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Warum hat sich die UZH entschieden, eine Regelung für das mobilen Arbeiten einzuführen?
Christian Schwarzenegger: Die Arbeitswelt verändert sich im Zuge der Digitalisierung, und die Pandemie hat diesen Prozess beschleunigt. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren viel dazugelernt. Die Online-Videokonferenzen zum Beispiel sind Standard geworden. Viele Kommunikationsprozesse wurden deutlich vereinfacht. Es wäre unverständlich, wenn wir diese neuen Möglichkeiten nicht auch weiterhin nutzen würden.
Stefan Schnyder: Die UZH versteht sich als eine Präsenzuniversität und zugleich als eine zukunftsgerichtete Arbeitgeberin. Mobiles Arbeiten als Ergänzung zur Präsenzarbeit kann dazu beitragen, bestimmte Aufgaben zielführender zu erledigen und den Arbeitsalltag einfacher zu gestalten, zum Beispiel, wenn an kürzeren Arbeitstagen die Pendelzeit wegfällt. Die Richtlinien der UZH zum mobilen Arbeiten schaffen dafür die reglementarischen Grundlagen.
Wie wird mobile Arbeit definiert?
Schnyder: Von mobiler Arbeit sprechen wir, wenn eine Arbeitsleistung freiwillig ortsunabhängig – ergänzend zur Arbeit an den üblichen Präsenzarbeitsorten – erbracht wird. Umgangssprachlich würden viele für ihre Situation wohl von «Home Office» sprechen. Mobiles Arbeiten ist aber etwas breiter aufzufassen.
Herr Menges, als Professor für HR-Management beobachten Sie den Wandel der Arbeitswelt aus Expertensicht. Welche Faktoren treiben diesen Wandel voran?
Jochen Menges: Der Wandel vollzieht sich gleichzeitig auf der technologischen und der ideellen Ebene. Auf der technologischen Ebene bestehen heute neue Möglichkeiten zur mobilen Arbeit, die vor einigen Jahren noch nicht denkbar waren – die Videokonferenzen sind nur ein Beispiel dafür. Auf der ideellen Ebene sind die Erwartungen gewachsen. Arbeit soll nicht nur dem Lebensunterhalt dienen, sondern auch zunehmend unseren emotionalen Bedürfnissen entsprechen. Die Universitäten sind von diesem Wertewandel zum einen mitbetroffen, zum anderen gestalten sie ihn auch mit, indem sie die nächste Generation von Erwerbstätigen ausbilden.
«Die Pandemie hat gezeigt,
dass mobiles Arbeiten
mit den Leistungszielen der UZH
zu vereinbaren ist.»
Jochen Mengens
Welche Konsequenzen sollte die UZH ziehen, um dem Wandel der Arbeitswelt Rechnung zu tragen?
Menges: Es geht darum, den technischen Möglichkeiten mit Neugier zu begegnen und ihre Vorteile zu nutzen. Und es gilt, auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden zu hören. Gefragt ist zumeist eine Mischung aus Zusammenarbeit vor Ort und Flexibilität bei der Wahl alternativer Arbeitsorte. Für meine Arbeit als Professor zum Beispiel ist der direkte Kontakt mit den Studierenden, meinem Team und meinen Kolleginnen und Kollegen vor Ort wichtig. Ich brauche aber auch Rückzugsmöglichkeiten, zum Beispiel um konzentriert einen Text zu schreiben. Und um den Austausch mit Forschenden ausserhalb der UZH zu pflegen, muss ich mobil sein. Ich denke, es ist nicht nur für Professorinnen und Professoren, sondern auch für viele andere Mitarbeitenden der UZH wichtig, Präsenzarbeit und ortsunabhängiges Arbeiten auf sinnvolle Weise kombinieren zu können.
Was sind Ihre Lehren aus der Pandemie?
Menges: Die Pandemie hat gezeigt, dass mobiles Arbeiten durchaus mit den Leistungszielen der UZH zu vereinbaren ist. Zugleich hat sie auch gezeigt, wie wichtig soziale Aspekte bei der Arbeit sind und wie einsam es sein kann, immer nur zuhause vor einem Bildschirm zu sitzen.
