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Dass eine zweite Welle kommen würde, war Milo Puhan, Leiter des Instituts für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention an der UZH, klar. «Doch sie kam etwas früher, als erwartet», gibt der Epidemiologe zu. Schuld daran ist seiner Einschätzung nach nicht etwa die rasche Aufhebung des Lockdowns im Juni – denn das SARS-CoV-2 hat sich im Juli und August ja fast nicht ausgebreitet. Doch gab die schnelle Rückkehr zur Normalität der Bevölkerung ein falsches Signal, sagt Milo Puhan: «Viele Menschen dachten im Sommer, dass das Schlimmste überstanden sei.» Diese falsche Sicherheit bewirkte, dass die Leute sich zu wenig oder gar nicht mehr schützten. Worauf sich das neuartige Coronavirus ab September unter den jungen Erwachsenen wieder ausbreiten konnte und nun, im November, auch wieder stärker die Älteren erreicht hat. «Am wichtigsten bei der Eindämmung des Coronavirus ist das Verhalten der Bevölkerung», betont Puhan.
Als Grundlage für neue schweizweite Massnahmen dient unter anderem die Langzeitstudie «Corona Immunitas», die Puhan zusammen mit der Swiss School of Public Health während des Lockdowns im Frühling gestartet hat. Mittlerweile umfasst Corona Immunitas alle Gebiete der Schweiz. «Das ist weltweit einzigartig, dass man den Pandemieverlauf eines ganzen Landes aufzeichnet», sagt Puhan. Die Longitudinalstudie zeigt auf, wie sich das Coronavirus in den letzten Monaten ausgebreitet hat, wie hoch die Immunität in der Bevölkerung bereits ist und wie stark gefährdete Bevölkerungsgruppen und exponierte Berufsgruppen wie Angestellte in Lebensmittelläden oder im öffentlichen Verkehr betroffen sind (mehr dazu im Video). Milo Puhans Fazit: «Das ist das Allerwichtigste: dass sich alle schützen mit Abstandhalten, Masketragen und Händewaschen – und dadurch nicht nur sich selbst, sondern auch Risikopersonen vor einer Ansteckung bewahren.»
Dank der Unterstützung des Pandemiefonds der Universität Zürich konnten Milo Puhan und sein Team den Kanton Zürich speziell unter die Lupe nehmen. Unter anderem mit einem Antikörpertest seiner UZH-Kollegin Alexandra Trkola untersuchte er im Rahmen der Studie «Ciao Corona» von Mitte Juni bis Mitte Juli 2500 Schülerinnen und Schüler aus 55 Primar- und Sekundarschulklassen, ob sie mit dem neuen Coronavirus angesteckt worden waren oder nicht. «Es hat sich gezeigt, dass sich Schulkinder etwa gleich häufig wie Erwachsene anstecken», so Puhan. Da aber die meisten Kinder keine oder nur wenige Symptome entwickeln, bleiben bei ihnen viele Infektionen unentdeckt. Doch ist das kein Grund, die Schulen zu schliessen, sagt Puhan. «Es gab bis zum Sommer keine Häufung in Klassen, immer nur vereinzelte Ansteckungen.» Wie sich die Situation im Oktober/November in den Schulen im Kanton Zürich weiterentwickelt hat, wird die Auswertung der zweiten Phase von «Ciao Corona» mit denselben 2500 Schülerinnen und Schülern zeigen. Die Resultate werden noch im Dezember erwartet.
Am Institut für medizinische Virologie wurde ein Antikörpertest mit dem Namen ABCORA entwickelt, der unter anderem bei «Ciao Corona» zum Einsatz kam. Im Gegensatz zu herkömmlichen Antikörpertests, die jeweils nur eine Art Antikörper erfassen, misst ABCORA zwölf verschiedene SARS-CoV-2-Reaktivitäten. Der Test liefert ein umfassendes Bild, das er erlaubt, die Stadien während und nach der Infektion zu unterscheiden, und – besonders wichtig – in Zukunft auch die Immunität nach einer Impfung und nach einer Infektion erkennen lässt.
