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Quiz Auflösung

Schnabeltiere und Androiden

Liebe, Mut, Angst – Fabelwesen verkörpern Dinge, die Menschen seit Urzeiten bewegen, sagt Heinz-Ulrich Reyer. Im Interview erklärt der Zoologe, welche Bedeutung Einhorn, Drache & Co für die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte haben und weshalb sie uns heute noch faszinieren. Reyers neues Buch «Rendezvous der Fabelwesen» hat uns zu einem Quiz inspiriert. Die Gewinnerin und die Quiz-Auflösung finden Sie gleich im Kasten unterhalb des Interviews.
Interview: Roger Nickl
Auf den Spuren mythischer Fabelwesen wie dem Ungeheuer von Loch Ness: Der Zoologe Heinz-Ulrich Reyer. (Bild: zVg)

 

Heinz-Ulrich Reyer, Zoologen publizieren Vieles, schreiben aber in der Regel keine Bücher über Fabelwesen. Weshalb haben Sie es doch getan?

Heinz-Ulrich Reyer: Die meisten Fabelwesen sind Mischungen aus verschiedenen Tierarten – beispielsweise der Greif mit seinem Löwenkörper und dem Kopf und den Flügeln eines Raubvogels. Mit Mischwesen zwischen verschiedenen Arten (biologisch Hybride genannt) habe ich mich auch in meiner Forschung beschäftigt – genauer gesagt mit Ökologie, Evolution und Verhalten von Hybriden zwischen verschiedenen Froscharten.
Nach meiner Emeritierung 2012 habe ich diese Froschperspektive dann verlassen und mich breiter mit der Literatur zu Mischwesen beschäftigt: mit Mythologie, frühen Reiseberichten, Kulturgeschichte und anderen Bereichen – zunächst nur aus Interesse. Aber dann kam irgendwann der Gedanke: «Mensch, man müsste doch mal all diese verschiedenen Betrachtungsweisen zu Mischwesen synthetisieren und sie auch einer naturwissenschaftlichen Analyse unterwerfen.» Daraus entstand dann mein Buch «Rendezvous der Fabelwesen – Drache, Einhorn & Co zwischen Mythos und Wirklichkeit».

Welche Bedeutung haben Fabelwesen denn in der Wissenschaftsgeschichte?
Berichte über Fabelwesen – mögen sie nun aus der Mythologie indigener Völker oder aus frühen Reiseberichten über ferne Länder stammen – waren oft ein Anreiz nach bisher unbekannten Tierarten zu suchen. Nur ein Beispiel: das australische Schnabeltier. Als im 18. Jahrhundert die ersten Berichte über dieses eierlegende Säugetier mit Merkmalen von Vogel und Reptil nach Europa gelangten, glaubte man dort nicht an seine Existenz und hielt Präparate für Fälschungen, bei denen man einen Entenschnabel an ein Biber-ähnliches Tier genäht hatte.
In den meisten Fällen war die Suche nach Fabelwesen jedoch erfolglos, etwa die des Hamburger Tierhändlers Carl Hagenbeck, der hinter Mokele-Mbembe, einem mythischen Monster aus den Sümpfen Zentralafrikas, überlebende Saurier vermutete. Er schickte tatsächlich eine Expedition aus in der Hoffnung, Exemplare zu fangen und gewinnbringend an Zoos zu verkaufen. Auch die intensive Suche nach Meerjungfrauen, Bigfoot, dem Yeti, dem Ungeheuer von Loch Ness und anderen populären Fabelwesen blieb bisher erfolglos. Aber derartige Expeditionen haben oft zur Entdeckung von anderen vorher unbekannten Arten geführt.

Wann tauchte das erste Fabelwesen in der Geschichte auf? Und weshalb?
Fabelwesen sind uralt, aber ein genauer Zeitpunkt lässt sich nicht angeben – nicht nur weil schriftliche Dokumente fehlen, sondern auch weil sicher nicht ein bestimmtes Fabelwesen das erste war. Die älteste mir bekannte Darstellung eines Mischwesens ist der «Löwenmensch»: eine 30 cm hohe Figur mit dem Körper eines Menschen und dem Kopf einer Raubkatze – geschnitzt aus dem Elfenbein eines Mammutstosszahnes, gefunden in einer Höhle nahe der Stadt Ulm und auf ein Alter von rund 40'000 Jahren datiert. Man weiss nicht, warum die Schnitzerei hergestellt wurde und was sie darstellen soll – vielleicht einen Schamanen, dessen Seele in den Körper eines Löwen geschlüpft ist.

Fabelwesen kennen wir vor allem aus Mythen – welche Rolle spielen sie dort?
Mythologische Fabelwesen repräsentieren – genau wie Gottheiten, Dämonen und Geister – Erklärungen für Phänomene, deren wahre Ursachen den Menschen früherer Zeiten unverständlich waren: Entstehung des Lebens, Wandel der Natur mit den Jahreszeiten oder Wechsel zwischen Tag und Nacht. Typische Beispiele für solche Erklärungen liefern die Schöpfungsmythen vieler indigener Völker. Bei den australischen Aborigines wird die Entstehung der Welt und allen Lebens mit den Aktivitäten der Regenbogenschlange Ungud erklärt, bei den südafrikanischen San mit den Tätigkeiten der Gottesanbeterin Khaggen.
In der Mythologie der nordamerikanischen Hopis erdachte der Sonnengott Tawa alle Lebewesen, worauf die Spinnenfrau Kokyang Watu seine Gedanken aus Speichel und buntem Sand zu den entsprechenden Gestalten formte. Und in der nordischen Mythologie wird Buri, der Stammvater der Götter, von der Urkuh Audhumbla aus einem salzigen Eisblock geleckt.

