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Frau Müller-Böker, Sie leiten gemeinsam mit Claudine Leysinger den Graduate Campus seit August 2016. Nun treten Sie altershalber als Direktorin zurück. Welche Bilanz ziehen Sie?
Ulrike Müller-Böker: Der Graduate Campus ist eine relativ junge Einrichtung. Nach seiner Gründung im Jahr 2010 musste er in der Universitätslandschaft erst etabliert werden. Am Anfang stand die Überzeugung, dass die UZH eine zentrale Plattform für den akademischen Nachwuchs braucht, um über alle Fakultäten hinweg sehr gute Bedingungen für Doktorierende und Postdoktorierende zu schaffen.
Wenn ich Bilanz ziehe, so würde ich sagen, dass der Graduate Campus heute eine bekannte und fest verankerte Institution der UZH ist. Er hat eine hohe Akzeptanz, vor allem bei den Nachwuchsforschenden selbst, und auch aus Sicht der Fakultäten nehmen wir einen wichtigen Platz ein.
Teilen Sie diese Einschätzung, Frau Leysinger?
Claudine Leysinger: Dass wir auf dem richtigen Weg sind, zeigt unsere Aussenwirkung: In der Schweiz nehmen wir eine Vorreiterrolle ein. Inzwischen sind andere Hochschulen unserem Beispiel gefolgt und haben ähnliche fakultätsübergreifende Plattformen eingerichtet, etwa in Lausanne, Genf und in Basel, einige davon haben sogar den gleichen Namen angenommen.
Was war die Herausforderung bei der Etablierung des Graduate Campus an der UZH?
Ulrike Müller-Böker: Die Graduate Schools und die Graduiertenprogramme sind an den Fakultäten und Instituten angesiedelt. Insofern empfanden einige Fakultäten und Programme unsere Initiative als Eingriff in ihren Bereich. Heute werden unsere Angebote stark genutzt.
Sie haben viel erreicht. In welche Richtung soll die Nachwuchsförderung zukünftig gehen?
Claudine Leysinger: Der Graduate Campus strebt eine grundsätzliche Veränderung der Policy im Bereich der Nachwuchsförderung für alle Fakultäten an. So haben wir Best Practice-Leitlinien rund um die Doktoratsausbildung formuliert, die die Qualitätskultur bereits in einigen Fakultäten stärken konnten. In Zukunft sollen alle Fakultäten ins Boot geholt werden.
Was genau beinhaltet die Policy?
Claudine Leysinger: Es ist wünschenswert, dass die Policy in Zukunft für die gesamte UZH gilt. Unsere Best Practice sieht zum Beispiel ein externes Gutachten einer Person vor, die ausserhalb des Betreuungssettings steht, sowie eine Promotionskommission, die mit mindestens zwei Personen besetzt ist. Leider ist das nicht in allen Promotionsordnungen zwingend vorgegeben. Der Graduate Campus hat zwar nicht die Aufgabe, diese Ordnungen zu ändern, aber wir haben die Aufgabe, uns für einheitliche Bedingungen einzusetzen. Das entspricht den Bedürfnissen des akademischen Nachwuchses.
Wie steht es um die Finanzierung der Doktorierenden und Postdocs – gibt es dazu an der UZH einheitliche Regelungen?
Claudine Leysinger: Nein. Die Anstellungsbedingungen und Pflichtenhefte unterscheiden sich je nach Fakultät. Manche Fakultäten stellen Doktorierende, die aus dem Universitätsbudget finanziert werden, als Assistierende an, und solche, die aus Drittmitteln finanziert werden als Doktorierende. An anderen Fakultäten werden alle nur als Doktorierende angestellt, egal ob sie über Drittmittel oder das universitäre Budget finanziert werden. Es gibt auch relativ viele Promovierende, die ihr Doktoratsstudium ohne Anstellung absolvieren, darunter einige, die ein Forschungsstipendium einwerben konnten. Die Löhne sind sehr unterschiedlich, da die Beschäftigungsgrade stark variieren.
Es gibt auch immer wieder Klagen von Doktorierenden, die nur zu Teilzeitpensen angestellt sind, aber vollen Arbeitseinsatz leisten. Wir hoffen, dass hier bald eine einheitliche Regelung für alle Fakultäten eingeführt werden kann.
Promotionsordnungen und Bezahlung sind das eine, wie steht es um die Qualität der Betreuung?
Ulrike Müller-Böker: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass im Vergleich zu anderen Ländern unsere Doktorierenden und Postdocs sehr gute Bedingungen vorfinden. Ihr Befinden wurde vor einiger Zeit mit zwei Online-Befragungen durch die VAUZ respektive die Evaluationsstelle der UZH evaluiert. Mehr als die Hälfte der Befragten gaben an, sehr zufrieden, ein Fünftel gab an, eher unzufrieden zu sein. Vor allem mangelnde Betreuung, aber auch mangelnde Möglichkeiten zum interdisziplinären Austausch waren Aspekte, die kritisiert wurden. Allerdings gilt es dabei zu bedenken: Der Rücklauf der Befragungen lag bei etwa 20 Prozent, und Unzufriedene äussern sich proportional häufiger als diejenigen, die mit ihrer Situation zufrieden sind.
Claudine Leysinger: Aufgrund des beschränkten Aussagewerts von Befragungen gehen wir heute methodisch anders vor, um in Erfahrung zu bringen, wie es um die Zufriedenheit und die Bedürfnisse des wissenschaftlichen Nachwuchses steht: In einer Serie von Workshops mit Fokusgruppen eruieren wir die Situation der verschiedenen Stakeholder im direkten Gespräch.
Was tun Sie, um die Qualität der Betreuung von Doktorierenden zu verbessern?
