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Klar dürfen Sie das schreiben!», sagt Marcel van der Heijden und lacht. Seine Herkunft ist unschwer zu erraten: Van der Heijden ist gebürtiger Holländer, und den unkomplizierten Humor, für den seine Landsleute berühmt sind, hat er in seine Wahlheimat Schweiz mitgebracht. So sei denn wörtlich hier wiedergegeben, was van der Heijden erzählt hat: dass nämlich alles mit einer unbelehrbaren Studentin begann.
«Sie war stur», so van der Heijden. «Sie wollte um alles in der Welt untersuchen, ob Pilze im Feldboden das Pflanzenwachstum fördern, und das Ganze sollte dann ihre Masterarbeit werden.» Er habe sie gewarnt. In der Schweiz, so habe er ihr erklärt, seien die Böden gut gedüngt und ohnehin schon nährstoffreich. Es bestehe ein nicht zu geringes Risiko, dass sie mit ihren Bemühungen zu keinem Ergebnis komme.
Doch die junge Frau war nicht von ihrer Idee abzubringen. Und das war gut so. Denn der Klee, den sie in der Folge mit Mykorrhiza-Pilzen grosszog, wuchs in der Tat rascher und kräftiger heran als die unbehandelten Vergleichspflanzen in der nährstoffreichen Schweizer Scholle. Mykorrhiza-Pilze füttern das Feinwurzelsystem mit Salzen wie Phosphat und Nitrat und erhalten von der Pflanze im Austausch Zucker und Fettsäuren. Eine perfekte Symbiose also, was sich da ein paar Handbreit unter der Erde abspielt.
«Wir haben die Forschung dann auf Mais, Erbsen und Knollensellerie ausgedehnt, und auch das hat funktioniert», erzählt Marcel van der Heijden. Er reichte das Projekt beim Schweizerischen Nationalfonds ein und erhielt Fördergelder. Ohne teure Nährstoffe und auf nachhaltige Weise mehr Ertrag erzielen – das Konzept klang überzeugend. «Mit herkömmlichen Züchtungen», so van der Heijden, «lässt sich der Ertrag von Getreide und Gemüse jährlich im Schnitt um etwa ein Prozent steigern, mithilfe der Pilze je nach Art des Ackerbodens um über zwanzig Prozent.»
Dass Mykorrhiza-Pilze der Landwirtschaft dienen können, weiss man bereits seit zwei Jahrzehnten. Jedenfalls theoretisch. In der Praxis wurde die Wirkung der Pilze noch nie wirklich untersucht. Mittlerweile, so van der Heijden, hätten aber selbst Giganten der Agrartechnologie wie Syngenta das Potenzial der natürlichen Wachstumshelfer erkannt und setzten zunehmend auf Mykorrhiza. Van der Heijden ist derweil schon einen Schritt weiter. Er und sein Team konnten eine stattliche Anzahl Deutschschweizer Bauern davon überzeugen, einen Teil ihres Ackerlands der Forschung abzutreten. So standen den Biologinnen und Biologen bald 60 Testfelder von je 200 Quadratmetern Grösse zur Verfügung, alles in allem eine Fläche von eindreiviertel Fussballfeldern, locker verteilt über die Kantone Thurgau, Zürich, Aargau und Baselland – ein repräsentativer Schnitt also durch die Vielfalt der mittelländischen Bodenbeschaffenheit. Auf diesen Parzellen lässt van der Heijden neben dem herkömmlichen Mais der Bauern «seine» geimpften Maispflanzen wachsen. Die Pilzsporen züchten er und sein Team im Gewächshaus und mischen sie unter die Erde der Testfelder. Um die weitere Pflege kümmern sich die Landwirte; sie werden dafür entschädigt. «Kurz bevor die Bauern ihren Mais ernten, fahren wir hin und ernten den unsrigen. Und dann vergleichen wir den Ertrag», sagt van der Heijden. Letztlich geht es dem Biologen aber nicht allein um Pilze. Ihn interessiert das Mikrobiom unseres Ackerlands ganz generell. Als Mikrobiom bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die Lebewesen – also auch uns Menschen – bevölkern oder sich in der Erde verstecken. Welche Rolle Bakterien, Pilze und andere Kleinstorganismen in der Agrarwirtschaft spielen, weiss man noch nicht sehr lange. Denn erst Anfang dieses Jahrhunderts wurde mit dem sogenannten Next Generation Sequencing eine Methode entwickelt, um die DNA solcher Organismen rasch und ohne hohe Kosten zu entschlüsseln.
