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«Mein Interesse für die Menschenrechte begann in den 1980er-Jahren in Lausanne am Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung», erzählt Hanna Machińska. Bald erhielt sie eine Einladung der Europäischen Kommission nach Brüssel, wo sie sich mit den Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaft vertraut machen konnte. 1981 schlug der Europarat dem Rektor der Universität Warschau vor, dort das erste Informationszentrum zur Stellung und zu den Aufgaben des Europarats zu eröffnen, und Hanna Machińska wurde zu dessen Direktorin ernannt. Die innenpolitische Lage damals war sehr angespannt, da Wojciech Jaruzelskis Regime hart auf die Demokratiebewegungen und die freie Gewerkschaft Solidarność reagierte und Polen fast zwei Jahre lang unter Kriegsrecht setzte, was die Bürgerrechte aushebelte.
Nach der Jahrtausendwende wurde das Zentrum acht Jahre lang zum Informationsbüro des Europarats selbst und ab 2011 zum ersten offiziellen Büro, das der Europarat ausserhalb von Strassburg unterhielt – bis es 2017 von der polnischen Regierung geschlossen wurde. Doch auch davon liess sich Hanna Machińska nicht beirren, sie setzt sich weiterhin für die Menschenrechte in Polen ein. «Die Wahrung der Menschenrechte ist eine nie endende Aufgabe, auch in demokratischen Ländern», so ihr Fazit.
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät hat die mittlerweile 71-jährige Juristin Hanna Machińska denn auch zur Ehrendoktorin ernannt, um deren lebenslangen Einsatz für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zu würdigen. «Die Weltlage zeigt, dass diese Werte, die das Fundament des Europarats, der EU und nicht zuletzt auch der Schweiz bilden, zunehmend bedroht sind», sagte UZH-Professorin Regina Kiener vom Institut für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht.
«Das Engagement von Hanna Machińska führt uns vor Augen, dass diese Werte am Leben erhalten werden, solange es Menschen gibt, die sich unermüdlich dafür einsetzen, und zwar um der Menschen selbst willen, denen diese Werte ein Leben in Freiheit und Sicherheit ermöglichen.»
Hanna Machińska ist seit 2017 als stellvertretende Menschenrechtskommissarin von Polen tätig. Als solche ist sie eine der wenigen, die in Krisensituationen Zugang zu Notstandsgebieten und Sperrzonen hat. So zum Beispiel als der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko letzten Herbst Tausende von Flüchtlingen aus Syrien, Jemen und dem Irak an die polnische Grenze verfrachten liess, mit dem falschen Versprechen, dass sie dort einfach in die EU reisen könnten.
Als Polen daraufhin eine mit Grenzschutzbeamten gesicherte Sperrzone zu Belarus errichtete, konnte sich Hanna Machińska vor Ort ein Bild der prekären Menschenrechtslage machen. Sie kritisierte die fehlende humanitäre Hilfe, die unmenschliche Trennung von Eltern mit Kindern, die erniedrigenden Misshandlungen und systematischen Zurückschiebungen (Pushbacks), die von beiden Seiten begangen wurden. Die Pushbacks von flüchtenden oder migrierenden Menschen unmittelbar nach Grenzübertritt verunmöglicht es diesen, einen Asylantrag zu stellen, was gegen das Recht auf Asyl nach EU-Recht und gegen die EU-Charta der Grundrechte verstösst.
Hanna Machińska setzte sich damals wie heute dafür ein, dass die humanitären Standards in Polen für Flüchtende und Asylsuchende eingehalten werden. Zum einen hilft sie auf juristischer Ebene, indem sie Rechtsverstösse an die polnische Staatsanwaltschaft übermittelt. Zum anderen nutzt die Juristin Hanna Machińska ihren Status als zuständige Menschenrechtskommissarin für die Bereiche «Polizei und Migration» auch in Krisengebieten, um verschiedenen Hilfsorganisationen wie zum Beispiel dem Internationalen Roten Kreuz oder «Ärzte ohne Grenzen» den Weg durch Polizei- oder Militärkontrollen zu den Flüchtlingen zu ermöglichen.
