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Lorenz Hilty: Mein Team und die ganze Universität haben nun eine Grundlage, auf der wir uns engagiert für die Nachhaltigkeit einsetzen können. Die häufig gestellte Frage, was denn Nachhaltigkeit für die UZH konkret bedeutet, ist nun in Form von 23 Zielen beantwortet.
Angesichts seiner Dringlichkeit ist der Klimaschutzes das vielleicht wichtigste Ziel in der Umsetzungsstrategie. Gleichzeitig ist es ein sehr ambitioniertes Ziel. Mindestens die Hälfte der von der UZH verursachten Treibhausgasemissionen muss durch eigene Massnahmen vermieden werden. Für die andere Hälfte muss nachgewiesen werden, dass Erkenntnisse aus unserer Forschung sich so auswirken, dass diese Reduktion an einem anderen Ort eintritt.
An Klimaneutralität ist nicht zu denken, wenn die Flugreisen des wissenschaftlichen Personals nicht auf Dauer zurückgehen. Die beim Fliegen verursachten Emissionen können in wenigen Stunden alles übertreffen, was die gleiche Person in einem Jahr einsparen kann, beispielsweise indem sie Abfall vermeidet, Energie spart oder Velo fährt.
Die Alternativen haben wir alle als Folge der Covid-19-Pandemie bereits eingeübt. Wenn wir nach der Pandemie nicht in alte Mobilitätsmuster zurückfallen, wäre schon einiges erreicht. Um Flugreisen zu vermeiden, könnten mehr Konferenzen online stattfinden. Dabei sollte man darauf achten, dass der informelle Austausch ausserhalb der Plenarvorträge sorgfältig geplant wird, damit es eben auch zu persönlichen Kontakten kommt. Ich habe das auf der Konferenz «ICT for Sustainability», die mit dem Format «ConverStations» durchgeführt wurde, sehr positiv erlebt. Ein kurzer Vortrag wird mehrfach vor einem Kreis von nur fünf bis sieben Zuhörenden gehalten, dadurch kommt man ins Gespräch. Das Publikum wechselt jedes Mal. Als Referent werde ich durch die Wiederholung mit immer neuen Sichtweisen von Teilnehmenden konfrontiert. Das erscheint zuerst mühsam, erweist sich dann aber als sehr lehrreich. Das Wichtigste dabei ist: Man lernt die Namen, Gesichter und Argumente der Teilnehmenden kennen.
Im persönlichen Alltagshandeln ist nach dem Reisen die Ernährung ein grosser Hebel für Veränderung. Dabei geht es auch, aber nicht nur um CO2. Was wir essen, hat Einfluss auf verschiedene Treibhausgase, auf Biodiversität und Landnutzungsänderungen, auf die Qualität von Böden und Trinkwasser, auf globale Ungleichheit und nicht zuletzt auf Tierwohl und Infektionskrankheiten. Ein Ziel in der Umsetzungsstrategie ist es deshalb, die Nachhaltigkeit des Verpflegungsangebots in den Mensen laufend zu verbessern.
Geordnet nach Impact sieht die Liste der nachhaltigen Alltagsentscheidungen so aus: Einen Flug nicht buchen, kein Fleisch wählen beim Essen, Heizung herunterdrehen, vorhandene Geräte länger nutzen, bevor man neue kauft. Und langfristig: So wohnen, dass man ohne Auto bequem zur Uni kommen kann, weniger Kubikmeter Gebäude beanspruchen, sich vegetarisch und darüber hinaus regional und saisonal ernähren.
Wissenschaftliche Forschung beruht notwendig auf dem kritischen Blick der Forschenden. Anderenfalls würden wir heute noch glauben, auf einer Scheibe zu leben. Nur aus der Skepsis gegenüber dem Bestehenden heraus können wir zukunftsfähige Lösungen finden. Nach einer langen Phase der technologischen Siege über die Natur müssen wir jetzt Wege finden, die Natur als unsere Lebensgrundlage nicht zu zerstören, sondern Frieden mit ihr zu schliessen.
