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Milo Puhan: Ja und Nein. Ja, weil man immer mit einer Pandemie rechnen musste. Bis vor dem Coronavirus sind wir aber stets glimpflich davongekommen, in den vergangenen Jahren etwa mit Sars (2002) und Mers (2012). Damals bestand ebenfalls die Angst vor einer weltweiten Pandemie. Die Infektionen haben dann aber nie das Ausmass von Covid-19 angenommen. Der Einschnitt in den Alltag, der durch das Virus entstanden ist, ist enorm. Wir sind uns so etwas überhaupt nicht gewohnt. Deshalb war es letztlich für alle überraschend, niemand war darauf wirklich vorbereitet.
Puhan: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar. Und es gibt keine einfachen Erklärungen. So war die weltweite Mobilität 2012 bei Mers genauso gross wie heute und Grossanlässe gab es damals auch. Es muss etwas mit den biologischen Eigenarten dieses Virus und wie der Mensch darauf antwortet zu tun haben. Da dürfte das Geheimnis versteckt sein.
Puhan: Wir werden Antworten erhalten. Die Frage ist, ob wir über die geeigneten Daten verfügen, um das zu untersuchen. Ich studiere im Moment die Literatur, die seit 2003 im Nachgang zur Sars-Pandemie publiziert wurde. Die Situation war damals teils vergleichbar. Doch leider wurden frühere Pandemien wie Sars wissenschaftlich zu wenig gründlich untersucht.
Puhan: Eine bessere Erforschung von Pandemien mit Atemwegserkrankungen wie Sars und Mers könnte heute hilfreich sein. So beschäftigen wir uns aktuell intensiv mit der Frage, ob das Virus auf und unter Kindern übertragen wird.
Das wären Fragen, bei denen es nützlich wäre, auf frühere Forschung zurückgreifen zu können.
Puhan: Ich hoffe es. Heute sind wir uns bewusster, dass man bestimmte Daten braucht, um das Virus zu erforschen. Dazu gehören Umgebungsabklärungen: Wenn jemand infiziert ist, schaut man sich immer die Umgebung an. Heute wird viel mehr getestet, ob Leute, die mit einem Infizierten Kontakt hatten, selbst erkranken oder Antikörper dagegen gebildet haben, als Zeichen dafür, dass sie infiziert waren. Das sind Aspekte, die hoffentlich besser abgedeckt werden, als dies früher der Fall war. Das könnte uns dann bei künftigen Pandemien mit verwandten Viren helfen.
Puhan: Auf der eidgenössischen Ebene ist die Zusammenarbeit des Bundesamts für Gesundheit mit den Wissenschaftlern gut. Was von unseren Empfehlungen letztlich umgesetzt wird, liegt aber nicht in unserer Hand. Unsere Vorschläge sind auch nicht das allein Seeligmachende. In dieser Krise spielen viele Faktoren zusammen. Der Bundesrat hat einen brutalen Job, es ist grausam, was er entscheiden muss. Die Wissenschaft wird aber gut einbezogen und in einer positiven Weise. Aus anderen Ländern, etwa aus Deutschland, hört man viele negative Storys.
Puhan: Etwa dass die Wirtschaft die Wissenschaft attackiert, weil es mit der Öffnung zu wenig schnell geht.
Puhan: Das Resultat gibt den bisherigen Entscheiden recht. Wir konnten den Anstieg relativ schnell brechen. Ich war ehrlich gesagt überrascht, dass das so gut funktioniert hat. Auch weil wir eben nicht so drastisch eingreifen mussten wie in anderen Ländern. Der Bundesrat hat sehr gut kommuniziert, indem er die Bevölkerung schrittweise an die nächste Phase herangeführt hat. Das hat dazu geführt, dass die Massnahmen relativ gut angenommen wurden.
Puhan: Da ist vielleicht noch nicht alles optimal gelaufen, auch in der Kommunikation. Der Auftritt des Bundesrats war zuweilen etwas allzu optimistisch. Da wurde vermittelt: Jetzt ist es vorbei, wir können wieder machen, was wir wollen. So ist es ja nicht.
Puhan: Beim Lockdown war das Ziel, den Infektionszahlen die Spitze zu brechen, damit das Gesundheitssystem nicht kollabiert und wir nicht in eine Situation kommen, wo kranke Menschen nicht mehr behandelt werden können. Das war eine klare Botschaft, die bei der Umsetzung und der Akzeptanz der Massnahmen enorm geholfen hat. Jetzt fehlt eine solche unmissverständliche Botschaft aber weitgehend. Im Vordergrund steht vielmehr eine Rückkehr zu einem einigermassen normalen Leben.
Puhan: Jetzt müsste kommuniziert werden, dass wir versuchen, bei den Neuinfektionen einen stabilen Zustand zu halten. Wir müssen die Infektionsrate so einpendeln, dass die Neuansteckungen nicht wieder in die Höhe schnellen. Und das so lange, bis wir eine Impfung haben. Das Virus wird nicht verschwinden. Es ist erst unter Kontrolle, wenn geimpft werden kann. Diese Botschaft ist aber, glaube ich, nicht ganz bei der Bevölkerung angekommen. Es ist schwierig, diesen stabilen Zustand zu erreichen. Dazu braucht es ein feines Austarieren. Wir müssen genau beobachten, wie sich die Infektionsrate entwickelt, und Entscheide treffen, die das berücksichtigen. Das ist wahrscheinlich auch schwieriger zu vermitteln.
