Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Comprehensive Cancer Center Zurich

Darmbakterien gegen Krebs

Manche Darmbakterien verringern die Wirksamkeit von Krebstherapien, andere erhöhen sie. Im neuen Leuchtturm-Projekt lotet das Comprehensive Cancer Center Zurich die erstaunlichen Fähigkeiten der Mikroorganismen aus.
Stefan Stöcklin
Bakterie in Petrischale
Bakterien in der Kulturschale: Im Cancer Microbiome Projekt sollen Darmbakterien identifiziert werden, um die Ansprechrate von Krebstherapien zu verbessern. (Bild: istock/jarun011)

 

Krebsspezialisten nehmen mit gutem Grund die Mikroben im Darm näher unter die Lupe. Wie sich in den letzten Jahren zeigte, hat die Zusammensetzung der Milliarden von Bakterien in unserem Mikrobiom im Darm direkte Folgen für die Wirksamkeit gewisser Therapien.

In einer wegweisenden Studie konnten amerikanische Mediziner vor kurzem zeigen, dass bestimmte Bakterien aus dem Darm die Erfolgsrate der Immuntherapie – einem der schärfsten Messer gegen fortgeschrittene Krebsformen – bei Hautkrebs verbessern.

Die überraschenden Erkenntnisse aus dem Innenleben unseres Darms hat ein Team um Michael Scharl, Professor der medizinischen Fakultät und Gastroenterologe am Universitätsspital Zürich, zu einem vielversprechenden Projekt mit verschiedenen Spezialistinnen und Spezialisten aus Klinik und Grundlagenforschung animiert (Siehe Kasten am Ende des Artikels).

Das Leuchtturmprojekt zum «Cancer-Microbiome» wird im Rahmen eines Förderprogramms des Comprehensive Cancer Center Zurich mit 1.65 Millionen Franken unterstützt. Das Programm fördert herausragende Projekte in der Präzisionsonkologie. «Wir möchten mit unserem Projekt die massgebenden Bakterien und molekularen Mechanismen entschlüsseln, um die Ansprechraten auf eine Immuntherapie zu erhöhen», sagt Michael Scharl.

Transplantation von Bakterien

Nötig dazu sind klinische Studien mit Stuhltransplantationen, die beim einen oder anderen Stirnrunzeln hervorrufen könnten. Die Vorstellung, Bakteriencocktails aus dem Darm einer fremden Person verabreicht zu bekommen, tönt nicht eben appetitlich. Michael Scharl winkt aber ab: Die Transplantation von Stuhlbakterien oder Fäkale Microbiota Transplantationen – wie es im Fachjargon heisst – ist seit Jahren Routine.

Zum Beispiel bei schweren Darminfektionen mit dem Bakterium Clostridioides difficile, die nicht mehr auf Antibiotika ansprechen. Eine Gabe fremder Stuhlbakterien ist in solchen Fällen das Mittel der Wahl und seit Jahren in der Klinik etabliert. Die Stuhlprobe wird dazu vor der Transplantation gefiltert und mit einer Kochsalz-Lösung verdünnt.

Im Cancer-Microbiome-Projekt sind zunächst Stuhltransplantationen bei Patientinnen und Patienten geplant, die auf eine Immuntherapie nicht ausreichend ansprechen. Dazu gehören insbesondere Patienten mit Hautkrebs (Melanome) und Lungenkrebs. Ausgangspunkt sind neue Erkenntnisse, gemäss denen bestimmte Bakterienarten (Actinobakterien, Clostridien) im Stuhl die Immuntherapie mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren regulieren könnten.

Als Checkpoints werden Moleküle auf der Oberfläche von Immunzellen bezeichnet, die das Immunsystem drosseln. Sie dienen bei gesunden Personen dazu, ein Überschiessen des Immunsystems zu verhindern, blockieren aber auch die eigene Abwehr im Falle von Krebs. Checkpoint-Inhibitoren lösen die Bremse, doch wie sich gezeigt hat, beeinflussen Bakterien im Darm diese Wirkmechanismen.

