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Männchen haben es schwer. Ob durch aufwändige Balztänze, bunten Fell- oder Federschmuck oder furchterregende Eckzähne – Tiermännchen müssen besonders dominant und attraktiv sein, denn nur diejenigen, die ihre Rivalen ausschalten und die Gunst der Weibchen erringen, können sich fortpflanzen. Sobald Weibchen sich mit mehreren Partnern paaren, stehen ausserdem auch die Spermien der Männchen im Wettkampf miteinander. Um das Rennen bis zur Eizelle zu gewinnen, braucht es dann vor allem eines: besonders viele und gute Spermien – und dementsprechend grössere Hoden, um diese zu produzieren.
Welches also ist die beste Strategie? Sollen vor allem möglichst viele schnelle Spermien produziert werden? Oder ist es für Männchen wichtiger, anziehende Körpermerkmale zu besitzen oder aber Waffen wie Hörner oder scharfe Zähne, um ihre Konkurrenten abzuwehren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Stefan Lüpold, Biologe an der UZH. Er erforscht die sexuelle Selektion im Tierreich und wie diese zur Evolution der Arten beiträgt. Unter anderem untersucht er, welche Merkmale erfolgreich sind und warum.
So hat sein Team in einer Studie von 2019 rund 100 Primatenarten analysiert und miteinander verglichen. Dabei stützten sich die Forschenden einerseits auf Daten körperlicher Merkmale – darunter etwa Körpergrösse, Länge der Eckzähne, Grösse der Hoden. Andererseits hat das Team für jede untersuchte Art bestimmt, wie stark die Männchen in auffällige, für Weibchen attraktive Verzierungen investieren, in so genannte Ornamente (siehe Kasten).
So stellte sich heraus: Primatenmännchen haben entweder grosse Hoden oder auffallende Ornamente, kaum je beides zusammen. «Offenbar schliesst eine Spezialisierung in eine dieser Eigenschaften die andere aus», sagt Lüpold. Er spricht von einem «evolutionären Trade-off»: Jede Spezialisierung kostet Energie – gute Spermien genauso wie ein aufwändiges Ornament oder das anstrengende Leben als Alphamännchen.
Welche Strategie sich jeweils bei den Primatenarten durchsetzte, hat viel mit ihrem Sozialleben und ihren Paarungsgewohnheiten zu tun. So haben Arten, bei denen sich in einer Gruppe nur eines oder wenige dominante Männchen paaren können, etwa bei den Gorillas, vor allem ausgeprägte Kampfmerkmale und Ornamente – etwa der Silberrücken des dominanten Gorillamännchens. Dafür besitzen sie nur vergleichsweise kleine Hoden. Bonobos oder Schimpansen dagegen, bei denen Männchen und Weibchen ständig und mit vielen verschiedenen Partnern Sex haben, sehen vergleichsweise unscheinbar aus. Dafür haben die Männchen richtig grosse Hoden. Sie investieren also mehr in die Spermienqualität.
Ein ähnliches Bild ergab eine zweite Studie der Forschungsgruppe, die neben den Merkmalen von Primaten auch die von weiteren Säugetieren und Vögeln, Fischen und Insekten miteinander verglichen hat. Über all diese Tiergruppen ergab sich stets: Je stärker die Weibchen monopolisiert werden, je eher also dominante Männchen ihre Rivalen von den Weibchen fernhalten können, desto weniger investiert die Tierart in die Spermienkonkurrenz. Und umgekehrt: je geringer die Chance auf eine solche Vereinnahmung der Weibchen, desto grösser die Investition in die Spermienproduktion.
Genauer untersucht Lüpold die sexuelle Selektion mithilfe eines unscheinbaren, manchmal sogar lästigen Tierchens: der Fruchtfliege. Er und seine Mitarbeitenden züchten im Labor Abertausende dieser Insekten. Für ihre Experimente fangen sie jeweils einzelne Exemplare, indem sie diese mithilfe von dünnen Schläuchen einsaugen. «Mit etwas Übung lassen sich Männchen und Weibchen gut von Auge unterscheiden», sagt der Biologe. Weil die Fliegen einen Lebenszyklus von nur zwei Wochen haben, lassen sich innerhalb kurzer Zeit viele verschiedene Individuen heranziehen und beobachten. Zudem sind die Fruchtfliegen, gerade was die sexuelle Selektion angeht, erstaunlich vielfältig.