Puhan: Die Studie soll zeigen, wie sich die Lockerungsmassnahmen auswirken. Wir untersuchen, wie die Ausbreitung des Virus verläuft, wenn wir schrittweise öffnen. Das ist wichtig, weil viele Infektionen asymptomatisch verlaufen, das heisst, die Infizierten zeigen wenig oder keine Krankheitssymptome und werden deshalb gar nicht getestet. Unsere Studie zeigt, wann in welcher Bevölkerungsgruppe Antikörper gebildet wurden. Dazu gehören auch bestimmte Berufsgruppen wie das Pflegepersonal, Polizisten, Mitarbeitende im Detailhandel oder Chauffeure im öffentlichen Verkehr, die besonders exponiert sind.
Puhan: Mai und Juni sind eine erste Standortbestimmung: Was ist während er ersten Welle passiert, wie viele Personen haben sich tatsächlich mit Corona angesteckt? Das wissen wir heute ja nicht wirklich, weil viele gar nicht getestet wurden. Bei den Untergruppen interessiert uns wie gesagt, wie wirksam die Schutzmassnahmen waren.
Daraus kann man schliessen, ob man mehr für den Schutz tun muss. In Genf werden wir am Ende dieser Phase wohl 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung nachweisen können, die am Virus erkrankt sind. Das ist wesentlich mehr als die positiv getesteten Personen.
Puhan: Das gibt uns eine Perspektive, wie sich die Immunisierung der Gesellschaft entwickelt. Die grosse Frage ist, wie weit wir von der sogenannten Herdenimmunität entfernt sind.
Puhan: Mindestens, eher 70 bis 80 Prozent.
Puhan: Wir können die Antikörper gegen das Virus nachweisen. Wir wissen aber nicht, ob diese Antikörper das Virus so binden, dass es nicht mehr in die Zelle gelangen kann. Es gibt jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das so ist, weil gewisse Antikörper genau auf die Spikes passen, jene Teile des Virus, die es ihm erlauben, die Zellen zu knacken. Die Hoffnung ist, dass das mit dem Immunschutz korreliert. Gesichert ist das aber noch nicht, denn wir verfügen noch nicht über Tests, die die neutralisierenden Antikörper nachweisen können, die das Virus komplett zerstören. Wir kennen auch die Verläufe noch nicht. Das ist ein wichtiger Teil unseres Projekts. Der härteste Test ist jener, der nachweist, ob bereits Infizierte eine zweite Infektion bekommen.
Puhan: Genau. Deshalb ist es wirklich zu früh, zu sagen, man könne tun, was man wolle, wenn man einmal infiziert war.
Puhan: Im September werden wir feststellen können, wie sich die Lockerungen auf die Verbreitung des Virus auswirken. Im Idealfall sterben wenige Menschen, das Gesundheitssystem bricht nicht zusammen, die Leute können mehr oder weniger gut arbeiten und wir sind bei einer Durchseuchung von 30 Prozent. Vielleicht liegen die Werte auch tiefer. Diese Zahlen sind dann wichtig, um den Impfbedarf zu bestimmen – sind es zwei oder eher sieben Millionen Menschen, die man noch impfen muss?
Puhan: Ein Experiment zu machen, bei dem die Durchseuchung kontrolliert forciert wird, wäre fahrlässig. Dazu fehlt uns das Wissen.
Puhan: Ich weiss es nicht. In der Schweiz sind drei Gruppen in Bern, Basel und Marly im Rennen um die Entwicklung eines Impfstoffs. Sie versprechen alle, dass sie bis im Herbst eine Impfung haben. Ob dies der Fall sein wird, können wir heute nicht abschätzen.
Puhan: Die Herausforderung bei Impfungen ist, dass sie sicher sein müssen. Sonst könnte ein grosser Schaden angerichtet werden, wenn viele Menschen geimpft werden. Dieser kann grösser sein als derjenige, der durch das Virus verursacht wird. Was man jetzt versucht, ist, in sehr kurzer Zeit eine Impfung zu entwickeln, die wirksam und sicher ist. Die Entwicklung einer Impfung dauert normalerweise Jahre.
Puhan: Uns ist klar: Wir liefern nur Puzzleteile. Die politischen Entscheide sind komplex, da spielen viele Faktoren rein. Doch wir hoffen, eine gewisse Datengrundlage liefern zu können.
Puhan: Ja, das ist aussergewöhnlich. Doch unser primäres Ziel ist jetzt, Informationen zu liefern, die uns helfen, möglichst sicher aus dem Lockdown rauszukommen. Da können wir nicht warten und alles schön büscheln.
Puhan: Es ist stressig, aber im positiven Sinn. Wir können Dinge umsetzen, für die wir sonst oft Jahre brauchen, jetzt geht es innerhalb von Wochen und Monaten. Das ist eine besondere Erfahrung, auch weil wir gewisse Risiken eingehen können. Dafür sind wir der UZH dankbar. Der Aufbau des Covid-Testzentrums hat uns überhaupt in die Lage versetzt, jetzt so grosse Dinge anzupacken.
Puhan: Das Projekt übersteigt unsere institutionellen Möglichkeiten bei Weitem, deshalb versuchen wir, über verschiedene Kanäle zusätzliche Mittel zu erhalten: Die Swiss School of Public Health, aus kantonalen Zusatzleistungen, und alle Partner versuchen, auch lokal und regional Geld einzuwerben, wie wir mit der UZH Foundation. Ich bin zuversichtlich, dass wir die Finanzierung schaffen.