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Elisabeth Stark: Wenn die Bedingungen stimmen, kann man an einer Hochschule wie der UZH bereits als junge Forscherin, als junger Forscher sehr selbstbestimmt arbeiten – häufig zu einem selbst gewählten Thema oder in einem selbst gewählten Bereich. Gut betreute Doktorierende verfügen über viele Freiheiten. Das kann unglaublich motivierend und beglückend sein.
Stark: Ja, ich war bereits als Nachwuchsforscherin sehr privilegiert. Mein Doktorvater fragte mich an, ob ich Assistentin werden möchte. Das war damals auch mit einer relativ hohen Verpflichtung zur Lehre verbunden, und es hätte darüber hinaus bedeuten können, dass ich am Lehrstuhl mitarbeiten und unter anderem Bücher schleppen und kopieren musste. Das war aber nicht der Fall.
Stark: Ich musste zwar Seminare leiten, aber sonst hat mein Doktorvater viele Aufgaben selbst übernommen und manchmal sogar die Sitzungsprotokolle geschrieben. Und er hatte Hilfskräfte, die viel im Tagesgeschäft übernehmen konnten. So konnte er seinen Doktorierenden viele Freiheiten geben.
Stark: Unbedingt, aber nicht im Sinne eines Laissez-faire. Denn die Integration in ein Team und der kontinuierliche Austausch mit anderen sind für die wissenschaftliche Arbeit enorm wichtig. Assistierende sollten aber nicht ausschliesslich ihren Professorinnen und Professoren zuarbeiten müssen. Der Nachwuchs sollte nicht ausgebeutet werden. Denn letztlich steht die wissenschaftliche Qualifikation im Zentrum von Assistenz- und Oberassistenzstellen. Klar, die Doktorierenden erheben meist die Daten und helfen so den Professorinnen und Professoren, Publikationen zu verfassen. Aber sie sollen eben auch ausgebildet werden und sich weiterentwickeln können. Deshalb müssen wir den Nachwuchsforschenden klare Anstellungsbedingungen mit ausreichend geschützter Zeit für die Forschung bieten.
Stark: Sowohl Doktorats- als auch Assistierendenstellen an der UZH sind von den Rahmenbedingungen her sehr attraktiv, doch an deren Umsetzung hapert es manchmal. Das soll sich ändern. Deshalb entwickeln wir momentan unter anderem ein neues Instrument zur Qualitätssicherung. Geplant ist, bis Ende dieses Jahres ein anonymisiertes Monitoring aufzusetzen, das wie bei der Evaluation in der Lehre die Zufriedenheit der Doktorierenden erhebt. Ein solches Monitoring wäre später auch auf der Postdoc-Stufe denkbar. Es soll helfen, wissenschaftliche Karrieren an der UZH optimal zu ermöglichen und, wo nötig, unterstützend einzugreifen.
Im Zusammenhang mit der Nachwuchsbetreuung wichtig ist übrigens auch der neue Mentoring-Award des Graduate Campus, der jährlich an Professorinnen und Professoren vergeben wird, die ihre Nachwuchskräfte besonders gut führen und fördern.
Stark: Beim Nachwuchs fällt das noch nicht so stark ins Gewicht. Für die Doktorierenden spielt es keine Rolle, woher das Geld für ihre Stelle kommt. Schwierig wird es bei Berufungen, etwa bei Assistenzprofessuren mit Tenure Track, die sich an exzellente junge Forschende richten. In diesen hochkompetitiven Feldern, das wissen wir, bewirbt sich niemand, wenn keine Anträge für EU-Forschungsgelder wie die renommierten ERC-Grants gestellt werden können. Wenn es nicht schnell gelingt, die Reassoziierung an das EU-Programm Horizon Europe zu ermöglichen, geraten alle Schweizer Hochschulen in eine Abwärtsspirale. Das ist ein riesiges Problem. Hinzu kommt, dass wir auch von Erasmus plus, dem Netzwerk auf Doktorierenden- und Masterstufe, ausgeschlossen sind. Das mindert die Attraktivität der Schweiz auch für Nachwuchsforschende. Wenn wir da nicht dabei sind, verschwinden wir vielleicht von deren «mentaler Landkarte». Es steht extrem viel auf dem Spiel, ich bin sehr besorgt.
Stark: Eines unserer Ziele für die Zukunft ist, vielfältigere Karrierewege zu schaffen. Die klassische akademische Karriere verläuft immer noch vom Doktorat über die Postdoc-Phase zur Professur. Gerade auf diesem letzten Schritt der Karriereleiter sind die Stellen allerdings rar. Das Problem hat sich in den letzten Jahrzehnten ein wenig entschärft, aber die Mittel, um neue Professuren zu schaffen, wachsen natürlich auch heute nicht in den Himmel. Abgesehen davon wollen zwar viele junge Forschende in der Wissenschaft arbeiten, streben aber nicht unbedingt eine Professur an.