Schwarzenegger: Durch die Pandemie sind uns die spezifischen Vorzüge einer Präsenzuniversität bewusster geworden. Ein Studium ist nicht bloss Wissenserwerb aus Büchern, Podcasts und Online-Meetings. Zum Studium gehört auch das Diskutieren in Gruppen, der Austausch über erfolgreiche Lern- und Prüfungsmethoden, der Kontakt mit Dozierenden und anderen Studierenden und nicht zuletzt die gemeinsam verbrachte Zeit beim Sport oder in der Mensa.
Für die persönliche Entwicklung sind Freundschaften und Netzwerke aus der Studienzeit ganz zentral. Das alles ist nur möglich, wenn die Universität ein Begegnungsort im physischen Sinne bleibt. In der Phase, als Lehrveranstaltungen fast nur online angeboten wurden, gingen diese sozialen Kontaktmöglichkeiten plötzlich verloren. Ihr Fehlen hat bei einigen Studierenden zu Vereinsamung und auch zu psychischen Problemen geführt.
Wissenschaft lebt vom Austausch, das gilt auch für Dozierende und Forschende. Überspitzt könnte man sagen: Kreativität an einer Hochschule wächst umso stärker, je mehr Leute in der Nähe zu einer Kaffeemaschine arbeiten, wo man sich trifft und diskutiert und das Zusammengehörigkeitsgefühl pflegt. In einer reinen Online-Welt geht dieser soziale Kitt verloren.
«Arbeit bedeutet vor allem Zusammenarbeit.»
Stefan Schnyder
Ist Präsenz auch für das administrative Personal wichtig?
Schnyder: Ja, unbedingt, denn auch hier bedeutet Arbeit vor allem Zusammenarbeit. Und für eine gute, vertrauensvolle, von positiven Emotionen begleitete Zusammenarbeit bedarf es eines guten Teams. Der Zusammenhalt in einem Team muss gepflegt werden, und das geht fast nur in Präsenz.
Wie sollten sich Teams dem aktuellen Stand der Forschung gemäss am besten organisieren, Herr Menges?
Menges: Wichtig ist zunächst einmal, dass sich Teams so organisieren, dass sie die gemeinsamen Ziele erreichen. Damit das klappt, gilt es die emotionalen Bedürfnisse der Teammitglieder zu beachten und auch deren Unterschiedlichkeit wertzuschätzen. Wenn in Teams eine gute Stimmung entsteht, weil Mitarbeitende sich so bei der Arbeit so fühlen, wie sie es sich wünschen, dann ist das für sich genommen positiv und wirkt sich zudem noch vorteilhaft auf die Leistung aus.
Um unterschiedlichen Arbeitsanforderungen und unterschiedlichen emotionalen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, bedarf es eines flexiblen Arbeitszeitmodells. Sinnvoll ist sicher eine Struktur, die sowohl den lebendigen Austausch als auch konzentriertes Arbeiten erlaubt.
Für Universitäten ist diese Grundstruktur nichts Neues, sie hat hier eine lange Tradition. Die Unterscheidung von Vorlesungszeit und vorlesungsfreier Zeit ist ein besonders prägnantes Beispiel dafür. Während der Vorlesungszeit steht die Kopräsenz im Vordergrund, in der vorlesungsfreien Zeit oft die fokussierte Arbeit.
Schwarzenegger: Ich nenne ein Beispiel für die Anwendung dieser Grundstruktur im Kleinen: Am Institut für Informatik der UZH wurde dazu ein ganz simples arbeitspsychologisches Experiment gemacht. Die Mitarbeitenden erhielten jeweils eine Lampe. Wer in Ruhe für sich allein arbeiten musste, stellte sie auf Rot, und wer bereit war für ein Gespräch, auf Grün. Dadurch wuchs sowohl die Produktivität als auch die Präzision der Arbeitsergebnisse.
«Es gilt, die Vorzüge des mobilen Arbeitens
zu nutzen und zugleich das Selbstverständnis der UZH
als Präsenzuniversität weiterzuentwickeln.»
Christian Schwarzenegger
Woran hat sich die UZH bei der Konzeption der Richtlinien zum Mobilen Arbeiten orientiert?
