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Frau Stark, Ende September hat die Universitätsleitung die Open Science Policy verabschiedet. Was will die Universität damit erreichen?
Elisabeth Stark: Wir möchten Open Science als Standard etablieren und die Universität dabei in eine führende Position bringen: «Open by default», wie wir sagen. Wir sind überzeugt, dass Open Science die Forschung befördert, verbessert und Durchbrüche beschleunigt. Das beste Beispiel dafür ist die Pandemie. Nur weil die Forscherinnen und Forscher von Beginn weg ihre Daten geteilt haben, konnten das Virus schnell verstanden und die Impfstoffe so rasch entwickelt werden.
Open Science hat eine längere Geschichte, die Bewegung ist in den letzten Jahren aber stark gewachsen und befindet sich nun an einem Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt. Der Schweizerische Nationalfonds verlangt zum Beispiel ab 2024, dass alle öffentlich geförderten Publikationen kostenlos zugänglich sein müssen. Die Policy setzt den Rahmen für die Umsetzung an der UZH.
Ist der offene Austausch von Forschungsergebnissen der wichtigste Punkt?
Stark: Der freie Austausch neuer Erkenntnisse ist sicher der zentrale Punkt und gilt für alle Disziplinen. Geteilte Daten und Erkenntnisse verbessern die Forschung nachweislich, es geht also in erster Linie um Qualität. Wenn eine Forschungsgruppe ein Ergebnis gefunden hat, ist es wichtig, dass dieses von anderen überprüft und bestätigt wird, damit anhand des Ergebnisses rasch weitergeforscht werden kann. Weitere wichtige Themen sind Transparenz und Teilhabe.
Frau Schneuwly, Sie sind Oberassistentin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Begrüssen Sie die Policy zu Open Science?
Anne Schneuwly: Ja, Open Science bedeutet unter anderem das Recht auf freien Zugang zu allen wissenschaftlichen Informationen. Ich bin hauptsächlich im internationalen Wirtschaftsrecht und in der Schiedsgerichtsbarkeit tätig, da ist der Zugang zu Material aus allen Ländern wichtig. In den Rechtswissenschaften beschäftigen wir uns allerdings weniger mit numerischen Daten, als dies zum Beispiel in den Naturwissenschaften der Fall ist.
Bevor wir diese Situation vertiefen, die gleiche Frage an Izaskun Mallona. Sie forschen am Departement für Quantitative Biomedizin als Molekularbiologin und Computeringenieurin. Was sagen Sie zur Policy?
Izaskun Mallona: Ich bin sehr froh, dass ich einer Universität angehören darf, die sich für Open Science einsetzt. Meiner Meinung nach fördert Open Science die Forschung und bringt Transparenz, Robustheit und hohe Qualität mit sich. Die Policy ist Ausdruck einer neuen Forschungskultur, die sich in den letzten Jahren entwickelt hat. Ich denke, dass die altmodische Art und Weise, vereinzelt und closed zu forschen, ausgedient hat.
Frau Schneuwly, Sie haben auf die Eigenheiten Ihrer Disziplin hingewiesen. Wo haben Sie Bedenken?
Schneuwly: Unsere Arbeit besteht unter anderem darin, Gesetzestexte und Rechtsprechung zu interpretieren und allenfalls Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Der freie Zugang zu unseren Forschungsresultaten ist wichtig für Forschende anderer Universitäten, Gerichte und die Privatwirtschaft (Anwälte und Anwältinnen). Aber auch ohne Open Access haben die genannten Adressaten Zugang zu unseren Veröffentlichungen dank Uni- oder Firmenlizenzen. Für das fachfremde Publikum sind detaillierte und spitzfindige Gesetzesauslegungen jedoch kaum von Nutzen.
Gilt das nicht für alle Disziplinen, dass ihre Arbeitsweise und Daten fachspezifisch sind?
Stark: Der Begriff «Daten» ist nicht in jeder wissenschaftlichen Disziplin gleich anwendbar, wir sprechen deshalb in der Policy auch von «wissenschaftlicher Leistung», die Publikationen, Forschungsdaten und Computercodes umfassen kann. Das beschriebene Problem stellt sich etwa in den Geisteswissenschaften, wenn ich zum Beispiel an eine Kulturwissenschaftlerin denke, die Feldforschung betreibt und Menschen interviewt, dies aber nicht quantitativ auswertet. Wo interpretativ gearbeitet wird, kann man sich durchaus fragen, weshalb das Transkript dieser Interviews öffentlich gemacht werden sollte. Es geht eben überall darum, den Forschungsprozess transparent zu machen und die Rohdaten wo sinnvoll und möglich zur Verfügung zu stellen.
Was die Subvention der Privatwirtschaft betrifft, zum Beispiel Open Access für Rechtskommentare, die vor allem Anwaltskanzleien nützen: Dies ist sicher nicht unser Ziel. Wir müssen beim Thema Open Access zwischen verschiedenen Textsorten unterscheiden. Wissenschaftliche Ergebnisse gehören ohne Schranken publiziert, aber praktische Ratschläge für Anwälte nicht. Kommentare in der Rechtswissenschaft sind eine spezielle Textsorte, die wir nicht unbedingt berücksichtigen müssen.