Stark: Genau, etwa im Wissenschafts- und Datenmanagement oder in Bibliotheken sind Expertinnen und Experten unverzichtbar, sie sollten wir hegen und pflegen. Deshalb ist es wichtig, den so genannten Third Space, die Schnittstelle zwischen akademischem Betrieb und Verwaltung, an der UZH nachhaltig auszubauen.
Stark: Zumindest teilweise – wichtig ist hier auch, dass eine Karriere im Third Space nicht als Abstieg wahrgenommen wird, sondern schlicht als eine andere Karriere. Neben dem Third Space müssen wir ausserdem mehr unbefristete Stellen unterhalb der Professur schaffen. So brauchen wir etwa – ähnlich wie im angelsächsischen Lecturer-Modell – festangestellte Dozierende, die vor allem in der Lehre und zu einem kleineren Teil in der Forschung tätig sind. Denn es ist nicht sinnvoll, für jeden Anstieg der Studierendenzahlen eine neue Professur zu schaffen.
Das gleiche gilt quasi spiegelbildlich für die Forschung: Wenn sich ein neues Forschungsgebiet mit hohem Bedarf an Forschungssupport, etwa in der Infrastruktur, auftut und wir in diesem Bereich eine exzellente promovierte Person haben, brauchen wir zunächst, auch aus Nachhaltigkeitsgründen, einen festangestellten Scientist. Momentan versuchen wir zu oft, Kapazitätsprobleme ausschliesslich über neue Professuren zu lösen, und übersehen den damit verbundenen «Brain Drain». Mir hat kürzlich ein junger Post-Doc, der die UZH für eine unbefristete Forschungsstelle in einem Start-up verlassen hat, gesagt, er wolle gar nicht Professor werden, weil er dann gar keine Zeit mehr zum Forschen habe.
Stark: Das Ordinariat wird wohl die Königsklasse bleiben und weiterhin eine wichtige Rolle spielen. In diesem Zusammenhang sollten wir künftig aber vermehrt am Erwartungsmanagement arbeiten. Wir müssen dem akademischen Nachwuchs viel klarer kommunizieren, dass ein Ordinariat vor allem eine Forschungsmanagementstelle ist. Man wertet in aller Regel nicht mehr selbst Daten aus und steht weitaus weniger als vorher selbst an der Forschungsfront. Das muss man wissen. Denn vielleicht stimmt dieses Jobprofil gar nicht mit den Karrierewünschen und -zielen der Nachwuchsforschenden und -lehrenden überein. Ich möchte aber noch auf einen anderen Aspekt des Erwartungsmanagements zu sprechen kommen.
Stark: Es kommt immer wieder vor, dass junge Forschende zwar Karriereambitionen hegen, sich aber schon im Doktorat schwertun. Obwohl sie in der Promotionsphase nicht richtig glücklich waren, bleiben sie dann aber trotzdem an der Uni. Die Habilitation wird dann meist auch nicht besser. Um dies zu vermeiden, müssen wir verantwortungsvoller selektionieren und kommunizieren. Man muss einer Doktorandin oder einem Doktoranden nach einem Jahr sagen können: «Das wird wohl nichts, du bist jetzt Mitte zwanzig und kannst viele Dinge, aber das wissenschaftliche Forschen ist nicht das Richtige für dich.» Ich würde mir wünschen, dass wir künftig ehrlicher sind mit unserem Nachwuchs. Wir sollten härter, aber wertschätzend selektionieren.
Stark: Die Graduiertenschulen und der Graduate Campus sind in dieser Hinsicht sehr engagiert. Gemäss Governance 2020+, den neuen Führungsrichtlinien der UZH, gehört die Qualitätssicherung in der Nachwuchsbetreuung auch zum Aufgabenportfolio der Dekaninnen und Dekane. Sie sollen in den Standortgesprächen mit ihren Kolleginnen und Kollegen den Umgang mit dem Nachwuchs thematisieren und im Übrigen dafür sorgen, dass die individuellen Pflichtenhefte nicht vom Rahmenpflichtenheft abweichen und vor allem auch eingehalten werden.
Die UZH ist aber kein Unternehmen: Ich glaube, Professorinnen und Professoren brauchen weder eine Managementausbildung noch eine Schulung in der Nachwuchsbetreuung, sondern vielleicht etwas mehr Demut und Empathie. Dies in dem Sinn, dass sie sich immer wieder neu mit ihren Nachwuchsforschenden auseinandersetzen. Forschung und Forschende sind sehr individuell. Eine Betreuungsperson muss, um extreme Gegensätze zu skizzieren, mit einem genialen Autisten und einer hervorragenden, extrovertierten Allrounderin sehr unterschiedlich umgehen können, um beide optimal zu fördern. Das sind zwei verschiedene Persönlichkeiten, die individuell geführt werden müssen. Die grundlegende Befähigung dazu kann man meiner Auffassung nach in keinem Kurs erwerben.
Es handelt sich bei diesem Artikel um eine gekürzte Fassung. Die Originalversion ist im Jahresbericht 2021 publiziert.