Die UZH erschliesst zum Beispiel Forschungsgebiete, die für die Nachhaltigkeit sehr wichtig sind, aber noch nicht zum Mainstream gehören. Ich möchte als ein Beispiel das Kompetenzzentrum Sustainable Finance an der UZH erwähnen, das sich mit Fragen des nachhaltigen Investierens, aber auch mit den grundlegenden Wechselwirkungen zwischen dem Finanzsystem und dem Klima befasst. Es gibt weltweit nicht viele Forschende, die sich unabhängig mit diesem bislang unterschätzten Thema beschäftigen.
Um wirksame Massnahmen zur Treibhausgas-Reduktion zu entwickeln, sollen innovative Lösungsansätze aus der Forschung vermehrt im Betrieb der UZH erprobt werden können. Anders gesagt: Nachhaltigkeitsforschung und nachhaltige Praxis sollen näher zusammenkommen und zu einem «Reallabor» für die Nachhaltigkeit werden. Studierende können im Rahmen von Abschlussarbeiten daran mitwirken. Das Nachhaltigkeitsteam kann die thematisch passenden Organisationseinheiten mit interessierten Studierenden zusammenbringen.
Das Nachhaltigkeitsteam wird Workshops organisieren, die zeigen, wie Forschung und Lehre nachhaltiger gemacht werden können. Dabei geht es auch darum, die eigene Disziplin kritisch zu reflektieren, um über ihr Verhältnis zu anderen Disziplinen und zu den grossen Herausforderungen der Nachhaltigkeit nachzudenken. Wir hoffen auf kreative Lehrende und Forschende, die das zum Anlass nehmen, die Inhalte ihrer Lehrveranstaltungen oder zukünftiger Projekte im Kontext dieser Herausforderungen neu zu justieren.
Die meisten Mitarbeitenden und Studierenden der UZH sind sehr gut informiert und viele engagieren sich aus Überzeugung für Nachhaltigkeit. Wir planen für Frühling 2021 eine neue Website, auf der man freiwillige Commitments abgeben kann für Nachhaltigkeitsziele, die man sich selbst setzt. Wir hoffen, dass auf diese Weise engagierte Angehörige der UZH besser zusammenfinden, quer durch alle Stände und Disziplinen.
Die Studierenden machen das bereits selbst mit der jährlichen Nachhaltigkeitswoche, die aus meiner Sicht ein Vorzeigeprojekt ist. Die UZH steht aber sicher in der Verantwortung, das Lehrangebot so zu gestalten, dass tatsächlich auch jene Inhalte und Kompetenzen vermittelt werden, die man in einer Welt braucht, die dringend eine Transformation in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaftsweise benötigt.
Meine Rolle ist vor allem unterstützend. Ich versuche, mit meinem Team und mit der Kommission für Nachhaltigkeit, Synergien zu schaffen und die Strukturen aufzubauen, die einer nachhaltigen Entwicklung dienlich sind. Und vor allem, Bewusstsein zu schaffen für die Notwendigkeit von Veränderungen. Wir haben jetzt die Umsetzungsstrategie als Kompass und werden alle Gremien daran erinnern, was hier in einer breiten Vernehmlassung diskutiert und schliesslich durch die Universitätsleitung beschlossen wurde.
Das Wesentliche geschieht immer in den Köpfen der Menschen. Zentral ist eine Werthaltung, die respektiert, dass es physische Grenzen gibt. Dass es vernünftig ist, wenn man nicht reflexhaft alles bis zum Exzess expandieren will. Das Einzige, das wir theoretisch unbegrenzt vermehren können, liegt im Bereich des Denkens, liegt in unserer Kreativität. Darauf sollten wir uns konzentrieren, dann können wir die Ziele erreichen.