Reyer mit Buch
Fabelwesen faszinieren uns gerade deshalb, weil es keinen Beleg für ihre Existenz gebe, sagt Heinz-Ulrich Reyer. (Bild: zVg)

 

Weshalb faszinieren uns diese Fantasiewesen auch heute noch?
Ein wesentlicher Grund liegt meines Erachtens in der Tatsache, dass es keinerlei Belege für ihre reale Existenz gibt. Man kennt ihren Ursprung und ihre wahre Natur nicht. Wie sagte doch Albert Einstein: «Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle.» Da echte Fabelwesen in der Natur bisher nicht gefunden wurden, bleibt das Geheimnisvolle erhalten. Als erdachte Kreaturen können sie zu keiner Zeit widerlegt werden.
Neben dieser blossen Faszination für das Geheimnisvolle erfüllen Fabelwesen aber auch weiterhin ihre traditionelle Rolle als Verkörperungen von Dingen, die uns Menschen seit Urzeiten bewegen: persönliche Empfindungen wie Liebe, Eifersucht, Hass, Mut und Angst, aber auch Bedrohungen wie Erdbeben, Vulkanausbrüche, Hurrikans, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen. Diese Empfindungen und Bedrohungen sind zeitlos, und damit sind es auch die sie verkörpernden Fabelwesen.

Das Einhorn ist heute wohl das populärste Fabelwesen. Können Sie sich vorstellen weshalb?
Nicht wirklich, es gibt dafür vermutlich auch nicht einen einzigen Grund. Die Gestalt des Einhorns hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Im alten China galt das einhornähnliche Qilin zusammen mit dem Drachen Long, der Schildkröte Gui und dem Feuervogel Fenghuang als eines der vier Wundertiere, die als mildtätig und glückbringend verehrt wurden. Die ersten Reiseberichte aus der Antike hingegen sprechen von einem starken, wilden und aggressiven Tier. Im christlichen Mittelalter wurde seine Stärke zum Sinnbild für Jesus Christus, der über den Tod gesiegt hat; das Horn stand für das Kreuz, an dem er gestorben ist. Die Anmut des pferdeähnlichen Tieres wurde zum Symbol für Keuschheit und unbefleckte Empfängnis. Ärzte und Alchemisten wiederum fokussierten auf das Horn, das – zu Pulver verarbeitet – angeblich Krankheiten heilen, Gifte neutralisieren und die Umwandlung von unedlen in edle Stoffe unterstützen konnte.
Wegen dieser vielfältigen Symbolik gibt es auch heute ganz verschiedene Gründe für die Beliebtheit des Einhorns. Ein Einhorn im Familien- oder Stadtwappen soll sicher Stärke verkörpern; in esoterischen Kreisen gilt es als ein Krafttier mit heilender Wirkung; in der LGBTQ-Community steht es – oft in Verbindung mit dem Regenbogen – für Buntheit und Toleranz; und viele Kinder sind vermutlich einfach von der niedlichen, meist kuscheligen Pferdegestalt begeistert.

Das Einhorn hat bereits eine lange Geschichte hinter sich, werden auch neue Fabelwesen «erfunden»?
Ja, ständig. Wir brauchen nur an Cyborgs, Robots, Androiden und andere Mensch-Maschine-Mischwesen aus der Science Fiction Szene zu denken; an Ausserirdische wie ET, Gremlins und Reptiloide oder an manche Gestalten aus Büchern wie Harry Potter oder Herr der Ringe.
Auch rein tierische Fabelwesen werden immer wieder neu «entdeckt» – beispielsweise Ende des 20. Jahrhunderts in der Karibik und in Mittel- und Südamerika. Dort häuften sich plötzlich Berichte über haarlose hundeähnliche Monster mit grossen hypnotischen Augen, spitzen Fangzähnen, ungewöhnlich langen Krallen, Stacheln auf dem Rücken und der Fähigkeit, ihre Farbe dem Hintergrund anzupassen wie ein Chamäleon.
Da sie angeblich nach Vampirart Ziegen und Schafen das Blut aussaugen, erhielten sie den Namen Chupacabra, ein spanisches Wort für Ziegensauger. Zwar handelt es sich bei derart seltsam aussehenden Tieren um von Räude befallene und entstellte Hunde, Wölfe, Füchse und Koyoten, aber der Glaube an die Existenz des Chupacabra ist inzwischen fest etabliert und weit verbreitet – nicht zuletzt dank des Internets.

Welches ist Ihr Lieblingsfabelwesen?
Ich glaube, es ist «Nessie», das Ungeheuer aus dem schottischen See Loch Ness. Das ist vielleicht nicht besonders originell. Aber ich mag diese Kreatur, weil sie so deutlich einen Widerspruch aufzeigt. Es gibt nicht einen einzigen wissenschaftlichen Nachweis, dass dieses Wesen wirklich existiert, keine eindeutige Filmszene, kein Foto, das nicht gefälscht wäre; und doch wollen Tausende, vielleicht Zehntausende, «Nessie» gesehen haben. Dieser Widerspruch verdeutlicht, wie gern der Menschen bei aller Rationalität immer wieder zu irrationalen Annahmen neigt – was wir ja auch gerade bei Verschwörungsideologien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie wieder sehen.

 

Literatur: Heinz-Ulrich Reyer: Rendezvous der Fabelwesen. Drache, Einhorn & Co zwischen Mythos und Wirklichkeit, Verlag wbg Theiss 2021

 

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