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Nachhaltigkeit

Gratis Zug fahren

Der ökologische Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft ist eine Jahrhundertaufgabe. Aber eine machbare, sagt Nachhaltigkeitsforscher Kai Niebert. Das Geld für den Umbau ist da, was es braucht, sind Mut und die richtige Politik.
Thomas Gull
Klimafreundlich leben: Lieber den Zug nehmen, als mit dem Auto fahren. (Bild: Madeleine Ragsdale, iStock); (Video: UZH Kommunikation / Multimedia and E-Learning Services UZH)


Wir wissen es: Unser ökologischer Fussabdruck ist viel zu gross. Das gilt insbesondere für das CO2, das jede und jeder pro Jahr produziert: neun Tonnen pro Person. Nachhaltig wären zwei. Das heisst: Der Weg zurück zu einem für unseren Planeten verträglichen Verhalten scheint lang zu sein. Und dornenreich, voller Verzicht. Kai Niebert, Professor für Didaktik der Naturwissenschaften und der Nachhaltigkeit an der UZH, hat die Probe aufs Exempel gemacht. «Ich habe versucht, mit zwei Tonnen auszukommen», erzählt er in seinem Büro an der Kantonsschulstrasse mit unverstelltem Blick auf die Fassade des neuen Kunsthauses. Das bedeutete: mit dem Fahrrad zur Arbeit und kein Fleisch in der Mensa. Geschafft habe er es von Montag bis Donnerstag, erinnert sich Niebert. Dann sagte sein Bürokollege zu ihm: «Du könntest wieder einmal duschen.» Nach der Dusche war die schöne Ökobilanz futsch.

Heute macht Niebert das Experiment mit seinen Studierenden an der UZH. Interessant dabei sind die Entscheide, die gefällt werden müssen. «Für die einen ist der Verzicht auf Fleisch kein Problem, dafür würden sie gerne in den Urlaub fliegen.» Solche Debatten seien es, die auch gesellschaftlich geführt werden müssten, betont Niebert. Denn wie sein eigenes Experiment belegt, können wir mit unserem Verhalten nur einen Teil unseres CO2-Ausstosses beeinflussen. «Wie unsere Untersuchungen zeigen, ist das maximal ein Drittel. Für den Rest sind wir von unserem Umfeld abhängig.» Das heisst: Woher kommt der Strom für den ÖV, welche Heizung hat mein Vermieter eingebaut, wie geruchs­empfindlich sind meine Büro­kolleginnen? Die Konsequenz daraus: Es reicht nicht, wenn wir unser persönliches Verhalten ändern. Es braucht auch eine andere Politik. Eine Politik, die Nachhaltigkeit gezielt und entschieden fördert und uns so ermöglicht, umwelt­verträglich zu leben.

Schluss mit falschen Anreizen

Das geht auf verschiedenen Wegen. Einerseits brauche es dafür klare politische Leitplanken, betont Niebert, andererseits muss Schluss sein mit falschen Anreizen und Subventionen, die den Verbrauch fossiler Brennstoffe begünstigen. Niebert, der die deutsche Bundesregierung in Umweltfragen berät, macht dazu ein Beispiel aus dem Verkehr: In Deutschland wird heute der Dieseltreibstoff jährlich mit sieben Milliarden Euro subventioniert (die Steuern auf Diesel sind tiefer als die auf Benzin), gleichzeitig gehen durch die Pendlerabzüge jährlich fünf Milliarden an Steuergeldern verloren. Auf der anderen Seite kostet der gesamte öffentliche Verkehr zwölf Milliarden, die Hälfte davon wird durch Tickets wieder eingespielt, die andere Hälfte trägt der Staat.

Für Niebert ist die Rechnung einfach: «Streicht man die zwölf Milliarden, die für falsche Anreize ausgegeben werden, könnte der gesamte ÖV gratis angeboten werden und es wären noch sechs Milliarden übrig, die in Elek­trobusse und den Ausbau der Bahn investiert werden könnten.» Eine solche Umverteilung hätte nicht nur ökologische, sondern auch soziale Konsequenzen – die alleinerziehende Krankenschwester könnte im ÖV kostenlos zur Arbeit fahren, während es den SUV-Fahrer «kaum schmerzt» (Niebert), wenn die Dieselsubventionen wegfallen. Analysen zur Akzeptanz einer ökologischen Neuausrichtung zeigen: Sie wird nur funktionieren, wenn sie sozial verträglich ist.

In Deutschland werden jährlich 57 Milliarden für umweltschädliche Subventionen ausgegeben. Dazu gehört die Steuerbefreiung für Kerosin, der Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge oder eine Landwirtschaftspolitik, die den Verbrauch von Flächen fördert statt Bauern zu belohnen, wenn sie die Biodiversität erhalten oder Dienstleistungen erbringen, die ökologisch wertvoll sind.