Claudine Leysinger: Wir bieten seit Anfang Jahr Supervision für betreuende Professorinnen und Professoren an. Diese Kurse werden sehr geschätzt. So wächst eine neue Generation von Betreuungspersonen nach, die ihren Betreuungsstil reflektieren und aktiv daran arbeiten will.
Forschen als Doktorandin sei so explosiv wie Nitroglyzerin, schrieb eine ehemalige Doktorandin letztes Jahr in der NZZ, und meinte vor allem die Beziehung zwischen den Betreuenden einer Dissertation und den Doktorierenden. Wie kann die Explosionsgefahr in dieser heiklen Beziehung minimiert werden?
Ulrike Müller-Böker: In den meisten Fällen ist diese Beziehung weder explosiv noch heikel! Was diese Beziehung aber anspruchsvoll macht, ist die Kopplung von Betreuung und Bewertung. Zu Explosionen kann es in Ausnahmefällen kommen, wenn die gegenseitigen Erwartungen sich nicht entsprechen. Daher ist es zentral, dass diese in Doktoratsvereinbarungen festgehalten werden.
Eine Doktorarbeit ist ja immer auch ein «Emanzipationsprojekt», hin zur eigenständigen Forschung. Gleichzeitig jedoch ist sie in vielen Fällen Teil der Forschungsagenda der Betreuungsperson. Die Betreuenden müssen lernen, mit Nähe und Distanz umzugehen. In unseren Supervisionskursen für Betreuende wird zum Beispiel das aktive Zuhören geübt. Jeder Doktorand, jede Doktorandin ist anders, für jedes Projekt sollte das Setting neu ausgehandelt werden.
Die Betreuung von Doktorierenden ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die am besten in einer Betreuungskette erlernt wird. Doktorierende betreuen und evaluieren vielfach Bachelor- und Masterarbeiten. Postdocs wiederum betreuen oft die Doktorierenden und erfahren, wie eine produktive Zusammenarbeit in diesem Setting aussehen kann. Professoren und Professorinnen sind für alle verantwortlich! Einschliesslich für eine Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Betreuung.
Claudine Leysinger: Gerade die Postdocs sind wichtig in der Doktoratsausbildung, weil sie häufig Betreuungsaufgaben übernehmen. Es gibt jedoch grosse Unterschiede darin, wie diese Arbeit gewürdigt wird. Bei einigen Fakultäten ist die Betreuung von Doktorierenden durch Postdocs offiziell anerkannt, an anderen Fakultäten leisten die Postdocs informelle Supervision, die nicht genügend sichtbar wird.
Dabei ist es für die Karriere dieser Nachwuchsforschenden wichtig, wenn sie angeben können, dass sie Betreuungsaufgaben übernommen haben und sie bereits einige Erfahrung darin sammeln konnten. Uns ist es ein grosses Anliegen, Verantwortlichkeiten festzulegen und klar zu definieren, wer in dem Betreuungssetting welche Aufgaben übernimmt.
Akademische Forschung ist eine attraktive Berufsperspektive. In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Zahl der Doktorierenden an der UZH verdoppelt. Davon erhalten nur wenige eine Professur. Wie gelingt eine Betreuung im Doktorat, die Nachwuchsforschende nicht nur mit einer veröffentlichten Arbeit, sondern auch mit Rüstzeug für eine Karriere – zum Beispiel in der Wirtschaft – entlässt?
Ulrike Müller-Böker: Eine sorgfältige Abklärung, was man sich von einem Dissertationsprojekt für sich und die berufliche Karriere verspricht, sollte immer stattfinden, bevor man anfängt.
Claudine Leysinger: Eine Dissertation ist ein Langfristprojekt, und es ist auch während der Dissertation wichtig, die Augen offen zu halten für Alternativen, die zum Beispiel die Wirtschaft oder Verwaltung bietet.
Es ist auch nicht einfach, eine wissenschaftliche Karriere mit Familie zu verbinden. Man muss sich fragen, ob das Umfeld dazu vorhanden ist und ob man genug Unterstützung hat. Bevor man sich für eine Dissertation oder auch ein Postdocprojekt entscheidet, gilt es, viele Fragen zu klären.
Auch in diesem Punkt bieten wir Beratungen an, so zum Beispiel neu Coachings für Nachwuchsforschende, oft geht es dabei um Themen rund um den Karriereweg. Ebenfalls können Doktorierende und Postdocs bei uns Kurse in überfachlichen Kompetenzen besuchen, die ihnen gezielte Skills vermitteln für den weiteren beruflichen Weg in- oder ausserhalb der Akademie.
Frau Müller-Böker, Sie treten nun altershalber als Direktorin des Graduate Campus zurück, der Campus selbst stellt sich organisatorisch neu auf. Was ändert sich?
Ulrike Müller-Böker: Die Lenkungsform des Graduate Campus wird vereinfacht, er wird von einer mitverantworteten Organisationseinheit zu einer regulären Abteilung des Prorektorats Forschung. Es gibt neu kein Direktorium mehr, sondern einen Beirat, der aus Vertreterinnen und Vertretern der Fakultäten besteht und die wichtige Verbindung zu den Fakultäten garantiert, aber auch Stimmen der Wirtschaft, Kultur und Verwaltung sind vertreten.
Der Beirat, der als eine Art Think Tank agiert, steht Claudine beratend zur Seite. Neu ist auch das Verfahren bei der Vergabe von Grants. Der Vergabeausschuss wird nun ausschliesslich aus Nachwuchsforschenden bestehen. So können sie lernen, wie man Gesuche einordnet, speditiv beurteilt und dann entscheidet – und sie haben eine stärkere Mitsprache am Graduate Campus.