Für die Menschenrechtskommissarin Hanna Machińska steht der legitime Wunsch Polens, seine Grenzen zu schützen, nicht im Widerspruch zum Schutz flüchtender Menschen. Sie versteht ihre Funktion als Ombudsstelle, wo beide Anliegen – jene des Staates Polen und jene der Migrantinnen und Migranten – ernst genommen werden und die rechtliche Situation von Fall zu Fall beurteilt wird. Sie plädiert dafür, dass Polen nicht auf eine strenge Politik der Abschreckung und Ablehnung setzt (wie es ihr Heimatland bis zum Ukraine-Krieg tat), sondern dass Menschen, die belegen können, dass sie Schutz brauchen, in Polen bleiben können.
Seit Putins Krieg gegen die Ukraine sind mehr als 1,3 Millionen Ukrainer und Ukrainerinnen nach Polen geflohen. Anders als bisher unterstützt die polnische Regierung und der Grenzschutz die Flüchtlinge nach besten Kräften – was Hanna Machińska bei ihrem Besuch der ukrainisch-polnischen Grenzorte Anfang März bestätigen konnte. Weshalb dieser Gesinnungswandel innerhalb eines Jahres?
«Die ukrainischen Flüchtlinge haben dieselbe Religion, Kultur und eine ähnliche Sprache», erklärt Hanna Machińska, «ausserdem hat Polen selbst sehr unter der Aggression Russlands gelitten, was das Verständnis für die Menschen in der Ukraine zusätzlich fördert. Die Kriege in Ländern Afrikas oder des Nahen Ostens hingegen sind nicht wirklich nachvollziehbar und die politische Botschaft oft sehr feindselig gegenüber dem Westen – wobei nicht vergessen gehen darf, dass die lokale Bevölkerung und die Aktivistinnen und Aktivisten sich meist sehr freundlich und helfend verhalten.»
Hanna Machińska besuchte mit anderen Menschenrechtskommissaren der regionalen Ombudsstellen im März die Grenzübergänge von Krościenko, Korczowa, Medyka, Zosin u. a. Sie brachten humanitäre Hilfe, Medizin und Nahrungsmittel mit und trafen sich mit Vertretern der ukrainischen Ombudsstellen von Kiew und Lviv. In ihrem Bericht vom 10. März 2022 ziehen sie eine positive Bilanz der Menschenrechtslage in den polnisch-ukrainischen Grenzorten.
Sie fanden bei den besuchten polnischen Grenzposten geheizte Zelte vor, wo sich die Geflüchteten nach dem Grenzübertritt ausruhen konnten und wo sie warme Mahlzeiten, Getränke und Bekleidung erhielten. Orte wie Krościenko werden als vorbildlich erwähnt, da dort die humanitäre Hilfe den Flüchtenden noch vor der Registrierung zuteilwird. Die medizinische Versorgung der Flüchtenden sei überall gesichert und ihre Weiterreise so organisiert, dass sie die zahlreichen nachkommenden Flüchtlinge nicht behindere.
Grenzübertritte von Personen, die keinen ukrainischen Pass vorweisen können, werden an einem gesonderten Ort geprüft und ebenfalls korrekt durchgeführt, ist im Bericht zu lesen. Einzig die Kommunikation zwischen den Grenzschutzbehörden und den Ämtern im Landesinneren, die Aufenthaltsbewilligungen erteilen, sollte noch verbessert werden.
Somit stellt sich die Frage, was es braucht, damit Polen, aber auch andere Nationen die Rechte von Flüchtenden und Asylsuchenden respektieren. Die Antwort von Hanna Machińskas ist klar: «Es braucht gemeinsame Anstrengungen vieler Staaten. Die wichtigsten Garanten für Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sind die Europäische Union, die UNO und die NATO. Darüber hinaus sollten sehr strenge Sanktionen ergriffen und die Täter, einschliesslich der Politiker, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Nur so lassen sich Verstösse gegen die Menschenrechte verhindern.»