vergessen: Bei den DARPins handelt es sich um eine neue grundlegende Technologie, die sich in unterschiedliche Richtungen weiterentwickeln lässt. Wir haben quasi einen biochemischen Bausatz geschaffen, den wir beliebig anpassen und weiterspinnen können. Wir schaffen sehr stabile Wirkstoffe, die man schnell in grossen Mengen herstellen kann. Das gibt uns und unseren Partnern natürlich ein riesiges Anwendungspotenzial. Bei medizinischen Spin-offs, die sich meist auf ein Medikament beschränken, ist dieser Spielraum sehr viel kleiner.
Welche Etappen waren besonders wichtig auf diesem Weg vom UZH-Labor zum börsenkotierten Unternehmen?
Jeder Schritt war wichtig – eigentlich war es mehr ein gradueller Prozess. Neben der eigentlichen Technologie waren die Etablierung der technischen Massstäbe, die Erweiterung der biomedizinischen Aspekte oder die Ergänzung des Teams durch Spezialisten ebenso essenziell. Es stellte sich dann schnell heraus, dass es immer einfacher wurde hervorragendes Personal zu finden, je mehr Molecular Partners florierte.
Wie wichtig waren dabei Fördergelder etwa des Bundes?
Matchentscheidend. Ohne die Fördergelder des Schweizer Nationalfonds am Anfang hätte es dieses Projekt nie gegeben, und wir hätten unserer ursprünglichen Idee nicht nachgehen können. Und auch ohne die Unterstützung des Kantons etwa für die Ausstattung der universitären Labore, und dann später, nach der Firmengründiung, die klassischen Venture-Kapitalspritzen hätten wir nicht genügend testen und entwickeln können. Die Investitionen der öffentlichen Hand in die Universitäten und ihre Forschungslabore zahlen sich aus.
Wie wichtig sind Start-ups und Spin-offs von Universitäten generell für die Forschungslandschaft und den Wirtschaftsstandort Schweiz?
Sie sind sehr wichtig, weil man disruptive, kreative Ideen an der Universität viel besser erforschen kann. Wir werden dafür bezahlt, «um die Ecke zu denken», revolutionäre Ansatz zu erproben und vielleicht auch höhere Risiken einzugehen. Und auch mal scheitern zu können. Darum bin ich auch so gerne an der Universität. Ein wirtschaftliches Unternehmen kann sich diese Freiheiten kaum mehr leisten. Die grossen Firmen übernehmen lieber universitäre Spin-offs und Start-ups und entwickeln und vermarkten die Grundideen für die internationale Anwendung weiter. Und die kleinen Spin-offs brauchen starke Partner mit einer grossen Marktmacht. So gesehen ist die universitäre Forschung ein wichtiger Baustein für die gesamte medizinische und technologische Entwicklung und schafft auch neue Arbeitsplätze für die Wirtschaft.