Sie haben eine praxisnahe Open-Access-Plattform zum Thema Recht und Wassersport auf www.wassersportkommentar.ch lanciert. Was war der Anlass?
Schneuwly: Ich bin leidenschaftliche Kitesurferin und habe festgestellt, dass diese neue Wassersportart viele juristische Fragen aufwirft. Ich habe mich mit diesen Fragen zu beschäftigen begonnen und beschlossen, das erworbene Wissen der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Dank der finanziellen Unterstützung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät konnte ich diese Plattform lancieren, welche das interessierte Publikum über grundlegende rechtliche Fragen orientiert.
Wie lauten häufige Fragen?
Schneuwly: Es geht um Fragen der Ungleichbehandlung der Wassersportarten bei der Nutzung öffentlicher Gewässer und um Fragen in Bezug auf die Versicherungspflicht. Kitesurfen bedingt zum Beispiel laut Schweizer Recht eine Haftpflichtversicherung mit einer Unfalldeckung von 750 000 Franken. Als Kitesurferin kann ich für 10 Euro eine solche Versicherung abschliessen, die weltweit gültig ist – ausgenommen für Schweizerinnen und Schweizer bei Unfallschäden in der Schweiz. Aber für Kitesurferinnen und -surfer aus dem Ausland ist sie hierzulande anerkannt. Ich habe mich daran gestossen und gleich einen Artikel dazu verfasst. Die Sportclubs und die Community sind dafür sehr dankbar.
Stark: Das ist ein hervorragendes Beispiel für die praktische Bedeutung von Forschung. Sie können Menschen mit Ihrem Fachwissen helfen.
Wie gut ist Open Access in der naturwissenschaftlichen Disziplin verankert?
Mallona: In der computergestützten Biologie ist Open Access seit Jahren Tradition und es werden die höchsten Standards eingehalten. Das heisst, die meisten Arbeiten in unserer Diszplin sind von Anfang an frei verfügbar. Soweit ich die Naturwissenschaften überblicke, befürworten viele Forscherinnen und Forscher Open Access. Aber es gibt Traditionalisten, die Bedenken haben und skeptisch sind.
Wie sieht es mit Programmcodes aus? Als Ingenieurin erzeugen Sie nicht nur Daten, sondern auch Programme zur Analyse biologischer Daten. Stellen Sie diese Codes frei zur Verfügung, sind sie Open Source?
Mallona: Eine Open-Science-Veröffentlichung umfasst Roh- und Metadaten sowie natürlich den Code – entsprechend dem höchsten Open-Access-Standard. Dank der Infrastruktur der Universität und anderer Plattformen können wir diese Informationen bereitstellen.
Wie verbreitet ist Open Access in den Rechtswissenschaften?
Schneuwly: Die meisten wichtigen Zeitschriften erfüllen noch nicht den höchsten Open-Access-Gold- oder gar -Platinstandard, sondern den grünen Standard*. Daher können zwischen der Veröffentlichung und der Verfügbarkeit des Artikels mehrere Monate liegen. Diesen Kompromiss kann ich als Forscherin akzeptieren. Wenn eine Anwaltskanzlei die Veröffentlichung für ihre Rechtsschrift allenfalls sofort braucht, steht es ihr frei, diese bei den Verlagen zu kaufen.
Stark: Ich denke, wir sollten die Verlage dazu drängen, Read & Publish-Verträge abzuschliessen und so viele Zeitschriften wie möglich in Open Access Journals umzuwandeln. Der grüne Standard kann bedeuten, dass es sich nicht um die redigierte und gesetzte Endfassung der Veröffentlichung handelt, deshalb betrachte ich diesen Standard höchstens als Zwischenlösung. Denn es ist öffentliches Geld, das hinter der Forschung und den Veröffentlichungen steht. Ich habe Bücher und Artikel veröffentlicht, ich war als Gutachterin und in wissenschaftlichen Gremien tätig. Diese Arbeiten werden den Forschenden nicht bezahlt, aber die Verlage verdienen daran. Das müssen wir unbedingt ändern.
Wie ist die Haltung der Nachwuchsforschenden, begrüssen sie Open Science?
Schneuwly: Ich denke, wir alle begrüssen diese Entwicklung und sind «offen». Für uns als Nachwuchsforscherinnen und -forscher ergibt sich allerdings ein Zielkonflikt, denn wir sind darauf angewiesen, in möglichst renommierten Zeitschriften veröffentlichen zu können. So gesehen sind wir bis zu einem gewissen Grad von einer guten Zusammenarbeit mit ihnen abhängig. Der Ritterschlag bei uns Juristinnen und Juristen ist jedoch, wenn das Bundesgericht unseren Beitrag zitiert. Open Access könnte die Wahrnehmung unserer Publikationen ausserhalb der gerichtsinternen Bibliotheken verstärken.