Schwarzenegger: Das Ziel war, die Vorzüge des mobilen Arbeitens zu nutzen und zugleich das Selbstverständnis der UZH Präsenzuniversität weiterzuentwickeln. Wir sind dabei evidenzbasiert vorgegangen. Wir haben uns an wissenschaftlichen Resultaten orientiert, unter anderem an den Erkenntnissen von Jochen Menges. Er hat zusammen mit Lauren Howe (UZH) und Ashley Whillans (Harvard Business School) das sogenannte 3-2-2-Modell mitentwickelt, das momentan in der internationalen Fachwelt diskutiert wird. Demnach arbeitet man drei Tage vor Ort und zwei Tage ortsungebunden. Zwei Tage sind als Ruhetage ausgewiesen.
Was war die grösste Herausforderung bei der Formulierung einer gemeinsamen Richtlinie für die UZH?
Schwarzenegger: Die Bedingungen für mobiles Arbeiten sind an der UZH je nach Arbeitsbereich sehr unterschiedlich. Im Laborkontext oder im Betriebsdienst zum Beispiel ist mobiles Arbeiten schlicht nicht möglich. In anderen Bereichen ist das ortsungebundene Arbeiten schon lange eine Selbstverständlichkeit ist. Der UZH ist wichtig, dass in Bereichen, wo es betrieblich möglich ist, die einzelnen Organisationseinheiten und Teams eine jeweils angemessene Balance zwischen Präsenzzeit und mobiler Arbeit finden.
Schnyder: Um auch Personen, die im Teilzeitpensum arbeiten, attraktive Konditionen zu bieten, haben wir das 3-2-2-Modell flexibilisiert. Der Mindestanteil von sechzig Prozent Präsenzarbeit bezieht sich auf den jeweiligen Beschäftigungsrad. Der Rahmen dafür ist für alle gleich: Mobiles Arbeiten ist freiwillig, wenn also jemand ausschliesslich vor Ort arbeiten möchte, dann darf er das in jedem Fall tun. Umgekehrt gibt es kein Anrecht auf mobile Arbeit. Mobiles Arbeiten ist dann möglich, wenn es die betrieblichen Erfordernisse zulassen und die persönlichen Voraussetzungen gegeben sind.
«Die meisten aktuellen Studien zeigen,
dass eine Mischung aus Präsenzzeit und
Freiraum zum mobilen Arbeiten optimal ist.»
Jochen Mengens
Was spricht aus wissenschaftlicher Sicht für die Regelung, dass Mitarbeitende mindestens sechzig Prozent ihres Beschäftigungsgrades vor Ort arbeiten sollen?
Menges: Die meisten aktuellen Studien zeigen, dass eine Mischung aus Präsenzzeit und Freiraum zum mobilen Arbeiten optimal ist, und zwar sowohl im Hinblick auf die einzelnen Mitarbeitenden wie auch das Team als Ganzes.
Für die einzelnen Mitarbeitenden ist Präsenz vor Ort wichtig für ihre Identifikation mit der eigenen Arbeit, ihre soziale Einbettung und für die angemessene Beurteilung ihrer Arbeitsleistungen durch ihre Vorgesetzten.
Für das gute Funktionieren eines Teams ist die gleichzeitige Anwesenheit aller Teammitglieder, also die Kopräsenz, von zentraler Bedeutung. Kopräsenz fördert Wissensaustausch und Kreativität. Sie ermöglicht jene Spontanität des Austauschs, die während eines Zoom-Calls selten entsteht.
«Auf die Führungspersonen der UZH kommt
eine Reihe zusätzlicher Aufgaben zu.»
Stefan Schnyder
Mobiles Arbeiten erfordert also eine gezielte Koordination der Präsenzzeiten. Wird es dadurch anspruchsvoller, ein Team zu führen?
Schnyder: Ja, auf die Führungspersonen der UZH kommt damit eine Reihe zusätzlicher Aufgaben zu. Sie müssen unter anderem einschätzen, ob das mobile Arbeiten mit den betrieblichen Erfordernissen und dem Funktionieren des Teams vereinbar ist. Sie sind verantwortlich dafür, die Regelungen zum mobilen Arbeiten in ihren Organisationseinheiten im Einklang mit den Anforderungen einer Präsenzuniversität auszugestalten und dabei auch den Anliegen der Mitarbeitenden Rechnung zu tragen. Sie sollten auch berücksichtigen, dass nicht alle Mitarbeitenden die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens gleich gut ausschöpfen können. Hier gilt es, individuell angemessene Einzelentscheidungen zu treffen und die Spielregeln innerhalb des Teams transparent und fair zu gestalten.
