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Epigenetik

«Gesundheit wird vererbt»

Isabelle Mansuy erforscht das Epigenom, das unsere Gene aktiviert oder deaktiviert. Wir können es beeinflussen, sagt Mansuy, positiv oder negativ. Zumindest ein Teil dieser Veränderungen wird weitervererbt.
Thomas Gull
Isabelle Mansuy
Isabelle Mansuy ist Professorin für Neuroepigenetik an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich


Isabelle Mansuy, Ihr neues Buch trägt den Titel «Wir können unsere Gene steuern!». Das klingt verheissungsvoll und abenteuerlich zugleich. Doch: Wie geht das?

Isabelle Mansuy: Wenn ich schreibe, dass wir unsere Gene steuern können, meine ich damit: Wir können beeinflussen, wie unsere genetische Information vom Körper gelesen und interpretiert wird. Das heisst, wie unsere Gene aktiviert oder allenfalls deaktiviert werden. Wie das geht, erforschen wir in der Epigenetik. Die Gene selbst können wir nicht verändern.

Was beeinflusst die Aktivität unserer Gene?

Mansuy: Die Genaktivität wird ständig moduliert durch die Art und Weise, wie wir leben – durch unser soziales Umfeld, Ernährung und Bewegung etwa. Wenn wir beispielsweise traumatische Erfahrungen machen, schreibt sich das in unseren Körper ein und in unser ­Epigenom.

Was ist das Epigenom – und in welcher Beziehung steht es zum Genom?

Mansuy: Genom und Epigenom sind komple­mentär und beeinflussen sich gegenseitig. Das Genom ist der genetische Code, die DNA – das ist wie die Harddisk eines Computers. Das Epigenom ist für die Art und Weise zuständig, wie dieser Code gelesen wird. Beim Computer wäre das die Software. Die epigenetischen Mechanismen steuern, wie die genetische Information interpretiert wird. Das Genom ist weitgehend fix. Es kann sich zwar verändern, etwa durch Mutationen, doch das Epigenom ist viel dynamischer als das Genom. Es wird kontinuierlich moduliert – im Lauf des Lebens, aber auch in jedem Moment, abhängig davon, was wir gerade tun.

Wie steuert das Epigenom die Expression unserer Gene?

Mansuy: Das ist eine Kaskade von Reaktionen. Rund um unseren genetischen Code gibt es epigenetische Mechanismen, die helfen, diesen Code auszu­drücken, zu interpretieren. Das sind Marker auf der DNA – Moleküle, Proteine, die beeinflussen, wie die genetische Information gelesen wird.

Sie haben gesagt, dass unser Epigenom ständig moduliert wird, abhängig davon, wie wir leben. Wie muss an sich das vorstellen?

Mansuy: Die Umwelt wirkt in verschiedenster Weise auf die epigenetischen Marker – über die Ernährung, die Bewegung, wie wir schlafen, oder unsere soziale Umgebung. Dabei gibt es positive und negative Einflüsse. Zu den positiven gehören ein gutes soziales Umfeld, gesunde Ernährung und Bewegung. Wie wichtig das ist, konnten wir mit Mäusen zeigen, die in grossen Käfigen, mit vielen Möglichkeiten, sich zu bewegen und zu spielen, gehalten werden und die sich in Gruppen bewegen, in denen sie sich wohlfühlen. Wie wir sehen, verändert das die epigenetischen Marker in ihrem Gehirn, ihrem Blut und auch in den Keimzellen. Diese Veränderungen sind auch sehr stabil.

Was wirkt sich negativ auf das Epigenom aus?

Mansuy: Zum Beispiel traumatische Erfahrungen wie Gewalterfahrungen in der Kindheit, Kriegstraumata, der Tod eines Elternteils, Vernachlässigung, Erniedrigung. Das gilt auch für verbale Gewalt etwa der Eltern. Wir sind uns zu wenig bewusst, dass auch Kinder in europäischen Ländern, wo kein Krieg herrscht, sehr oft traumatische Erfahrungen machen. So erlebt etwa jedes vierte Kind Gewalt in der Familie.

Was sind die Folgen solcher Erlebnisse?

Mansuy: Die traumatische Erfahrung verändert das Epigenom, dieses wiederum beeinflusst die Aktivität der Gene. So schreiben sich traumatische Erfahrungen in den Körper ein. Das kann einerseits ­psychische Probleme hervorrufen wie Angst oder Depressionen, aber auch körperliche Beschwerden wie Herzprobleme, Krebs oder Autoimmunerkran­kungen. Wir konnten zeigen, dass traumatische Erfahrungen im Epigenom des Gehirns zu bleibenden Veränderungen führen.

