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Migräne

Wenn das Gehirn überfordert ist

Migräne bestimmt häufig das Leben der Betroffenen. Doch dies muss nicht sein. Neurologe Heiko Pohl erklärte an einem digitalen Referat, woher das Gewitter im Kopf kommt und was man dagegen tun kann.
Sabina Huber-Reggi
Von einer Migräneattacke Betroffene empfinden Geräusche, Licht und Gerüche als unangenehm; ausserdem spüren sie ein starkes Bedürfnis, sich zurückzuziehen.


Es hämmert und pocht im Kopf. Das ist ein Zustand, den fast alle von uns kennen, denn Kopfschmerzen sind eine der häufigsten Erkrankungen überhaupt. Handelt es sich aber um Spannungskopfschmerzen, um Migräne oder gar um eine schwere Erkrankung? «Schwere Erkrankungen sind zwar selten die Ursache von Kopfschmerzen, es ist jedoch wichtig, sich bei neu auftretenden Schmerzen ärztlich untersuchen zu lassen, um dies ausschliessen zu können», sagte Heiko Pohl, Oberarzt an der Klinik für Neurologie am Universitätsspital Zürich, im Rahmen der Veranstaltungsreihe Wissen-schaf(f)t Wissen des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie.

Detaillierte Befragung

Mithilfe von detaillierten Befragungen suchen Fachpersonen während der Untersuchung nach Anzeichen, die möglicherweise auf eine ernste Erkrankung hinweisen können. So kann ein extrem starker Schmerz, der sich innerhalb von Minuten schlagartig bildet, auf eine lebensgefährliche Hirnblutung hindeuten. Nachdem eine schwere Erkrankung aber ausgeschlossen wurde, ist es für die Fachperson relativ einfach, eine Migräne von anderen Leiden wie Spannungskopfschmerzen zu unterscheiden. Typisch sind halbseitige, starke und pulsierende Schmerzen, die durch Übelkeit begleitet werden. Zudem werden Geräusche, Licht und Gerüche als unangenehm empfunden. Bei einigen Betroffenen tritt kurz vor dem Kopfschmerz auch eine Sehstörung auf, die sogenannte Aura. Die Betroffenen spüren ein starkes Bedürfnis, sich zurückzuziehen. «Sie lassen alles fallen und wollen nur noch ins Bett», veranschaulichte Pohl. Es sei sozusagen ein Befehl des Gehirns, sich von allen Reizen abzuschirmen. «Ich bitte Arbeitgeber, Verständnis dafür zu haben, auch wenn die Ausfälle mit Kosten verbunden sind, denn das Leiden ist real», sagte Pohl. Eine Migräneattacke verunmögliche die Weiterführung der Arbeit, ebenso den Schulbesuch bei Kindern und Jugendlichen, die die Anfälligkeit für Migräne häufig von ihren Eltern erben.

Symptome erkennen

Die gute Nachricht ist, dass Migräneanfälle meistens nicht unerwartet in der Mitte einer Sitzung über uns kommen. Betroffene können lernen, Symptome und Verhaltensänderungen zu erkennen, die sich bereits bis zu zwei Tagen vor dem Schmerz zeigen. So berichten viele Patienten und Patientinnen über häufiges Gähnen, häufigen Harndrang oder Nackenschmerzen. Manchmal haben Betroffene auch Mühe, sich zu konzentrieren oder korrekt zu sprechen und schreiben. Häufig haben sie Durst, einen gesteigerten Appetit oder Heisshunger nach Süssigkeiten, die dann manchmal fälschlicherweise als Ursache für die Kopfschmerzen gehalten werden. «So ist die Schokolade, die Sie gerade genossen haben, vermutlich nicht der Grund für Ihr Leiden, sondern Sie haben sie gegessen, weil der Migräneanfall bereits angefangen hatte», erklärte Pohl.

