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Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten degenerativen Krankheiten. Sie verursachen grosses Leid und hohe Kosten. Die Krux dabei: Es gibt oft keine nachhaltige Therapie. Biochemiker Stefan Dudli möchte das ändern. Er erforscht Schmerzen im unteren Bereich des Rückens, die durch entzündliche Veränderungen des Knochenmarks entstehen – sogenannte Modic Changes (MC), benannt nach dem Radiologen Michael Modic, der diese 1988 beschrieben hat.
In der Schweiz erkranken jährlich etwa 30000 Menschen an dieser Art chronischer Rückenschmerzen, in den USA sind es etwa 1,5 Millionen. Was die Krankheit verursacht, wissen die Forscher noch nicht mit Sicherheit. «Im Moment gibt es dazu zwei Hypothesen», sagt Stefan Dudli. Die eine geht von einer Autoimmunreaktion des Knochenmarks aus, ausgelöst durch Abfallstoffe der degenerierten Bandscheibe. Die andere macht Bakterien für die Entzündung verantwortlich.
Das Ergebnis ist dasselbe. Doch für die Therapie macht es einen grossen Unterschied. Bakterien werden am besten mit Antibiotika bekämpft. Bestätigt sich jedoch die Hypothese der Autoimmunreaktion, dann braucht es einen anderen Entzündungshemmer. Hier setzt Dudlis Idee für eine nachhaltige Behandlung ein, an der er im Moment arbeitet. Er ist dabei, eine Therapie mit Stammzellen zu entwickeln, um die Entzündung zu unterbinden. «Damit würde auch der Schmerz verschwinden.»
Im Gegensatz zur Behandlung mit Cortison und anderen Steroiden, die den Schmerz nur vorübergehend lindern, will Dudli mit Hilfe von Stammzellen die Autoimmunreaktion, die zur Entzündung führt, verhindern.
Angefangen hat Dudlis Beschäftigung mit Rückenschmerzen in einem Internetcafé in Patagonien vor mehr als einem Jahrzehnt. Nachdem er sein Biochemiestudium an der UZH abgeschlossen hatte, verwirklichte er einen seiner Träume und fuhr mit dem Velo von Alaska nach Feuerland. Zwanzig Monate war er unterwegs.
«Damals war ich mir nicht im Klaren, ob ich doktorieren soll oder nicht», erzählt er rückblickend. Gegen Ende seiner Reise wies ihn seine damalige Freundin und heutige Frau auf ein Doktorat mit dem Thema Rückenschmerzen hin. Das klingt spannend, dachte Dudli und meldete sich beim verantwortlichen Professor Stephen Ferguson. Dieser zeigte sich interessiert.
Doch es gab ein Problem: «Er wollte unbedingt eine Videokonferenz machen», erinnert sich Dudli, der das keine gute Idee fand. «Ich hatte meine Haare monatelang nicht geschnitten und trug zerlumpte Kleider.»Es ging dann auch ohne Video, und nach einem dreissigminütigen Telefonat hatte Dudli die Stelle. Wohl auch, weil Ferguson selbst ein begeisterter Velofahrer ist.
Heute, elf Jahre später, baut der 38-Jährige an der Klinik für Rheumatologie des Universitätsspitals Zürich und der Universitätsklinik Balgrist seine eigene Forschungsgruppe auf. Und dies mit einer Doppelstrategie, die darauf basiert, die Rückenschmerzen besser zu verstehen und gleichzeitig eine potente Therapie dafür zu finden.
Seine Forschung ist ein Paradebeispiel für das Credo «vom Labor ans Krankenbett» (from bench to bedside), das darauf abzielt, aus Grundlagenforschung Medikamente und Therapien zu entwickeln.
Dudlis Stammzellen-Therapie ist zugleich eine Geschäftsidee, für deren Weiterentwicklung er unter anderem ein MedTech Entrepreneur Fellowship der UZH erhalten hat, das mit 150000 Franken dotiert ist. Das Fellowship wird via die UZH Foundation von der Werner Siemens Stiftung finanziert. Der pekuniäre Zustupf sei allerdings nur ein Aspekt des Fellowship, betont Dudli: «Genauso wichtig ist das Training, das vom Innovation Hub der UZH angeboten wird. Wir lernen, was es braucht, um ein Startup zu gründen, und wir erhalten Zugang zum Netzwerk der Biotech-Startups und zu potenziellen Geldgebern.»
Insgesamt hat Stefan Dudli bisher rund 1,6 Millionen Franken eingeworben. «Meine Forschung ist für die nächsten zwei Jahre finanziert.» Der Weg bis zu einem zugelassenen Produkt sei aber noch weit, betont der Biochemiker: «Ich rechne mit etwa zwölf Jahren.» Der Prozess könnte sich allerdings beschleunigen, wenn er potente Geldgeber findet, Risikokapital, das hilft, die Brücke von der Grundlagenforschung zu einer marktreifen Therapie zu schlagen.
Falls sich diese Möglichkeit bietet, würde Dudli dafür eine Startup-Firma gründen. Er kann sich vorstellen, Unternehmer zu werden. Eine Denkweise, die heute bei jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern weiter verbreitet ist als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Geprägt haben Dudli in dieser Hinsicht seine drei Jahre als Postdoc an der University of California. «In den USA überlegen sich die Forschenden ständig, wie sie aus ihrer Grundlagenforschung ein für die Industrie interessantes Produkt machen könnten.»
Das deckt sich mit Dudlis Motivation, die Dinge nicht nur zu verstehen, sondern den Patienten zu helfen: «Grundlagenforschung ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel zum Zweck.» Will heissen: Sie soll die Grundlage für Therapien schaffen. Für den Moment setzt er aber auf eine akademische Karriere: «Mein Ziel ist eine Assistenzprofessur.» Das würde ihm die Zeit und die finanziellen Mittel verschaffen, um seine Forschung langfristig voranzutreiben. Vielleicht bietet sich dereinst die Chance, Unternehmer zu werden. Was dann? «Dann werde ich mich entscheiden müssen, was ich mache», sagt Dudli. Ob Wissenschaftler oder Unternehmer: Die Zukunft ist offen und verheissungsvoll.