Diese Veränderungen des Epigenoms haben Sie bei Mäusen nachgewiesen. Kann das auf Menschen übertragen werden?

Mansuy: Wir haben bei Männern, die in ihrer Kindheit traumatisiert wurden, vergleichbare epigenetische Veränderungen gefunden wie bei Mäusen.

Eine Ihrer zentralen Aussagen ist, dass epigenetische Veränderungen weitervererbt werden. Wie geschieht das?

Mansuy: Wir wissen, dass bestimmte Marker des Epigenoms bei der Befruchtung weitergegeben werden. Das Sperma gibt seine DNA weiter, aber auch die epigenetischen Marker, die diese begleiten. Das Gleiche gilt für die Eizelle. Das heisst, beide Seiten bringen das Genom und das Epigenom ein und diese werden neu kombiniert. Wobei wir noch nicht genau wissen, was bei der Rekombination des Epigenoms passiert. Wir wissen nicht genau, was behalten wird, was verloren geht oder allenfalls verdoppelt wird.

Die Vererbung epigenetischer Veränderungen ist wissenschaftlich umstritten. Gibt es dafür Beweise?

Mansuy: Es gibt wissenschaftliche Experimente, bei denen Ribonukleinsäure (RNA, Kopien von Teilen der DNA) von Spermien traumatisierter männlicher Mäuse in Eizellen eingeschleust wurden. Die Mäuse, die daraus entstanden sind, hatten Symptome der Traumata wie die Mäuse, die direkt exponiert waren. Damit konnte gezeigt werden, dass die RNA Informationen vergangener Erfahrungen enthält und diese auch weitergibt.

Steht das nicht im Widerspruch zur Aussage, das Epigenom verändere sich ständig?

Mansuy: Es gibt Teile des Epigenoms, die sehr stabil sind, und andere, die sind sehr dynamisch. So gibt es Gene mit einem Epigenom, das sich während des ganzen Lebens nicht verändert.

Wie lassen sich die Veränderungen des Epigenoms nachweisen?

Mansuy: Die epigenetischen Veränderungen erhöhen oder reduzieren die epigenetischen Marker, die bestimmen, wie die DNA gelesen wird. Dazu gehört die DNA-Methylierung, das ist eine chemische Abänderung an den Grundbausteinen der Zelle. Dabei handelt es sich nicht um eine genetische Mutation der DNA, sondern nur um eine epigenetische Modifikation. Dazu gehört auch non-kodierende RNA, die auf der DNA binden kann. Diese Faktoren können nachgewiesen werden im Gewebe, im Blut, im Speichel oder im Sperma.

Sie schreiben, dass epigenetische Veränderungen bis zur Enkelgeneration weitergegeben werden können. Ist das eine fixe Grenze, oder geht es noch weiter?

Mansuy: Das wissen wir nicht. Bei Mäusen wissen wir, dass Symptome von Traumata bis in die fünfte Generation wirken können. Bei Menschen wurde beobachtet, dass Symptome von Kriegstraumata bis in die zweite Generation weitergegeben werden können. Aber es ist noch nicht bekannt, welche und wie weit epigenetische Veränderungen übertragen werden können.

Das heisst, Enkel traumatisierter Menschen können auch psychische Störungen haben, die auf Erlebnisse ihrer Grosseltern zurückgehen?

Mansuy: Ja, Nachfahren können auch Symptome haben. Diese hängen vom Trauma ab. Bei Misshandlungen in der Kindheit sind das Depression, riskantes und/oder asoziales Verhalten, Gedächtnisprobleme, aber auch körperliche Fehlfunktionen etwa beim Glukose/Insulin- oder beim Fettstoffwechsel. Die Vererbung bei Menschen zu erforschen, ist jedoch komplexer als bei Mäusen, die alle das gleiche Genom haben und unter gleichen Bedingungen gehalten werden. Bei Menschen sind die externen Einflüsse vielfältiger und deshalb auch schwerer zuzuordnen.

Sie postulieren, wir könnten unser Epigenom verbessern. Was können wir dafür tun?

Mansuy: Zunächst möchte ich festhalten, dass unseren Einflussmöglichkeiten Grenzen gesetzt sind. Wenn Sie beispielsweise depressiv sind, weil Sie als Kind eine traumatische Erfahrung gemacht haben, behaupte ich nicht, Sie könnten Ihr so geschädigtes Epigenom reparieren, indem Sie gut essen oder mehr Sport treiben. Wir können diese negative Erfahrung nicht ausmerzen. Aber wir wissen, dass Psychotherapie das Epigenom verändern kann, genauso wie gute Ernährung oder Bewegung. Das kann helfen, traumatische Erfahrungen zu verarbeiten.

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