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Gentechnik und Umweltschutz wollen in unseren Köpfen nicht richtig zusammenpassen. Dabei hätte das vermeintlich ungleiche Paar grosses Potenzial für eine nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft. Dies sagt Philipp Aerni. Für den Agrarökonomen vom Center for Corporate Responsibility and Sustainability an der UZH ist klar, dass eine Landwirtschaft, die umweltschonend sein soll und gleichzeitig den künftigen Bedarf an Nahrungsmitteln decken will, auch auf Gentechnologie setzen muss. «Die Weltbevölkerung wächst immer weiter vor allem in ärmeren Ländern», sagt Aerni, «mit biologischem Landbau allein lassen sich Ernährungssicherheit und Umweltschutz aber nicht unter einen Hut bringen.» In einer Kombination von biologischem Landbau und grüner Gentechnologie aber vielleicht schon.
Interessant sind Pflanzen, die ideal an ihre Umgebung angepasst sind und umweltschonend angebaut werden können. Erreichen kann man gewünschte Qualitäten durch herkömmliche Zuchtverfahren, neuerdings aber auch mit CrisprCas9. Die 2012 entwickelte und seither laufend verbesserte Genschere ermöglicht es, einzelne Gene eines Genoms zu verändern oder auszutauschen und damit die Eigenschaften von Pflanzen gezielt zu verändern. «Bestimmte Eingriffe mit der Genschere unterscheiden sich nicht von dem, was in der Natur passiert», sagt Ueli Grossniklaus, «sie ist so gesehen eine neue Variante in einer Palette von bestehenden Zuchtverfahren.» Tatsächlich lassen sich solche mit der Genschere veränderte Pflanzen nicht von klassisch gezüchteten unterscheiden.
Für Pflanzenbiologe Grossniklaus hat CrisprCas9 ein grosses Potenzial für die nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft, denn damit könnten schnell und präzise resistente Pflanzen gezüchtet werden. Beispielsweise Getreide-, Gemüse- und Obstsorten, die widerstandsfähiger gegen Schädlinge sind, aber auch solche, die besser gegen Umweltstress – wie Hitze, Staunässe oder Trockenheit – gewappnet sind. «Pflanzen, die etwa weniger Wasser oder Dünger brauchen, können viel zu einer ressourcenschonenden Landwirtschaft beitragen», sagt der Forscher.
Auch die Schweiz könnte davon profitieren. Etwa indem Kartoffeln angebaut werden, die gegen die Blatt- und Knollenfäule resistent sind. Um die edlen Knollen vor dieser Krankheit zu schützen, spritzen Bauern heute viel Chemie, und auch im biologischen Landbau wird im grossen Stil Kupfer ausgetragen, um des Problems Herr zu werden. Beides belastet den Boden und könnte mit widerstandsfähigeren Pflanzen vermieden werden.
«Prototypen solcher Pflanzen gibt es seit langem», sagt Grossniklaus, «auch wissen wir aus mittlerweile fast 40-jähriger Erfahrung, dass gentechnisch veränderte Pflanzen keine gesundheitlichen Probleme verursachen – auch das Nationale Forschungsprogramm NFP59 kam zum Schluss, dass von der grünen Gentechnik keine speziellen Risiken für die Umwelt ausgehen.» Dennoch können solche Pflanzen nicht genutzt werden – weder hierzulande noch in den meisten Ländern der EU.
In der Schweiz besteht seit 2005 ein Moratorium, das den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen verbietet und in regelmässigen Abständen verlängert wird. In vielen Köpfen sind die Meinungen gemacht: Gentechnik gilt als unnatürlich und darum als gefährlich und schlecht. «Weil das so ist, setzen sich kaum Politikerinnen und Politiker für die Gentechnologie ein», sagt Philipp Aerni, «sie glauben, mit diesem Thema keine Wählerstimmen gewinnen zu können.»
Für Ueli Grossniklaus steckt hinter der robusten Gentechnologie-Skepsis eine falsche Vorstellung von Natürlichkeit. Denn der Mensch hat der Natur seit Beginn des Ackerbaus vor zehntausend Jahren immer wieder auf die Sprünge geholfen – bis in unsere Tage. «Alle Pflanzensorten, die heute angebaut werden, wurden genetisch verändert», sagt Grossniklaus. Sie wurden auf bestimmte Eigenschaften wie Geschmack und Ertrag hin gezüchtet. Sei es durch die Selektion des Saatguts vom Bauern oder durch gezielte Kreuzungen und Mutagenese durch Züchter. Bei der seit den 1950er-Jahren angewandten Mutationszüchtung werden durch chemische Substanzen oder Bestrahlung Mutationen im Erbgut der Pflanzen ausgelöst.
Dabei können neue interessante Eigenschaften entstehen, die in der Pflanzenzucht weiterverwendet werden. «Viele Pflanzen, die heute auch im biologischen Landbau angebaut werden, sind so entwickelt worden», sagt Ueli Grossniklaus. Obwohl die Mutagenese das Erbgut von Pflanzen verändert, gilt sie nicht als Gentechnik. Auf diese Weise veränderte Pflanzen können deshalb wie herkömmliche angebaut werden. Ob Veränderungen an Pflanzen mit der Genschere CrisprCas9 in der Schweiz künftig ähnlich behandelt werden wie die Mutationszüchtung, ist noch offen. Die EU ist in dieser Frage bereits einen Schritt weiter: In einem Urteil von 2018 zählte der Europäische Gerichtshof mit CrisprCas9 veränderte Pflanzen zu den gentechnisch veränderten Organismen und unterstellte sie den strengen Regulierungen des Gentechnikgesetzes. «Es ist wohl davon auszugehen, dass unser Land der EU folgen wird», sagt Grossniklaus.
Letztlich ist es eine politische Frage, was als Gentechnik betrachtet wird und was nicht. Wissenschaftlich gesehen sind die Grenzen zwischen herkömmlichen Zuchtverfahren und moderner Gentechnik dagegen fliessend – sie alle verändern das Erbgut von Pflanzen und damit ihre Eigenschaften.
Für den Biologen Grossniklaus ist die strikte Regulierung in der Gentechnologie in der Schweiz und der EU denn auch das zentrale Problem. Sie verhindere jegliche Innovation und spiele den grossen Saatgutfirmen in die Hände. «Ein gentechnisch verändertes Produkt auf den Markt zu bringen, kostet 200 bis 300 Millionen Franken und benötigt ein ganzes Team von Patentspezialisten und Rechtsanwälten», sagt der Forscher, «das können sich nur grosse Unternehmen leisten.» Wären die Auflagen dagegen weniger streng, könnten eine Vielzahl von Startup-Firmen aus der Forschung an den Universitäten herauswachsen und eine breite Palette von zahlbarem und für unterschiedliche Anbaubedingungen massgeschneidertem Saatgut entwickeln. «Das gäbe einen riesigen Innovationsschub für die nachhaltige Landwirtschaft von morgen», ist Ueli Grossniklaus überzeugt.