Auch wenn die Schokolade in vielen Fällen keine Schuld trägt, gibt es doch mehrere sogenannte «Trigger», die Anfälle auslösen können. Häufig kommt Migräne bei körperlicher oder psychischer Belastung und bei Stress vor. «Typischerweise kommt der Schmerz nicht während dem Stress, sondern erst danach», erklärte Pohl. Der Samstag sei der klassische Migräne-Tag, fügte er an. Manchmal sind Anfälle mit Hormonschwankungen oder mit äusseren Faktoren wie Wetterumschwüngen oder zu viel Sonnenlicht verbunden. Wenn Patienten und Patientinnen lernen, solche Trigger zu erkennen, können sie einige Anfälle vermeiden. Doch Pohl rät davon ab, sich zu viel darauf zu konzentrieren. Denn es ist zwar nachvollziehbar, wenn man die Schmerzen versucht zu vermeiden, doch es wäre ungesund, das gesamte Leben der Migräne unterzuordnen.

Wenig Wissen über Ursachen

Auch wenn einige Situationen bekannt sind, die Migräne auslösen, wissen wir noch sehr wenig über die Ursachen der Schmerzen. Evolutionsmedizinisch versuche man Migräne mit unserem Lebensstil zu erklären, sagte Pohl während der lebhaften Diskussion. Denn unser Gehirn wäre nicht für die Reizüberflutung geschaffen, die wir immer mehr erleben. So ist es nicht erstaunlich, wenn es ab und zu die Kontrolle verliert. Das ist aber nur eine Theorie, die die Forschung noch nicht beweisen konnte. «Wir wissen jedoch, dass im Gehirn während eines Migräneanfalls das System zusammenbricht, das normalerweise Eindrücke, Reize, und Schmerzempfindungen reguliert und uns so wie eine Schutzwand vor zu vielen Reizen abschirmt», erklärte Pohl. Dadurch empfinden die Betroffene Schmerzen, das Licht ist zu hell, Geräusche sind zu laut.

Medikamente sparsam anwenden

Auch wenn viele Mechanismen noch unklar sind, gibt es erfahrungsgemäss doch einige Möglichkeiten, die Kopfschmerzen zu behandeln. Kurzfristig während eines akuten Anfalles helfen Schmerzmittel. Dabei reichen häufig klassische Wirkstoffe wie Paracetamol oder noch besser Ibuprofen. Auch alternative Heilmittel wie Pfefferminzöl können Linderung bringen. Wichtig sei, nicht zu häufig und nicht über einen zu langen Zeitraum Medikamente einzunehmen, mahnte Pohl. Denn Schmerzmittel können die Schmerzempfindlichkeit erhöhen, so dass die Betroffene schliesslich häufiger und schneller Kopfschmerzen spüren. Dabei entsteht ein Teufelskreis aus dem man oft nur mit einem drastischen Medikamentenentzug über mindestens zwei Wochen wieder herauskommt. Deshalb sei es wichtig, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen, empfahl Pohl. Als Richtwert empfiehlt er, während maximal 14 Tagen pro Monat klassische Schmerzmittel einzunehmen. Wenn man auf andere Wirkstoffe wie Triptane zurückgreift, sollte man dies maximal während neun Tagen pro Monat tun.

Vorsorgen ist besser als behandeln

Wichtig sind Vorsorgemassnahmen, so dass es möglichst selten überhaupt zu Schmerzen kommt. Dafür gibt es einige Medikamente auf dem Markt, wie Antidepressiva oder Blutdrucksenker, die hilfreich sind auch wenn sie nicht spezifisch für die Behandlung oder Prävention von Migräne entwickelt wurden. Doch man solle erst bei hohem Leidensdruck auf Medikamente zurückgreifen, empfahl Pohl. Besser sei es, es zuerst mit regelmässigem, moderaten Ausdauersport und mit Entspannungstechniken wie Autogenem Training zu versuchen. Diese Trainingsformen können heutzutage dank Anleitungen auf Youtube selbstständig und regelmässig zu Hause ausgeübt werden. Andere alternativmedizinische Verfahren wie zum Beispiel Biofeedback seien noch nicht fest etabliert, erklärte Pohl. Doch er möchte dazu ermuntern, sie auch auszuprobieren, denn sie können erfahrungsgemäss bei einigen Betroffenen helfen. Ziel bei allen diesen Massnahmen soll es sein, das Gehirn zu unterstützen, mit den Reizen, die uns täglich erreichen, klarzukommen. Und es so der Migräne nicht zu erlauben, unser Leben zu bestimmen.

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