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Maximilian Emmert ist enthusiastisch. Die Herzmedizin befindet sich mitten in einem grossen Umbruch, und er gestaltet ihn aktiv mit. Ein Eingriff am Herzen, ohne dafür den Brustkorb zu öffnen? Menschliche Zellen, die eine künstliche Prothese in eine körpereigene Herzklappe verwandeln? Beides klingt nach Science Fiction, ist aber im ersten Fall bereits Realität und könnte es im zweiten schon bald sein. Denn daran arbeitet der Professor am Institut für Regenerative Medizin der UZH.
Doch der Reihe nach. Im August dieses Jahres veröffentlichte die amerikanische Gesundheitsbehörde eine auf den ersten Blick unauffällige Meldung: Die sogenannte Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) stehe nun auch Patienten mit geringem Operationsrisiko offen. In diesen formellen Worten steckt die Ankündigung eines Paradigmenwechsels in der Herzmedizin. Mehr als 50 Jahre lang wurden künstliche Herzklappen hauptsächlich mittels aufwändiger Operation ersetzt. Mit dem TAVI-Verfahren sind Eingriffe nun minimalinvasiv möglich. Heute werden weltweit rund 300 000 Implantationen pro Jahr vorgenommen, bis 2050 könnten es aufgrund der steigenden Lebenserwartung dreimal so viele sein. In Zukunft werden, so lässt es die neuste Entwicklung vermuten, wohl Herzklappen nicht mehr ersetzt, sondern verdrängt (siehe Kasten).
Emmert hatte mit dieser Entwicklung gerechnet. Der Herzchirurg und -forscher setzt auf das TAVI-Verfahren. Vor kurzem sprach ihm der Europäische Forschungsrat einen Förderbeitrag von 1,5 Millionen Euro zu, um seine Methode am Forschungsstandort Zürich weiterzuentwickeln. Während das minimalinvasive Implantationsverfahren neu ist, sind die implantierten Herzklappen nämlich seit eh und je die gleichen. Entweder sind sie mechanisch (aus Metall) oder biologisch (aus Schweine- oder Rindergewebe) gefertigt.
Diese Prothesen haben viele Einschränkungen – allen voran ihre beschränkte Lebensdauer. Je jünger die Patienten, desto grösser die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich noch einmal operieren lassen müssen. «Fast jeden zweiten 50-jährigen Patienten sehen wir wieder», so Emmert, der neben seinem Engagement an der UZH auch Professor an der Berliner Universitätsklinik Charité und dem Deutschen Herzzentrum Berlin (DHZB) ist. All diese erneuten Eingriffe bringen Infektionsrisiken, zudem erhöhen die körperfremden Teile im Körper das Risiko für Thrombosen oder Schlaganfälle.
Fünf Jahre und 1,5 Millionen Euro: So viel Zeit und Geld steht Emmert und seinem Team zur Verfügung, um eine Lösung für all diese Probleme zu finden. Besser gesagt: um zu beweisen, dass ihre Lösung funktioniert. Denn eine solche existiert bereits. Das Projekt heisst «TAVI4life». Ziel ist eine Herzklappe, die ein Leben lang hält – und die mit dem modernsten, eben zum Goldstandard erhobenen OP-Verfahren eingesetzt wird. Um dies zu schaffen, verfolgt Emmert eine Idee, die so simpel wie genial ist: Er will den Körper dazu bringen, die Herzklappe sozusagen selber zu bauen – mit Hilfe einer künstlichen Prothese, die von menschlichen Zellen später abgebaut und durch körpereigenes Gewebe ersetzt wird. «Unsere Aufgabe ist es, diesen Prozess zu orchestrieren», sagt Emmert.