Die Onkologen unterscheiden deshalb Responder, die auf die Immuntherapie ansprechen und jene, die das nicht tun. In einer ersten Studie werden nun Stuhlproben von 5 Respondern auf 25 Non-responder übertragen. «Wir gehen davon aus, dass die Stuhltransplantationen die Ansprechrate der Immuntherapie bei den Non-respondern erhöhen», sagt Michael Scharl.

Wirkmechanismen entschlüsseln

Die Studien sind eingebaut in ein Netzwerk von Arbeiten verschiedener Spezialistinnen und Spezialisten, die den Wirkungsmechanismen der Bakterien und des Immunsystems auf den Grund gehen. Anne Müller, Professorin für Experimentelle Medizin am Institut für Molekulare Krebsforschung der UZH, hat langjährige Erfahrung mit dem Thema Bakterien und Krebs.

Die Molekularbiologin hat unter anderem bei Helicobacter pylori die zweischneidigen Wirkungen eines bakteriellen Keims untersucht: einerseits die bösartige Rolle als Auslöser von Magenkrebs und andererseits die gutartige Seite zur Prävention von Allergien. Im neuen CCCZ-Leuchtturmprojekt kann sie auf diesen Erfahrungen aufbauen: «Mich interessieren die molekularen Wechselwirkungen zwischen den Bakterien, dem Immunsystem und dem Tumor», sagt Müller.

Die Grundhypothese ist, dass Signalmoleküle der Bakterien von Immunzellen im Darm erkannt werden und die Immunantwort modulieren. «Wir haben bereits verschiedene solcher Immunmodulatoren im Visier», sagt die Forscherin. Mithilfe von Untersuchungen an Tiermodellen, bei denen einzelne Komponenten des Immunsystems gezielt aus- und eingeschaltet werden, sollen die Komponenten und Wirkmechanismen identifiziert werden. Diese Arbeiten sollten denn auch dazu beitragen, jene Bakterienarten aus dem Mikrobiom zu identifizieren, die für die Therapiewirkung zuständig sind.

Geber und Empfänger abstimmen

Auf Seite der Patientinnen und Patienten will man nebst den massgeblichen Bakterienarten aus dem Mikrobiom die immunologischen und genetischen Merkmale identifizieren, die Responder von Non-respondern unterscheiden. Zudem sollen auch sogenannte «Superdonors» molekularbiologisch charakterisiert werden, die ideale Voraussetzungen als Spender besitzen. Dank den vertieften Erkenntnissen werde es künftig möglich sein, Geber und Empfänger von Stuhltransplantationen genauer aufeinander abzustimmen, ähnlich wie dies heute bei Organtransplantationen der Fall ist.

Michael Scharl betont, dass man dank dem Netzwerk der beteiligten Forschenden über umfangreiches Datenmaterial und technische Möglichkeiten verfügt, alle relevanten Faktoren zu erforschen. «Damit kommen wir dem Anspruch massgeschneiderter Mikrobiomtransplantationen Schritt für Schritt näher», sagt Scharl.

Die ideale Therapie wäre dann erreicht, wenn den Patientinnen und Patienten kein Stuhltransplantat mehr, sondern individuell abgestimmte Bakteriencocktails oder gar nur noch isolierte Stoffwechselprodukte verabreicht werden müssten. Ob das realistisch ist, wird sich zeigen – auf jeden Fall wird das Projekt das Verständnis über unser Mikrobiom und seines Einflusses auf das Immunsystem und die Krebsbehandlung verbessern. Patientinnen und Patienten werden damit auf jeden Fall von den Forschungsarbeiten profitieren. Michael Scharl geht davon aus, dass die Ansprechraten auf die Immuntherapie bei Lungen- und Hautkrebs aber auch weiteren «festen Tumoren» steigen wird.