Die Herausforderung ist, mit geeigneten Massnahmen die passende Balance zwischen Präsenzzeit und mobiler Arbeit im Team schaffen. Das reguliert sich nicht von selbst, vielmehr braucht es dafür eine kluge, vorausschauende Koordination durch Führungspersonen, die den Überblick haben, wer zu welchem Zeitpunkt wo arbeitet.
Gibt es auch Risiken im Zusammenhang mit dem mobilen Arbeiten?
Schnyder: Ich sehe mobiles Arbeiten als eine Chance. Es kann aber dann zum Risiko werden, wenn in übertriebenem, nicht betriebsverträglichen Mass davon Gebrauch gemacht wird.
Ich bin überzeugt, dass Vorgesetzte und Mitarbeitende sehr gut und verantwortungsvoll mit den neuen Freiräumen umgehen können und die damit einhergehende Chance klug nutzen. Wichtig ist, sich von vornherein flankierende Massnahmen zu überlegen. Wenn zum Beispiel viele Mitarbeitenden in einem Team von der Möglichkeit zum mobilen Arbeiten Gebrauch machen, sollten Vorgesetzte mit Ausgleichsmassnahmen für einen guten Teamzusammenhalt sorgen. Zum Beispiel, indem sie regelmässig einen gemeinansamen Lunch oder gemeinsame Informationsveranstaltungen organisieren.
Schwarzenegger: Die Vorgesetzten trugen schon während der Pandemie eine grosse Verantwortung, als sie diverse Stufen vom Lockdown bis zur Rückkehr in den Präsenzmodus organisieren mussten. In der Regel haben sie diese Verantwortung vorbildlich wahrgenommen, und die Teams haben sich schnell auf immer wieder neue Situationen eingestellt. Wir setzen bei der langfristig angelegten Weiterentwicklung der Arbeitskultur weiterhin auf die kollektive Lernfähigkeit der UZH.
«Wir setzen bei der Weiterentwicklung
der Arbeitskultur auf die
kollektive Lernfähigkeit der UZH.»
Christian Schwarzenegger
Welche Massnahmen sind vorgesehen, um diesen Lernprozess zu begleiten?
Schnyder: Erstens etabliert die Abteilung Personal ein Beratungs- und Coachingangebot für Führungskräfte zum Umgang mit dem mobilen Arbeiten. Zweitens führen wir Juni 2022 eine Befragung unter den Mitarbeitenden durch, um in Erfahrung zu bringen, wie es um den weiteren Entwicklungsbedarf hinsichtlich des mobilen Arbeitens steht. Und drittens startet die Universitätsleitung demnächst ein Pilotprojekt für interessierte Professorinnen und Professoren zur Stärkung der Campus-Leitidee gemäss dem an unsere Verhältnisse angepassten 3-2-2-Modell. Es soll von Jochen Menges geleitet werden.
Was ist das Ziel dieses Pilotprojekts?
Schwarzenegger: Es geht darum, mit positiven Anreizen einen direkten Austausch zwischen Professorinnen und Professoren, Forschenden und Studiereden zu fördern und gleichzeitig im akademischen Bereich Erfahrungen mit dem mobilen Arbeiten zu integrieren. Wie lässt sich die Campus-Kultur unter Einbezug digitaler Technologien erneuern? Dazu wollen wir Ideen sammeln, teilen und ausprobieren und auf diese Weise innovative Formen des akademischen Austauschs unterstützen. Wir wissen, dass die Mittelbau-Angehörigen und die Studierenden sehr an diesem lebendigen Austausch interessiert sind. Am Ende soll die gesamte Universität von den Erfahrungen dieses Projekts profitieren.
Gibt es einen Termin für eine erste Zwischenbilanz?
Schwarzenegger: Wir ziehen in einem Jahr eine erste Bilanz. Wenn die Evaluation der Pilotphase positive Resultate erbringt, setzen wir das Projekt fort.