Bereits bei der Herstellung der künstlichen Herzklappe spielen menschliche Zellen die Hauptrolle. Das Verfahren nennt sich Tissue Engineering. Die Zellen werden auf einer Herzklappe aus Polymer gezüchtet, worauf sie im Bioreaktor damit beginnen, Bindegewebe herzustellen. Es entsteht eine sogenannte extrazelluläre Matrix – eine Art Gerüst, in das sich später im Körper weitere Zellen einnisten können. «Menschliche Zellen finden in diesen Nischen und Poren die perfekten Voraussetzungen vor», so Emmert. In einem letzten Schritt vor der Implantation, so die Idee, werden die Zellen wieder entfernt – sonst könnte das Immunsystem des Empfängers auf die fremden Zellen reagieren. Übrig bleibt eine Herzklappe, die aus einem Gerüst aus Polymer sowie der von den Zellen gebauten Matrix besteht.
Die Herstellung der neuartigen Herzklappe ist also ziemlich komplex. Doch damit nicht genug. Denn damit die Verwandlung von einer künstlichen in eine körpereigene Herzklappe gelingt, müssen auch das Gerüst aus Polymer sowie der Stent, der für die Implantation mittels Katheter verwendet wird, verschwinden. Die gute Nachricht: Unsere körpereigenen Zellen sind in der Lage, sowohl bioresorbierbare Stents wie auch das Polymer sozusagen «aufzufressen», also abzubauen. Die schlechte: Es ist eine grosse Herausforderung, sie dazu zu bringen, dies im richtigen Tempo zu tun. «Der Körper muss gleichzeitig Gewebe bilden, damit die Herzklappe stets funktionstüchtig bleibt», erklärt Emmert.
An dieser schwierigen Aufgabe haben Emmert und ein Team aus Biologen, Medizinern, Bioingenieuren und Materialwissenschaftlern mehrere Jahre geforscht. Mit Erfolg: Vor kurzem ist ihnen ein Durchbruch gelungen. In einer Studie, die im Fachmagazin «Science» veröffentlicht wurde, setzten die Forscher Schafen erfolgreich Herzklappen ein, die sie exakt nach dem neuen Prinzip gefertigt hatten: Sie hatten Schafzellen auf der Prothese angesiedelt, liessen sie eine Matrix bauen und entfernten sie dann wieder.
Rund ein Jahr nach der Implantation waren beinahe keine Reste der Herzklappe aus Polymer mehr vorzufinden, die Zellen hatten ihre Arbeit getan und Ersatz geschaffen. Das perfekte Timing gelang mit Hilfe von Computermodellen, die unter anderem die ideale Geometrie der Herzklappen errechnet hatten. In einer weiteren, noch unpublizierten Studie mit künstlichen Blutgefässen konnten die Zürcher Forscher zudem zeigen, dass die Prothese in der Folge mit dem Organismus mitwächst. Dies ist im Hinblick auf den Einsatz der Methode bei sehr jungen Patienten – etwa Kindern mit schweren Herzfehlern – wichtig.
Das Prinzip hinter TAVI4life funktioniert also. Denn was mit Schafen klappt, sollte auch bei Menschen funktionieren. Doch um den Konjunktiv zum Verschwinden zu bringen, müssen in der Medizin mehrere regulatorische Hürden genommen werden. Nicht ganz einfach ist dies für Emmerts Unterfangen, bei dem am Ende der menschliche Körper den endgültigen Beweis erbringen muss, dass die Methode funktioniert. «Es ist wichtig, dass wir uns nun vorsichtig vorarbeiten», sagt Emmert. Geplant ist, das Verfahren nächstes Jahr erstmals anzuwenden, und zwar bei Kindern mit spezifischen schweren Herzfehlern. Dort sind die Chancen, die die Methode mit sich bringt, hoch, die Risiken verhältnismässig klein. «Kinder haben ein grosses regeneratives Potenzial», erklärt Emmert.
In fünf Jahren könnte im besten Fall erstmals eine voll regenerative Aortenklappe eingesetzt werden. Möglicherweise geht es auch doppelt so lange. Wenn man bedenkt, dass es ein halbes Jahrhundert dauerte, bis der offene operative Eingriff beim Herzklappenersatz einer schonenderen Alternative Platz machte, ist das immer noch eine kurze Zeit. Man kann sagen: Die Herzmedizin geht derzeit in schnellen Schritten voran. Und die Zürcher Forscher laufen weit vorne mit. Kein Wunder, dass Maximilian Emmert enthusiastisch wirkt, wenn man mit ihm spricht.