Mallona: Hier geht es auch um die Frage, nach welchen Kriterien Nachwuchsforschende auf feste Stellen berufen werden. Welchen Wert haben Open-Access-Publikationen für die Karriere? Es liegt an den Berufungskommissionen, die High-Impact Journals weniger zu beachten und mehr Wert auf Open-Access-Zeitschriften zu legen. Das würde die Umsetzung der Open-Science-Ziele erleichtern.
Ändert sich der Berufungsprozess?
Stark: Es stimmt, die High-Impact Journals verlieren an Bedeutung, wenn wir Publikationslisten und Impact-Faktoren bei Berufungen weniger gewichten. Wobei man sich bewusst sein muss, dass es aufwendig ist, wenn man sich nicht an einfachen numerischen Kriterien wie dem h-Index orientieren will. Das ist auch eines der Ziele der DORA-Erklärung**, die wir 2014 unterschrieben haben. Was die Umsetzung betrifft, braucht es halt einfach Zeit. Ich bin aber optimistisch, wenn ich mir die Niederlande oder die skandinavischen Länder anschaue. Ich stelle fest, dass sie sich von der quantitativen Bewertung bei der Berufung entfernen und anderen Kriterien mehr Bedeutung beimessen.
Eine weitere Möglichkeit, die Dominanz der High-Impact Journals zu brechen, ist, eigene Zeitschriften herauszugeben oder gar neue Verlage zu gründen. In meinem Fachgebiet, der Linguistik, haben wir das mit Language Science Press getan. Der Verlag wurde von erstklassigen Forschenden gegründet und wird auch von ihnen geleitet, er arbeitet konsequent Open Access und wird von exzellenten Vertreterinnen und Vertretern des Fachs genutzt. Das ist nur ein Beispiel, es gibt viele andere. Ich würde also sagen, wir haben es in der Hand.
Schneuwly: Wichtig ist, dass diese neu gegründeten Zeitschriften und Reihen von den Suchmaschinen gut gefunden und abgebildet werden. Wir dürfen uns nicht nur auf Google Scholar und deren Algorithmen verlassen.
Mallona: Ich bin völlig einverstanden. Anstatt uns auf die sogenannten «guten» Zeitschriften zu konzentrieren, sollten wir uns lieber um gute Forschung bemühen und unsere eigene Agenda setzen. Open Science bedingt einen Kulturwandel, unsere Diskussion ist der beste Ausdruck davon.
Sind Sie damit einverstanden, dass Open Science einen Kulturwandel bedingt?
Stark: Ein Kulturwandel ist nötig – auf jeden Fall. Dabei geht es nicht nur um eine offene Wissenschaftskultur, sondern letztlich auch um die Forschungsqualität. Ein interessantes Paper, eigentlich eine Methodenstudie, hat kürzlich gezeigt, dass das Innovationspotenzial in jenen Bereichen grösser ist, die keine renommierten «Grossbereiche» ausgebildet haben, mit bekannten Zeitschriften in einer Flagship-Position, die alles zu einem gewissen Grad monopolisieren. Die Konzentration auf solche Zeitschriften mit hohen Impact-Faktoren ist vor allem wegen der Qualität und Innovativität der Forschung selbst problematisch, das lässt sich empirisch nachweisen.
Die Open Science Policy ist verabschiedet, nun beginnt die Umsetzung. Wie sieht der Zeitplan aus?
Stark: Wir arbeiten zurzeit am Umsetzungsplan. Open Science bedingt vielfältige Anpassungen der Forschungsprozesse, und die Fakultäten haben unterschiedliche Traditionen und Bedürfnisse, auf die wir Rücksicht nehmen. Das bringt Gespräche mit den Fakultäten, technische Abklärungen für die Server und Interfaces, Personalfragen für die Betreuung der Forschenden, eine Änderung der Anstellungs- und Berufungskultur mit sich. Das klären wir sorgfältig ab und legen nächsten Herbst den Umsetzungsplan und eventuell auch das dazu nötige Budget vor.
Zuversichtlich stimmen mich die Erfahrungen mit der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, RWF. Noch vor einem Jahr hörte man eher kritische Töne, nun hat die Stimmung gedreht, Open Access wird gefördert, verschiedene Leute haben sich des Themas angenommen. In einem Jahr haben wir grosse Fortschritte gemacht – nicht nur in der RWF, sondern auch in anderen Fakultäten. Die Dinge bewegen sich.
Zu den Teilnehmerinnen:
Elisabeth Stark, Prorektorin Forschung UZH
Izaskun Mallona, Oberassistentin, Department of Quantitative
Biomedicine und Department of Molecular Life Sciences, MNF
Anne Mirjam Schneuwly, Oberassistentin, Lehrstuhl für Handels- und Wirtschaftsrecht, RWF
* Die Open Science Policy enthält Definitionen der verschiedenen Open Access Standards
** DORA (Declaration on Research Assessment)
Dieses Interview erschien gedruckt auch im UZH Journal 3/2021.