Navigation auf uzh.ch
Marc Thommen: Ich habe dank der Gründung und des Betriebs des Verlags «sui generis» einige Erfahrung im Bereich Open Access, einem der Hauptpfeiler von Open Science. Mir geht es darum, die Kolleginnen und Kollegen zu motivieren, ihre Arbeiten frei zugänglich zu publizieren. Die Idee dahinter: Unsere Forschung wird mit öffentlichen Geldern bezahlt, also sollen auch die Resultate frei und ohne Bezahlschranken zugänglich sein. Weil das Thema Open Science sehr vielfältig ist und verschiedene Aspekte der Wissenschaft betrifft, hat die Universitätsleitung zwei Personen mit verschiedenen Fachkenntnissen gewählt. Mein Schwerpunkt liegt beim Thema Open Access, aber wir sind beide Ansprechpartner für alle Bereiche von Open Science.
Mark Robinson: Als Bioinformatiker stehen für mich die Themen Open Data und Open Code (Open Source Software) im Vordergrund. So wie wissenschaftliche Publikationen sollen auch Forschungsdaten und Datenanalysen der Community frei zugänglich gemacht werden. Für diesesData-sharing setze ich mich aus folgenden Gründen ein: Wenn ein erweiterter Kreis von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Rohdaten nutzen kann, sind zusätzliche Erkenntnisse möglich. Zweitens erhöht Open Data die Transparenz. Unabhängige Forscherinnen und Forscher können Ergebnisse und wissenschaftliche Aussagen verifizieren und absichern. Damit leisten Open Data und Open Code einen Beitrag zur Forschungsintegrität, Stichwort Reproduktionskrise. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich die Kolleginnen und Kollegen an der UZH in diesem Bereich unterstützen.
Thommen: Ein weiterer Punkt von Open Data betrifft negative Resultate: Wenn Forschungsdaten konsequent publiziert würden, kämen auch negative Resultate ans Licht, die heute meist nicht veröffentlicht werden. Das könnte verhindern, dass unnütze Forschungswege eingeschlagen werden. Forschende verlangen schon lange die Publikation negativer Ergebnisse; damit liessen sich nicht nur viele Ressourcen sparen, sondern zum Beispiel auch Studien vermeiden, die Menschen oder Tiere belasten.
Robinson: Das ist eine berechtigte Frage. Ich stelle in meinem Umfeld fest, dass vor allem die jüngeren Forscherinnen und Forscher bereit sind, ihre Daten zu teilen, denn sie sehen die Vorteile der Offenlegung. Die Forschung generiert heute derart viele Daten, dass es zur Analyse Zusammenarbeit braucht. Angesichts der Digitalisierung und der explosiv steigenden Menge an Rohdaten gibt es gar keine Alternative. Eine wichtige Rolle spielen auch die Fachzeitschriften; sie verlangen immer häufiger die Veröffentlichung der Rohdaten zusammen mit der Publikation. Je nach Disziplin sind wir unterschiedlich weit. In der Genomik hat die Offenlegung Tradition, bereits in den 1990er-Jahren lancierten Molekularbiologen in den USA das Repositorium «GenBank». Auch in vielen Bereichen der Physik und der Astronomie ist Open Data die Norm. Aber es stimmt schon, in anderen Disziplinen stehen wir noch am Anfang. Und es gibt auch Vorbehalte, Stichwort «Research Parasites». Der Begriff stammt aus dem «New England Journal of Medicine» und bezieht sich auf Forschende, die von den Forschungsdaten anderer zu profitieren versuchen. Ich denke aber, dass meistens keine schlechten Absichten im Spiel sind, wenn Forschende die Daten anderer Leute brauchen und analysieren.
Thommen: Es ist ähnlich wie beim Thema Open Data: Die Umsetzung ist stark von der Disziplin abhängig. In meinem Gebiet der Rechtswissenschaften sind wir noch nicht sehr weit, 90 Prozent der einschlägigen Fachzeitschriften und Datenbanken sind nur gegen Gebühren einsehbar. In anderen Disziplinen wie den Life Sciences oder der Physik gibt es bereits seit Jahren gut akzeptierte Open-Access-Zeitschriften. Kurz gesagt: Open Access und Open Science sind noch nicht courant normal, es braucht einen Kulturwandel, den wir anstossen möchten.