Next Generation Sequencing erlaubt es, die Zusammensetzung mikrobieller Gesellschaften zu erkennen. «Unser Ziel ist es, Mikrobiome so zu beeinflussen, dass sie den Pflanzen weniger schaden, ja ihnen vielleicht nützen», sagt Marcel van der Heijden. «So wie wir Joghurt essen, um unseren Magen mit guten Bakterien zu versorgen, sollten wir auch Erde mit gutem Biom ausrüsten.» Das Verfahren könnte jenem mit den Mykorrhiza-Pilzen ähneln: Landwirte würden ihren Acker gewissermassen mit einem gesunden Organismen-Cocktail impfen. Erste positive Erfahrungen hat man bei Soja gemacht. Hier wurden speziell konfektionierte Bakterien aufs Saatgut gebracht. Solche Methoden seien also punktuell schon eingeführt und Produkte, mit denen sich Pflanzen impfen liessen, im Handel erhältlich, sagt van der Heijden. «Vorderhand ist das aber noch weitgehend ein Wildwest-Markt. So hat sich etwa gezeigt, dass 80 Prozent der angeblich Mykorrhiza-basierten Produkte gar keine lebenden Sporen enthalten.»
Eine andere Lösung, um den Boden mit gutem Biom zu versehen, ist schon seit einem halben Jahrtausend bekannt. Sie heisst Fruchtflächendiversifizierung und ist das Gegenteil von Monokultur. In der Schweiz sei man in dieser Hinsicht schon auf gutem Wege, meint van der Heijden, in anderen Ländern wie etwa Spanien, den Niederlanden oder den USA liege die Sache aber noch im Argen. Wer immer nur Mais pflanzt, züchtet mit dem Getreide auch Krankheitserreger. Wer das Maisfeld im Turnus zur Kleewiese, zum Kartoffelacker, zum Sonnenblumenmeer und erst dann wieder zum Maisfeld werden lässt, ändert die Zusammensetzung des Mikrobioms und gibt den schädlichen Mikroorganismen weniger Chance.
«Es gibt nicht nur einen Weg zum Ziel», sagt Marcel van der Heijden. Auch die Gentechnologie wolle letztlich nichts anderes als Krankheiten eliminieren und Erträge steigern. Vielleicht müsse man in Zukunft mehrere Methoden kombinieren, um die Landwirtschaft ertragreicher, gesünder und klimaschonender zu gestalten. Aber geht das denn nicht ohne Gentech, ohne Pestizide, ohne Kunstdünger? «Doch, schon», sagt van der Heijden, «aber dann müssten wir Konsumentinnen und Konsumenten bereit sein, für Brot und Gemüse einiges mehr zu zahlen. Und weniger Fleisch zu essen.»
Solche Zusammenhänge versucht Marcel van der Heijden seinen Studierenden als Teilzeit-Professor am Institut für Pflanzen- und Mikrobiologie der UZH zu vermitteln. Den grösseren Teil seiner Zeit arbeitet er allerdings für das Kompetenzzentrum des Bundes für Landwirtschaft, Ernährung und Umwelt Agroscope an dessen Zürcher Standort Reckenholz bei Affoltern. Hier leitet er eine 25-köpfige Forschungsgruppe, der auch Doktorierende und Studierende der UZH angehören. «Ziel meiner UZH-Professur war es eben gerade, die praktische Zusammenarbeit in der Forschung zu stärken», erklärt van der Heijden. Dazu gehören auch unkonventionelle Methoden wie etwa das Citizen-Science-Projekt «Beweisstück Unterhose» (siehe Kasten). Ein Praktiker war Marcel van der Heijden schon immer. Mit zehn Jahren pflegte er seinen eigenen Garten und zog Bohnen, Kartoffeln und Zwiebeln. Später war er im Jugendverein für Naturschutz aktiv; er liebte Exkursionen in Feld und Wald. «Ich kannte alle Vogelarten in Holland.» Das Biologiestudium lag auf der Hand, und heute gehört van der Heijden laut einer Rangliste, die das internationale Unternehmen für Wissenschaftsanalyse Clarivate jährlich veröffentlicht, zu den weltweit meistzitierten und damit einflussreichsten Forschenden.
Für Marcel van der Heijden kein Grund, abzuheben. Er bleibt mit den Füssen auf dem Boden, um den es bei seiner Forschung geht: «Ich will die Welt nicht verbessern. Ich bin aber froh, wenn ich einen kleinen Beitrag leisten kann, um die Erträge der Bauern zu steigern, die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen und auf diese Weise die Umwelt zu schützen.»