Unter anderem untersucht das Team die Art Drosophila prolongata. Deren Männchen besitzen auffällige verlängerte Vorderbeine, die sie sowohl im Kampf gegen Konkurrenten wie auch in Balztänzen in Szene setzen. Sie winken und trommeln damit und benutzen sie, um die Weibchen am Hinterleib zu stimulieren – alles mit dem Ziel, zur Paarung zu kommen. Nicht selten allerdings, in 10 bis 20 Prozent der Fälle, scheitert diese Brautwerbung, wie die Forschenden beobachtet haben. Manchmal schleicht sich nämlich ein zweites Männchen an und schnappt sich das Weibchen kurzerhand. Das zweite paart sich, dem ersten bleibt nur die verlorene Liebesmüh. «Wir beobachten, dass vor allem klein gewachsene Männchen häufig diese Anschleichtaktik anwenden», erzählt Lüpold.
Er und sein Team sind dabei, das ungewöhnliche Verhalten genauer zu untersuchen. Da sich Fruchtfliegenweibchen meist mit mehreren Männchen paaren, müssen auch deren Spermien gegeneinander antreten. Viele Arten haben denn auch ungewöhnlich lange Spermien entwickelt. Den Rekord hält die Art Drosophila bifurca. Die nur drei Millimeter kleinen Fliegen produzieren Spermien, die fast sechs Zentimeter lang sind. Das sind die längsten Spermien überhaupt – ganze tausendmal länger als etwa die von Elefanten oder Walen. Wie Wollknäuel aufgewickelt werden sie in den Geschlechtstrakt der Weibchen übertragen, wo sie sich entfalten.
Warum die Fruchtfliegen auf derart lange Spermien setzen, hat Lüpold in Experimenten rekonstruiert. Die Keimzellen lassen sich nämlich genetisch markieren und sichtbar machen. Dazu fügen die Biologen ins Genmaterial der Spermienköpfe den DNA-Bauplan für bestimmte, grün oder rot fluoreszierende Proteine ein. So können sie unter dem Fluoreszenzmikroskop live beobachten, was mit den Keimzellen zweier verschiedener Männchen, die einen rot, die anderen grün markiert, im Geschlechtstrakt eines Weibchens passiert. Auf diese Weise hat Lüpolds Team festgestellt, dass längere Spermien erfolgreicher sind als kürzere, weil sie die Konkurrenz regelrecht abdrängen und sich so einen Vorteil verschaffen.
Allerdings machen die Spermien das Rennen nicht allein unter sich aus. Erst kürzlich hat Lüpold gezeigt, wie Fruchtfliegenweibchen bei der Selektion mitentscheiden. Nach einer Paarung landen die Spermien erst mal im Speicherorgan des Weibchens, einem langen Schlauch, der in einer Sackgasse endet. Darin warten sie, bis ein Ei nach dem anderen aus dem Eileiter eintrifft. Wenn nun danach Spermien eines zweiten Männchens in diesen Schlauch gespült werden, gibt es eine Art Umwälzung. Die ersten Spermien werden dabei zum grossen Teil verdrängt und zusammen mit den überschüssigen Spermien des zweiten Männchens ausgespült. Der Zeitpunkt, an dem das geschieht, bestimmt, welche Spermien einen Vorteil haben: Je früher das Weibchen den Umwälzungsprozess abbricht und die Spermien auswirft, desto vorteilhafter ist das Spermienverhältnis für das erste Männchen; je später, desto mehr Chancen hat das zweite.
«Spannend ist, dass die Weibchen diesen Zeitpunkt steuern können», sagt Lüpold. Seine Untersuchungen haben nämlich gezeigt: Genetisch identische Weibchen bevorzugen durch diesen Prozess immer dieselben Männchen. «Die Weibchen selektieren jene Männchen, die genetisch am besten zu ihnen passen», erklärt der Forscher. Dagegen haben bei der Brautwerbung vor der Paarung besonders gesunde und fitte Männchen einen Vorteil – solche, die sozusagen dem Fruchtfliegen-Schönheitsideal entsprechen. «Die Weibchen wählen so in zwei Stufen einmal ihre Sexualpartner und einmal deren Spermien aus, um die Chance auf möglichst fitte Nachkommen zu erhöhen.»