Auf der anderen Seite der Gleichung würde die Reduktion des CO2-Ausstosses um
95 Prozent bis 2050 in Deutschland jährlich 30 Milliarden Euro kosten. Die Rechnung ist schnell gemacht: «Das Geld ist da, es muss nur richtig investiert werden», unterstreicht Niebert.

Wie sieht es für die Schweiz aus? «Ich bin gerade dabei, die umweltschädlichen Subven­tionen zusammenzustellen», sagt Niebert, «doch das ist gar nicht so einfach.» Etwa weil bei den rund 20 Milliarden Franken Landwirtschaftssubventionen nicht eindeutig ist: Was schadet der Umwelt und was nützt ihr? Oder weil die Schweiz kein so ausgeprägter Industriestandort mehr ist wie Deutschland und deshalb ein grosser Teil unseres ökologischen Fussabdrucks im Ausland entsteht, von wo wir Vorprodukte und Produkte importieren. Doch auch in der Schweiz können Autofahrer einen höheren Pendlerabzug geltend machen als ÖV-Nutzer. Damit wird ein falscher Anreiz gesetzt.

Widerstand gegen Windkraft

Das Geld für den ökologischen Wandel hätten wir. Was tun wir damit? «Wir müssen bis 2050 klimaneutral sein, um die menschengemachten Klimastörungen zu stoppen.» Unser nördlicher Nachbar könnte auf zwei Prozent seiner Fläche den Strombedarf für das ganze Land decken, mit Sonnen- und Windenergie. In der Schweiz wären die Voraussetzungen noch günstiger, denn wir haben dank der Wasserkraft, die mehr als 50 Prozent unseres Strombedarfs deckt, einen grossen Vorsprung. Die Flächen für die Stromproduktion wären vorhanden: auf den Dächern, in den Städten, entlang der Autobahnen. Doch leider gibt es da «Nutzungskonflikte», insbesondere bei der Windkraft. Die Argumente dagegen reichen von der Verschandelung der Landschaft über den Artenschutz (all die Vögel, die getötet werden) bis zum Wertverlust des Eigenheims.

Ozonloch schliesst sich

Für Niebert ist klar: Anreize und Subventionen allein reichen nicht, um in der Klimapolitik die Wende zu schaffen. Es braucht klare gesetzliche Regeln. Rechtliche Leitplanken zu setzen, ist die gerechteste Politik, denn sie gelten für alle gleichermassen – unabhängig vom Einkommen. Niebert: «Der Himmel über der Ruhr wurde nicht blau wegen Anreizprogrammen, sondern weil Russfilter eingebaut werden mussten.»

Das schlagende Beispiel für die Wirksamkeit von Regulierungen ist das Ozonloch, die starke Ausdünnung der Ozonschicht, die in den 1990er-Jahren ein grosses Thema war. Es handelte sich dabei um ein globales ökologisches Problem, verursacht durch die Freisetzung von Fluorchlorkohlewasserstoffen (FCKW) wie sie damals etwa für Sprays oder Klimaanlagen verwendet wurden. FCKW wurden weltweit verboten. Das wirkt: Das Ozonloch schliesst sich langsam und könnte bis 2050 verschwunden sein. Kai Niebert: «Das zeigt es wunderbar auf – wenn die Staatengemeinschaft konsequente Politik macht, können wir globale ökologische Probleme in den Griff bekommen.»

Die Politik könnte also, wenn sie wollte. Und wir, wie steht es um uns? Niebert hat in seiner Funktion als Professor für Kommunikations- und Bildungs­fragen untersucht, was all die Bildungs­programme für Nachhaltigkeit gebracht haben, wie etwa die UN-Dekade für nachhaltige Entwicklung (2005–2014). Seine Bilanz: «Die Schülerinnen und Schüler wissen heute mehr über Umweltprobleme. Doch ihr Verhalten hat das nicht verändert.»

Über den Treibhauseffekt sprechen

Bildung in diesem Bereich sollte deshalb nicht in erster Linie aufs individuelle Verhalten abzielen, sondern die Jugendlichen ermächtigen, sie ­politisch «partizipationsfähig» machen, wie Niebert das nennt. Im Klartext: Sie sollen verstehen, wie politische Entscheidungen ihr eigenes Verhalten beeinflussen. Zeigen nicht gerade die Klimademonstrationen der Schülerinnen und Schüler, dass die Bildung hier offensichtlich funktioniert? «Wir erheben gerade die Motivation der demon­strierenden Schüler in Bern, Basel und Zürich», sagt Niebert, «dabei wird deutlich: In der Regel sind Freunde und YouTube ihre Informa­tionsquellen, nicht die Schule.» Das gibt dem Erziehungswissenschaftler zu denken: «Wir sollten die Bildung und Soziali­sierung nicht den sozialen Medien überlassen.» Wichtig wäre deshalb etwa, dass nicht nur die Physiklehrerin, sondern auch ihr Kollege, der für die politische Bildung zuständig ist, über den Treibhauseffekt spricht. «Lernende sollen lernen, kompetente Entscheidungen zu treffen», so Niebert.

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