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Theologie

Ostern online

Auch das höchste Fest im Kirchenjahr wird digital begangen. Wie beeinflusst der kirchliche Digitalisierungsschub die zukünftige religiöse Praxis? Eine Bestandsaufnahme von UZH-Theologe Thomas Schlag.
Thomas Schlag
Virtuelle Gebetgemeinschaften verbinden mehrere tausend Menschen zur Spiritualitätspraxis über das Netz.


Inmitten der Coronavirus-Krise trifft das verordnete «social distancing» auch die Gottesdienste und Zusammenkünfte religiöser Glaubensgemeinschaften. Schlagartig vervielfältigen und dynamisieren sich religiöse Online-Praktiken in einer bis dato kaum erwartbaren Weise – und dies quer durch alle Religionen hindurch und offenbar fast so exponentiell wie das Virus selbst.

Brennpunktartig zeigen sich diese Dynamiken einer «Digital Religion» im Bereich der christlichen Kirchen in der vorösterlichen Zeit des Jahres 2020: Da entstehen zum einen eher klassisch anmutende Angebote einer «religion online»: Pfarrerinnen und Pfarrer stellen ihre Festtagspredigten ins Netz oder als Podcast zur Verfügung. Eine etwas elaboriertere Praxis besteht darin, Karfreitags- und Ostergottesdienste – «im vollen Ornat» von Pfarrperson, Organist und entsprechend ausgestattetem Kirchenraum – live zu streamen, und dies natürlich unter physischer Abwesenheit der Gemeindemitgliederinnen und -glieder.

Kirchlicher Digitalisierungsschub

Selbst wenn manches noch etwas unbeholfen wirkt, ist bereits ein kirchlicher Digitalisierungsschub zu konstatieren, der so bis vor wenigen Monaten schlichtweg undenkbar war. In vielen solcher Online-Praktiken zeigt sich bisher allerdings eine eher klassische Nutzung technologischer Möglichkeiten: Die religiösen Kommunikationsinhalte sind erst einmal mehr oder weniger identisch mit dem, was Kirche und ihre Repräsentantinnen und Repräsentanten schon seit jeher zu sagen hatten. Und der Verkündigungsraum bleibt – auch virtuell betrachtet ­– seltsam leer.

Demgegenüber sind für die aktuelle Erforschung «digitaler Religion» jene kreativen Praktiken weit interessanter, durch die ganz neue gemeinschaftsstiftende Formen erzeugt werden. Mittels einer Vielzahl von partizipativen Angeboten, beispielsweise Live-Kanäle, Chatforen, Hackathons und religiösen Influencerinnen und Influencern wird versucht, dem digitalen Medium selbst religiöse Qualität einzuhauchen. In Echtzeit werden gemeinsame Gebetszeiten vereinbart, vorösterliche Gedanken ausgetauscht und seelsorgerliche Gespräche abgehalten.

Interaktive Gebets-Apps

Eine erste Einschätzung solcher digitaler Schöpfungs- und Verwandlungsdynamiken religiöser Praxis ergibt: Der audiovisuelle Charakter gibt dem digital-religiösen Medium im wahrsten Sinn des Wortes ein Erscheinungsbild, das über dessen technische Funktion weit hinausgeht. Durch die partizipative Netzwerk-Praxis entstehen neue identitätsstiftende Kommunikationsräume. Hierbei ist aber nicht das klassische Mitgliedschaftsverhältnis der entscheidende Identitätsmarker. Sondern die religiöse Nutzung bestimmt den Charakter des jeweiligen digitalen Mediums und trägt zu dessen kreativer Weiterentwicklung bei. Dies zeigt sich etwa bei den in jüngster Zeit vermehrt angebotenen Gebets-Apps, deren Funktionen zugleich immer umfassender und auch interaktiver werden – so etwa die sogenannte «Rosenkranz-App», die bewusst die aktive Vernetzung in und mit der globalen Gebetsgemeinde ermöglichen will.