Des Weiteren hat das Team von Alexandra Trkola begonnen, mit dem ABCORA-Test die Kreuzreaktivität von Coronaviren zu erforschen. Frühere Infektionen eines Menschen mit altbekannten, harmlosen Erkältungs-Coronaviren könnten einen Einfluss auf die Immunantwort bei einer SARS-CoV-2-Infektion haben. Ob sich die Kreuzreaktivität von Coronaviren positiv oder negativ auswirkt, können die Virologin und ihr Team nun in Proben aus einer grossen, schweizerischen Biobank erforschen (siehe Video).
Testen, Testen, Testen ist auch in der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie die offizielle Empfehlung der Gesundheitsbehörden. Doch sowohl für PCR-Tests als auch für Antigentests braucht es einen Nasenrachenabstrich, und der ist ziemlich unangenehm und bei jüngeren Kindern schlicht nicht durchführbar. Ein Nachweis im Speichel wäre da für viele eine willkommene Alternative, überlegte sich Trkola. «Insbesondere für Kinder oder für Erwachsene, die sich häufig testen lassen müssen, ist Speichel als Material für den Nachweis ein grosser Vorteil» – denn spucken können Jung und Alt. Das Institut für medizinische Virologie hat nun eine grosse Evaluationsstudie durchgeführt, um zu prüfen, ob SARS-CoV-2 mittels RT-PCR im Speichel nachgewiesen werden kann. «Die Evaluierung hat gezeigt: Es funktioniert gut!», freut sich Institutsleiterin Alexandra Trkola.
Die Speicheltests sollen schon bald, nach der Prüfung durch das Bundesamt für Gesundheit, angeboten werden. Die Speichelprobe lässt sich problemlos zu Hause nehmen, betont Trkola und erklärt die einfache Handhabung am Beispiel einer jungen Familie: «Die Eltern müssen ihr Kind in ein leeres, breites Röhrchen spucken lassen. Dann giessen sie aus einem zweiten Röhrchen eine Stabilisierungsflüssigkeit ins Röhrchen mit der Spucke, verschliessen es mit dem Deckel und schwenken es, damit es sich gut mischt. Das Röhrchen stecken sie in ein grösseres Transportröhrchen und verschicken es per Post an ein Testzentrum.» Die Ungewissheit in Familien mit erkälteten Kindern liesse sich mit dem Speicheltest rasch und unkompliziert in Gewissheit umwandeln. «Aber auch die Schulen und die Kinderärztinnen und -ärzte wären froh um einen solchen Test», sagt Trkola.
Die Gründe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung untersucht Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Universitätsspital (USZ) und Professor für Klinische Immunologie der Medizinischen Fakultät der UZH. Seine bisherigen Erfahrungen am USZ bestätigen, dass aktive Vorerkrankungen wie Diabetes, gewisse Herz- und Lungenkrankheiten, hohes Übergewicht und ein aktives Krebsleiden den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen können. Das ist auch einer der Gründe, weshalb ältere Leute ein höheres Risiko für schwere Verläufe hätten, da diese Vorerkrankungen im Alter häufiger vorkommen, so Boyman. Bei jüngeren Menschen mit schwerem Verlauf zeigt sich jedoch ein komplexeres Bild, als ursprünglich angenommen. Doch haben die Spitäler bei der Behandlung schwerer Fälle rasch dazugelernt (siehe Video).
Weiter untersuchen Onur Boyman und sein Team die verschiedenen Immunantworten, die nach einer SARS-CoV-2-Infektion auftreten. So haben sie herausgefunden, dass Antikörper der Typen IgA und IgG bei Menschen mit milder Covid-19-Erkrankung eher vorübergehend im Blut nachweisbar sind, aber dafür in der Tränenflüssigkeit, im Nasensekret und im Speichel vorkommen können. Ihre Erkenntnisse konnten sie kürzlich im «Journal of Allergy and Clinical Immunology» publizieren.
Derzeit untersuchen die Forscher die Immunzellen des angeborenen und erworbenen Immunsystems von erkrankten Personen, unmittelbar nachdem diese eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und noch einmal nach sechs Monaten. Dabei haben sie auffallend hohe Werte von gewissen Immunzellen, Monozyten genannt, im Blut von Covid-19-Kranken beobachtet. Nun wollen die Forscher herausfinden, welche Immunzellen einen Schutz gegen eine Zweitinfektion mit dem SARS-CoV-2 vermitteln.