Navigation auf uzh.ch
Besonders lustvoll ist das Leben in Zeiten der anhaltenden Corona-Pandemie wahrscheinlich für die meisten nicht. Vielleicht kein schlechter Zeitpunkt, darüber nachzudenken, wie wir es denn mit der Lust und ihrer Gegenspielerin, der Unlust, so halten. Genau dies tat Ende der letzten Woche die dritte Ausgabe des Zürcher Philosophiefestivals unter dem Patronat der UZH im Kulturhaus «Kosmos». An zahlreichen Veranstaltungen beschäftigten sich Kulturschaffende, Autorinnen und Autoren, Therapeutinnen und Therapeuten und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Donnerstag bis Samstag aus ganz unterschiedlichen Perspektiven mit dem Thema «Hast du Lust?». Die Referate und Podien wurden online live-übertragen. Man konnte sich also zuhause lustvoll ins Sofa fläzen und sich von dort aus auf Denkreisen mitnehmen lassen.
Etwa von der Diskussionsrunde, die sich am Samstagabend mit Thema «Nö. Von der Unlust auf Anstrengung und Moral» auseinandersetzte. Unter der souveränen Leitung von Ethikerin und TV-Moderatorin Barbara Bleisch durchwanderten die UZH-Psychologin Katharina Bernecker, der UZH-Philosoph und Ethiker Stefan Riedener und der deutsche Schriftsteller Leif Randt, der aus Lanzarote zugeschaltet wurde, das unebene Gelände zwischen Selbstkontrolle und Lustgewinn, Lifestyle und Moral, Diskussionen über Fleischverzicht an der Grillparty und ambivalente Selbst-Achtsamkeit. Randts kontrovers diskutierter Roman «Allegro Pastell», der im letzten Frühling erschienen ist, war Ausgangspunkt und immer wieder Referenzpunkt der Diskussion.
«Allegro Pastell» erzählt eine Liebesgeschichte aus den späten 2010er-Jahren und nimmt gleichzeitig das Lebensgefühl der heutigen Thirtysomethings aufs Korn. Seine beiden Protagonisten, die Schriftstellerin Tanja und der Webdesigner Jerome überlassen wenig dem Zufall, alles wird kalkuliert, reflektiert und zielt auf den maximalen Lustgewinn ab. Ihr Leben ist durchzogen von «wohltemperierter Lust» und darauf ausgerichtet «publikumswirksam eine gute Zeit zu haben». Etwa mit Yogastunden, die Jerome nicht bucht, weil Yoga Spass macht, sondern weil es gut aussieht. Das sei fragwürdig, findet die Psychologin Katharina Bernecker, die sich in ihrer Forschung mit psychischer Selbstkontrolle und mit hedonistischen Verhalten auseinandersetzt. «Hedonistischen Zielen nachzugehen ist wichtig für unser Wohlbefinden», sagt sie. Wichtig sei dabei aber, dass man eine Yogastunde vorbehaltlos geniessen kann. Sie sollte keinen bestimmten Zweck verfolgen – etwa den, die Leistung zu steigern. Selbstvergessenheit sei vielleicht einer der lustvollsten Momente, so Bernecker.
Doch wie steht es um das «Nö», die Unlust an der Moral?, fragte Moderatorin Barbara Bleisch die Diskussionsrunde. Etwa wenn ich weiss, dass ich eigentlich vegan leben sollte, dem Duft von Würsten aber nicht widerstehen kann. Zu wissen, was moralisch zu tun wäre, es aber dennoch nicht zu machen, sei ein Ausdruck von Willensschwäche, meinte der Philosoph Stefan Riedener. Dann seien wohl viele von uns willensschwach, entgegnete Bleisch, denke man an Partygespräche am Grill, die sich zuweilen darum drehen, weniger Fleisch zu essen oder weniger zu fliegen. Oft hätten wir schwammige Vorstellungen von unseren moralischen Pflichten, sagte Riedener, wir werten sie nicht absolut und machen deshalb immer wieder Ausnahmen.
Reflexion und Kalkül auf der einen, Lust und Leidenschaft auf der anderen Seite. In seinem «Treatise of Human Nature» bezeichnete der britische Philosoph David Hume (1711-1776) die Vernunft als Sklavin der Leidenschaften. Das sei problematisch, sagte Stefan Riedener. Denn jedem Wunsch gehe auch ein Urteil voraus, das sich kritisieren lasse. Leidenschaften und Vernunft durchdringen sich quasi gegenseitig.
Auf die Frage von Moderatorin Barbara Bleisch, was ein gutes Leben ausmache – und wie viel Hedonismus denn letztlich verträglich sei, antwortete Riedener: Eine Pille, die uns beim Betrachten einer weissen Wand glücklich mache, könne jedenfalls nicht die Lösung sein. Hedonismus, so wie ihn schon einer seiner Begründer, der Philosoph Epikur dachte, beinhalte auch die Lust am Studieren und Reflektieren. Letztlich kreise ein gelungenes, sinnstiftendes Leben nicht nur egozentrisch um einen selbst, sondern gehe über die eigene Person hinaus. Wie das gehen kann, lebt der Philosoph vor: Riedener hat als Mitglied von givingwhatwecan.org das Versprechen abgegeben, bis ans Lebensende mindestens zehn Prozent seines Einkommens für gute Zwecke zu spenden.
Videos der Veranstaltungen des Zürcher Philosophiefestivals sind noch bis Ende Januar auf dem Youtube-Kanal des «Kosmos» abrufbar.