Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

UFSP Human Reproduction Reloaded

Die Genschere und die Zukunft der Menschheit

Mit der Genschere Crispr können wir gezielt das Erbgut von Lebewesen verändern. Die Entdeckung hat eine enorme Tragweite. Am Kick-off Event des Universitären Forschungsschwerpunkts (UFSP) «Human Reproduction Reloaded | H2R» wurden die Möglichkeiten und Gefahren von Crispr diskutiert.
Marita Fuchs
Die neuen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin werfen ethische, medizinische und rechtliche Fragen auf: Rechtsprofessorin Andrea Büchler, Direktorin des UFSP H2R.

 

«Oft bemerkt man erst später, dass gerade eine Revolution stattgefunden hat», sagt die Bioethikerin Alta Charo in einer Szene des Dokumentarfilms «Human Nature. The CRISPR Revolution», der die Geschichte von Crispr erzählt. Ein anderer Forscher erklärt im Film begeistert, dass er mit Crispr die ausgestorbenen Mammuts wieder züchten und in der Tundra ansiedeln könne, und ein Junge mit Sichelzellenanämie erfährt, dass seine Krankheit dank der neuen Methode ausgerottet werden kann.

Am Kick-off Event des neuen Universitären Forschungsschwerpunkts «Human Reproduction Reloaded | H2R» (UFSP H2R) wurde der Film gezeigt und er dokumentierte eindrücklich, was Crispr kann, wie sehr die Genschere die Forschungsgemeinde in Aufregung versetzt und wie sie die Zukunft der Menschheit bestimmen könnte.

Rasante Entwicklung

Crispr basiert auf einem natürlichen Abwehrmechanismus von Bakterien gegen Viren, den man als Werkzeug in der Gentechnik nutzen kann. Eingriffe in die Keimbahn sind weitherum verboten – und doch hat ein chinesischer Forscher 2018 im Embryonalstadium von Zwillingen gezielt ein Gen ausgeschaltet. Es folgte eine weltweite Debatte um die Ethik der Methode. Dieser Debatte will sich auch der UFSP H2R stellen, denn die Folgen von Crispr sind heute kaum abschätzbar.

Der UFSP H2R startete bereits am 1. Januar 2021, aufgrund der Corona-Pandemie musste jedoch die Auftaktveranstaltung zwei Mal verschoben werden. Am Freitag letzter Woche schliesslich fand sie in der Aula der UZH statt.

Die medizinischen, technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Bereich der Reproduktion sind seit einigen Jahrzehnten rasant, sagte Rechtsprofessorin Andrea Büchler, Direktorin des UFSP H2R, in ihrem Einführungsreferat.

Drei historische Ereignisse hätten die menschliche Fortpflanzung grundlegend verändert: 1960 die Zulassung der Antibabypille; 1978 die Geburt des ersten durch In-vitro-Fertilisation gezeugten Kindes und 2018 die ersten genom-editierten Babys. Fortpflanzung sei heute nicht mehr ein Widerfahrnis, sondern eine persönliche Entscheidung, und mehr und mehr auch eine Frage der Gestaltung.

Diese Entwicklungen haben viele Befürchtungen ausgelöst: Die Fortpflanzung würde sich zu weit von dem entfernen, was als ‘natürlich’ gilt, Kinder würden genetisch ‘aufgerüstet’ und damit sei die Freiheit und Gleichheit aller Menschen bedroht. Die CRISPR-Technologie werfe, so Büchler, grundlegende Fragen auf: Fragen nach Autonomie und Verantwortung, der Menschenwürde, der Natur, der Elternschaft, der Gleichheit, der Gerechtigkeit, des Kindeswohls und der Risikobewertung.

Diskussionsrunde
Podium mit: Andrea Büchler, Brigitte Leeners, Professorin für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Gerald Schwank, Professor für Neuropharmakologie, und Michael Braunschweig vom Institut für Sozialethik am Ethik-Zentrum der UZH (v.l.n.r.)

Auswirkungen der Technologien verstehen

«Bei diesen Fragen setzen wir an. Wir wollen eine breite gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte in der Schweiz und international vorantreiben», sagte Büchler. Crispr sei aber nur ein Thema des übergreifenden Forschungsprogramms zu Reproduktion und Medizin. Der UFSP H2R nimmt die Herausforderungen an, die sich durch den raschen technologischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Wandel für die menschliche Fortpflanzung ergeben.

«Denn wir wissen wenig über reproduktive Entscheidungen, über Motive, kulturelle und religiöse Werte, darüber, wie sie von gesellschaftlichen Diskursen und Erwartungen beeinflusst werden, über die Auswirkungen neuer Technologien auf das Individuum, die Familien, die Wirtschaft, die Normen und die Gesellschaft als Ganzes», so Büchler. (siehe auch Kasten zum UFSP H2R)

Folgen abschätzen

Im Anschluss an die Vorführung des eingangs erwähnten Dokumentarfilms diskutierte Andrea Büchler zusammen mit Brigitte Leeners, Professorin für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Gerald Schwank, Professor für Neuropharmakologie, und Michael Braunschweig vom Institut für Sozialethik am Ethik-Zentrum der UZH. Alle Teilnehmenden der Podiumsdiskussion sind als Co-Leitende beziehungsweise als Postdoc am UFSP H2R beteiligt.

Schwank erklärte, dass die Crispr-Methode anfänglich grob war, sie zerschnitt gleich beide Stränge der DNA, und bei der anschliessenden Gen-Reparatur konnten schwere Fehler entstehen. Heute sei sie präziser geworden. Doch wem kann dabei geholfen werden? Genetische Krankheiten seien durch das CRISPR System theoretisch heilbar, erklärte Schwank. Kinder zum Beispiel, die mit einer schweren Epilepsie zur Welt kommen, könnten dadurch eine Chance auf ein längeres Leben bekommen. Aber noch sei eine Erprobung der Methode nur an Mäusen möglich und bis zum Menschen sei wohl noch ein langer Weg.

Filmausschnitt
Der Junge aus dem Film Human Nature ist an Sichelzellenanämie erkrankt. Diese Krankheit könnte mit der Crispr-Methode bezwungen werden.

«Dann wäre ich nicht ich»

Und welche Möglichkeiten ergeben sich mit der Genschere in der Reproduktionsmedizin? Am Vormittag habe sie mit einer Patientin gesprochen, deren Embryonen nach der künstlichen Befruchtung alle einen genetischen Defekt aufgewiesen hätten, sagte Brigitte Leeners. Das sei für dieses Paar enorm belastend. Wenn wir die Möglichkeit hätten solche oft sehr lokalisierten Auffälligkeiten ohne eine Gefahr unerwünschter Veränderungen zu korrigieren, hiesse das Hoffnung für viele, die Eltern werden möchten.Es gehe aber zunächst grundsätzlich um die Frage, ob die CRISPR-Technologie in der Fortpflanzungsmedizin überhaupt denkbar sei, so Leeners.

Sozialethiker Michael Braunschweig erklärte, dass die neue Technik nur dann angewendet werden solle, wenn der zu behandelnde Mensch auch einverstanden sei, denn die Veränderung des genetischen Codes bedeute immer auch, die Grundlange des Menschseins zu verändern.

Dem entsprach eine sehr eindrückliche Filmsequenz, die alle zuvor gesehen hatten. Der Junge mit der Sichelzellenanämie gab auf die Frage, ob er sich nicht wünsche, die Krankheit nie gehabt zu haben, die überraschende Antwort: «Nein, denn sonst wäre ich ja nicht ich.»