Thommen: Open Science ist ein tiefgreifender Prozess und verlangt Veränderungen in vielen Bereichen der Wissenschaft, die eine lange Tradition haben. Im Publikationswesen zum Beispiel wird das bisherige Geschäftsmodell der Verlage mit Open Access auf den Kopf gestellt. Das ist schon für sich allein eine gewaltige Umstellung, hinzu kommen Rückkopplungen auf das Wissenschaftssystem. An den Publikationen und Impact-Faktoren der Zeitschriften hängen ganze wissenschaftliche Karrieren. Das heisst, der Wechsel hin zu Open Access zieht Veränderungen nach sich, etwa wie Karrieren bemessen werden sollen, wie Berufungen gehandhabt werden. Alles hängt zusammen.
Robinson: Ich würde sagen, dass dieser Wandel in manchen Bereichen der Biologie bereits stattfindet. Die Forscherinnen und Forscher, besonders Nachwuchsforschende, sprechen über Datenaustausch und Kooperation; Open Science ist präsent. Natürlich existieren herkömmliche Zeitschriften mit Bezahlschranken, aber die Bereitschaft ist da, in frei zugänglichen Open-Access-Zeitschriften zu publizieren. Wir befinden uns mitten in einem Transitionsprozess.
Thommen: Die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, ist in allen Disziplinen grundsätzlich vorhanden. Was Open Access betrifft, so besteht eine der Herausforderungen darin, dass
Universitätsangehörige oft gar nicht realisieren, wie gross der Aufwand der Verlagsarbeit ist, welcher Aufwand für eine Publikation betrieben werden muss. Alle Publikationen sind dank der Bibliotheken frei verfügbar. Diese Arbeit sieht man erst, wenn man eine eigene Zeitschrift herausgibt und als Verleger arbeitet. Diese Erfahrung haben wir mit unserer Open-Access-Zeitschrift «sui generis» gemacht. Sie wird von den Forschenden herausgegeben und entspricht dem sogenannten Platinmodell von Open Access. Das heisst, es kommen neue Aufgaben auf die Forschenden zu, die finanziert werden müssen.
Thommen: Wir möchten alle Kräfte an der UZH stärken und ermuntern, ihre Aktivitäten im Zusammenhang mit Open Science weiterzuverfolgen und zu verstärken. Sei es im Bereich Forschungsdaten, Publikationen, Fair Data, Bibliometrie oder Citizen Science und Research Integrity. Wir werden einen Open-Science-Council gründen, in dem fakultätsübergreifend wichtige Akteure zusammenkommen. Es geht uns weniger darum, neue Initiativen zu gründen, sondern darum, die bestehenden Aktivitäten zu unterstützen und zu koordinieren und eine gemeinsame Strategie zu definieren. Die Universität Zürich macht bereits einiges, ich erinnere zum Beispiel an die Abteilung Data Services & Open Access der Hauptbibliothek (HBZ) oder an die Abteilung Service and Support for Science (S3IT).
Robinson: Wie Marc erwähnt hat, gibt es an der HBZ bereits viel Expertise. Unsere Rolle ist es, Open Science ein Gesicht zu geben und bestehende Initativen zu verstärken. Aufgrund meiner Erfahrungen in der Bioinformatik kann ich die Leute bei Fragen zu Code- und Datenrepositorien oder bei der Aufbereitung von Rohdaten unterstützen. Die technischen Fragen bei Open Data werden schnell komplex und sind von Disziplin zu Disziplin verschieden. Wir möchten ein Netzwerk schaffen und die Forschenden unterstützen. Wichtig ist, dass das Thema Open Data präsent ist und die Leute sich fragen, was sie beitragen können.
Thommen: Wir haben viele Ideen, was gemacht werden könnte: Workshops, Events, Weiterbildungskurse. Wir möchten zum Beispiel einen Open-Science-Award ausschreiben und Projekte aus den Fakultäten auszeichnen.
Thommen: Wir können rund zehn Prozent unseres Pensums für Open Science aufwenden.
Robinson: Unterstützt werden wir zudem von einer Geschäftsstelle, die unsere Aktivitäten umsetzen und den Open-Science-Council betreuen wird. Sie wird eng mit den Teams an der HBZ zusammenarbeiten.
Thommen: Das ist sicher sinnvoll, wir beide sind ja die besten Beispiele für diesen Prozess. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Open Access, Mark mit Open Data und Open Code. Jetzt befördert uns die UZH zu offiziellen Delegierten, um den Prozess zu beschleunigen.
Robinson: Ich denke, es muss so laufen: Forschende müssen sich in der täglichen Arbeit um die Umsetzung bemühen, die Universität als Instituion muss gleichzeitig Open Science fördern.