Frage nach Deutungsmacht

Dass solche neuen religiösen Kommunikationsräume inmitten der gegenwärtigen Corona-Pandemie für das Individuum höchst existenzielle Bedeutung entfalten, ist eindrücklich und faszinierend. Dass damit ganz neue Herausforderungen für die «klassischen» Religionsinterpreten entstehen, eröffnet ein weiteres spannendes interdisziplinäres Forschungsfeld: Denn, wenn sich hier auf so selbstbewusste Weise theologische Produktivität «from the bottom» zeigt, drängt sich auch die Frage nach der Deutungskompetenz und damit der Lehrautorität «in Sachen Religion» auf. Kirchen und Religionsgemeinschaften sind jedenfalls dazu herausgefordert, diese «digital religious shapers» überhaupt erst einmal wahr- und ernst zu nehmen.

Ideen für das Online-Abendmahl

Und auch die bewährte Ritualpraxis könnte digital neue Aggregatzustände annehmen. Um die Dynamik dieses «religious shaping of technology» für die gegenwärtige Feiertagszeit weiterzuspinnen: Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das karfreitägliche Abendmahl, die Osternachtfeier und die Erinnerung an die Auferstehung ganz neue virtuelle Liturgie-Formate generiert. Jedenfalls ist das Netz bereits voller Ideen zur Möglichkeit und Sachgemässheit von Online-Abendmahlen. Dass dabei nicht zuletzt die alten theologischen Debatten um die Frage der «realen» Präsenz Christi erneut aufgenommen werden, ist von besonderer Eindrücklichkeit.

Es zeigt sich aber auch: Gerade in diesen Zeiten des gruppenbezogenen Kontaktverbots ist eine ganz bestimmte Dimension religiöser digitaler Praxis sozusagen auf vorösterliches Eis gelegt: Tatsächlich treibt viele die Sorge um, dass das individuelle Mitfeiern vor dem hauseigenen Laptop nur bedingt gemeinschaftsstiftende Wirkung hat – ganz abgesehen davon, dass die digitale Praxis natürlich auch diejenigen auszuschliessen droht, für die dieses Medium fremd ist.

Forschungen zur Thematik sind bisher davon ausgegangen, dass die Relevanz und Nachhaltigkeit einer Online-Praxis immer auch von realen Begegnungen abhängig ist, da nur so wirklich eine Beziehungs- und Vertrauensebene geschaffen wird. Da dies nun aus genannten Gründen aktuell nicht möglich ist, reagieren religiöse Social-Media-Angebote darauf, indem zum Beispiel virtuelle Gebetgemeinschaften – wie etwa «Twaudes» oder «Twomplet» – eingerichtet werden. Ähnlich wie die klassischen Hauskreise verbinden sie nun eben mehrere tausend Menschen zur digitalen Spiritualitätspraxis.  

Veränderte Praxis

Ob sich durch eine solche neue Begegnungskultur das religiöse Gemeinschaftsgefühl auf Dauer digital stabilisieren oder gar befeuern lassen wird, ist weiter zu erforschen. Aber sollte eine solches Gefühl von «believing and belonging» auf digitalen Wegen möglich werden – und vieles deutet bereits jetzt darauf hin – wird dies auch über die gegenwärtigen Zeiten hinaus das Erscheinungsbild der Religionen und ihrer gemeinschaftlichen Praxis mit Sicherheit erheblich verändern.

Und nicht zuletzt: Die unerfüllbare Gleichzeitigkeit von virtueller und realer Raumsphäre hat möglicherweise sogar mehr mit der Osterzeit zu tun, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Denn theologisch gesprochen, lebt die Karfreitags- und Osterverkündigung von einem hybriden Charakter von Leid, Kreuzestod und Trauer, der existenziell-personalen Begegnung am Ostermorgen einerseits – und vom geheimnisvoll Unverfügbaren und dem einstweilen «auf Hoffnung hin» Verkündigten andererseits. Warum sollten nicht gerade digitale Formen diese spannungsvolle Dynamik zeitgemäss zur Sprache bringen können? 

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