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«Bis jetzt habe ich nichts gefunden, was mich nicht interessiert, oder was ich nicht machen könnte», erzählt Chemiedoktorand Simon Klingler in seinem Büro am Irchel. Und in der Tat sind Klinglers Fähigkeiten und Interessen enorm breit: Chemie, Biologie, Biochemie, Physik, Informatik – mit all diesen Disziplinen hat er in seiner Doktorarbeit zu tun.
Vor ihm auf dem schmalen Tisch steht der Prototyp einer Maschine, die er selbst entwickelt hat. Damit lassen sich Tracer für die Krebsdiagnostik automatisiert und einfach herstellen. Die Teile der Maschine hat er mittels CAD am Computer gezeichnet, im 3-D-Drucker der AddManFactory drucken lassen und dann alles zusammengebastelt, verkabelt und optimiert. Bei der Entwicklung der Hardware half ihm eines seiner Hobbies: Computer bauen. In nur sieben Monaten hat er den Automaten von Null auf entwickelt. Damit lassen sich die in der Krebsdiagnostik wichtigen radioaktiven Tracer («radio tracer») einfacher, schneller und kostengünstiger herstellen als bisher. Hat er wirklich den ganzen Automaten selbst gemacht? «Wenn mich etwas genügend interessiert, lerne ich es, auch wenn es anstrengend ist», antwortet er. Und die «radio tracer» interessieren ihn definitiv.
Die Faszination dafür begann im dritten Studienjahr an der UZH, während einer Vorlesung zu Radiochemie von Chemieprofessor Jason Holland. Dort lernte er das Prinzip der «radio tracer» und deren Wert für die medizinische Diagnostik kennen: «radio tracer» sind radioaktive Markierungsstoffe, die im Körper von Betroffenen Krebszellen aufspüren können. Ein «radio tracer» besteht aus einem «grossen» Hauptbestandteil, Vektor genannt; daran wird über ein Verbindungsteil (Linker) ein radioaktives Isotop, zum Beispiel der Elemente Gallium, Kupfer oder Zirkonium (Label) angehängt. Der Vektor bindet selektiv an die Oberfläche der Krebszellen, und das radioaktive Label markiert sie, sodass sie auffindbar werden.
Die Forschenden geben die gelabelten «radio tracer» über die Venen in den Blutkreislauf. So gelangen sie überall im Körper hin. Stossen sie auf Krebszellen, binden sie chemisch daran. Mithilfe des bildgebenden Verfahrens PET (Positronen-Emissions-Tomographie), das Stoffwechselvorgänge sichtbar macht, sieht man von aussen, wo im Körper sich die «radio tracer» angereichert haben. «Die Krebszellen sind dort, wo die «radio tracer» auf dem PET-Bild gehäuft zu sehen sind», erklärt Simon Klingler.
Nach der Radiochemie-Vorlesung fragte Student Klingler den Professor, ob er in seiner Forschungsgruppe noch Platz für ihn habe. Jason Holland fand, ja klar. Für die Bachelorarbeit musste Klingler die Verbindungsteile (Linker) optimieren, mit denen das radioaktive Label an den Vektor angehängt wird. Er wählte als Linker das stabile, photoaktivierbare Molekül Arylazid, das nur dann eine chemische Reaktion eingeht, wenn man UV-Licht darauf strahlt (statt wie bisherige Linker dauernd reaktiv zu sein). Unter UV-Licht reagiert Klinglers optimierter Linker innerhalb von nur 15 Minuten mit dem Vektor. Das ist etwa zehnmal schneller als bei bisherigen Standardverfahren. Nach sechs Wochen war Klinglers Bachelorarbeit fertig. Und erhielt von Jason Holland die Bestnote und einen der Semesterpreise der UZH.
Seit knapp einem Jahr ist Chemieprofessor Jason Holland Simon Klinglers Doktorvater. Dessen Team entwickelt «radio tracer», die viel spezifischer als bestehende «radio tracer» an Krebszellen binden. Als Vektor benutzt Doktorand Simon Klingler den Antikörper Herceptin. Herceptin wurde bereits vor gut zwanzig Jahren entwickelt und ist mittlerweile das Standardmedikament gegen viele Brusttumore. An Herceptin hängt Klingler als Label radioaktives Zirkonium. Und zwar über seinen in der Bachelorarbeit entwickelten Linker. So dient Herceptin sowohl als Hauptbestandteil der von Klingler entwickelten «radio tracer», die den Brustkrebs aufspüren, als auch als Medikament gegen die Tumore.
Simon Klingler hat es schon bei seiner Bachelorarbeit gefallen, dass das Molekül, das er herstellt, keinem Selbstzweck folgt, sondern auch einen medizinischen Nutzen hat. Ein grosses Aber gab es trotzdem: Der Herstellungsprozess von Antikörper-basierten «radio tracern» ist bis heute mühselig, das chemische Verfahren ist aufwändig. So kommt es, dass bis heute nur eine Handvoll Spitäler weltweit Antikörper-basierte «radio tracer» für die Krebserkennung herstellen. In der Schweiz macht das noch kein Spital, nicht einmal das USZ.
Das Faktum, dass Spitäler derzeit keinen Zugang zu Antikörper-basierten «radio tracern» haben, könnte Simon Klinglers selbstgebauter Automat nun ändern. Damit lassen sich die «radio tracer» einfach und kostengünstig herstellen. «Man muss nur die benötigten Flüssigkeiten in der richtigen Menge in meine Maschine pipettieren. Dann kann man einen Knopf drücken, worauf der Automat alles selbständig erledigt. In der Zwischenzeit kann man einen Kaffee trinken gehen, und wenn man zurückkommt, sind die gelabelten ‹radio tracer› fertig», erklärt Klingler. «Mit unserer Methode sind die ‹radio tracer› sofort brauchbar, um in einem Körper die Krebszellen zu detektieren, also zu erkennen.» Das effiziente Verfahren würde allen Spitälern, die über einen PET-Scanner verfügen, Zugang zu Antikörper-basierten Tracern ermöglichen.
Tests mit Labormäusen haben gezeigt, dass Klinglers automatisiertes Verfahren zur Herstellung von «radio tracern» nicht nur schneller, sondern auch besser als das derzeitige Standardverfahren funktioniert. Auf den PET-Bildern erkennt man anhand der Farben sofort, dass Klinglers vom Automaten gelabelte «radio tracer» nur an die Krebszellen binden – und nicht noch verstreut in den umliegenden gesunden Zellen zu finden sind wie beim Standardverfahren. «Wir sehen, wie unsere ‹radio tracer› im ‹Patienten› wirken – auch wenn der Patient in unseren Tests noch eine Maus ist», sagt Klingler. «Man möchte halt schon gerne wissen, ob die Moleküle, die man zur Krebserkennung hergestellt hat, auch in einem lebendigen Mausorganismus nützlich sind.»
Anregungen für seine Doktorarbeit hat Simon Klingler immer auch in der Forschungsgruppe von Jason Holland gefunden. Wie würde er den Spirit dort beschreiben? «Ich kann mega wilde Ideen entwickeln, die über die klassische Chemie hinausgehen», sagt Klingler. «Wenn ich Jason von meiner Idee überzeugen kann, kann ich sie auch zu realisieren versuchen. Es heisst bei ihm eigentlich nie: Das können wir nicht. Sondern meist: Finde heraus, wie wir das machen können.»