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Aus einer um die Sonne rotierenden massereichen Scheibe aus Gas und Staub entwickelten sich neben den Monden einst die Erde und die weiteren sieben Planeten unseres Sonnensystems. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich auf diese Weise auch die Tausende von extrasolaren Planeten entwickelt haben müssen, die in den letzten Jahrzehnten entdeckt wurden. Welche Prozesse aus einer solchen protoplanetaren Scheibe Planeten entstehen lassen, erforschen Astrophysiker mit Hilfe von Computersimulationen. Sie simulieren sowohl das Wachstum eines Planeten als auch die Entstehung seines Magnetfeldes. Beides – Planetenentwicklung und Magnetfeldbildung – sind bis anhin jedoch getrennte Forschungsbereiche und werden in getrennten Modellen simuliert. Nun ist es den Forschern Lucio Mayer, Professor für Computational Astrophysics an der Universität Zürich und Projektleiter beim Nationalen Forschungsschwerpunkt PlanetS, Hongping Deng, früherer Doktorand von Mayer, sowie Henrik Latter, University Lecturer an der University of Cambridge, erstmals gelungen, beide Prozesse in einer Simulation zu kombinieren. Die Ergebnisse publizierten sie kürzlich in der The Astrophysical Journal.
Bei der Entstehung von Planeten spielt die sogenannte Instabilität der Gravitation (Gravitational Instability, GI) in der massiven, rotierenden Scheibe aus Materie eine entscheidende Rolle. Sie bewirkt, dass Teilchen «zusammenklumpen» und hochverdichtete Strukturen wie Spiralen entstehen. Aus diesen könnten sich schnell Planeten aufbauen, über einen Zeitraum von «nur» Hunderttausenden von Jahren oder sogar weniger. Die Auswirkungen des Magnetfeldes auf diesen Prozess wurden bis anhin vernachlässigt. Mit Hilfe des Supercomputers «Piz Daint» am Schweizerischen Nationalen Hochleistungsrechenzentrum in Lugano haben die Wissenschaftler nun die Entwicklung der protoplanetaren Scheibe sowohl unter dem Einfluss der Schwerkraft, wie auch unter Berücksichtigung eines Magnetfeldes, simuliert und dabei einen völlig neuen Mechanismus entdeckt, der bisher ungeklärte Beobachtungen erklären könnte.
Darunter beispielsweise die Beobachtung, dass Planeten unseres Sonnensystems heute viel langsamer rotieren als die protoplanetaren Scheiben, aus denen sie einst entstanden sein müssen. Wie sie ihren hohen Drehimpuls verloren haben, ist bis heute nicht geklärt. Dieses so genannte Drehimpulsproblem ist ein häufiges Problem in der Astrophysik. Sowohl bei der Entstehung von Planeten als auch von Sternen und Schwarzen Löchern müssen aufgrund unklarer Mechanismen enorme Drehimpulsmengen verloren gehen. «Unser neuer Mechanismus scheint dieses grundsätzliche Problem lösen und erklären zu können», sagt Mayer.
Planetenentwicklung und Magnetfeldbildung in einer Simulation zu kombinieren war seit vielen Jahren ein Traum von Lucio Mayer. Die zugrundeliegenden physikalischen Prozesse sind jedoch komplex und ihre Darstellung in den Simulationen erfordert ausgefeilte Codes und hohe Rechenleistung.
Die Erfüllung des Traums rückte mit der stetigen Steigerung der Rechnerleistung von Supercomputern zwar immer näher, doch fehlte die Zeit für die mathematisch-physikalische Beschreibung der Prozesse, die zur Lösung des Problems erforderlich waren. Dank der Unterstützung und der Fähigkeiten von Hongping Deng, der eine geeignete Methode entwickelte, konnte der Traum nun wahr werden. Das Team setzte eine neue numerische Technik ein, entwickelte diese weiter und optimierte sie so, dass sie die Leistung von «Piz Daint» bestmöglich ausnutzte.
Die Forscher nutzten und verbesserten eine so genannte hybrid mesh-particle Methode zur Berechnung des Magnetfeldes, der Fluiddynamik und der Gravitation. Dabei werden die Masse und die von ihr ausgeübte Schwerkraft mit Teilchen berechnet, die jeweils ein Stück des Systems darstellen. Der thermische Druck und die Wirkung des Magnetfeldes werden mit einer Art virtuellem adaptivem Netz berechnet, das aus den Teilchen konstruiert wird und laut den Forschern eine hohe Genauigkeit ermöglicht.
Die neu entwickelte Methode führte bezüglich der Wechselwirkung zwischen GI und dem Magnetfeld zu überraschenden Ergebnissen. Es zeigte sich, dass die durch die Schwerkraft gebildeten Spiralarme in der protoplanetaren Scheibe wie ein Dynamo wirken und die magnetische Keimzelle strecken und verstärken. Infolgedessen wächst das Magnetfeld und gewinnt an Stärke. Gleichzeitig erzeugt dieser Prozess viel mehr Wärme in der protoplanetaren Scheibe als bisher angenommen. Am überraschendsten war für die Forscher jedoch die Tatsache, dass der Dynamo einen signifikanten Einfluss auf die Bewegung der Materie zu haben scheint. Der Dynamo schiebt diese sowohl kräftig nach innen, um sich auf dem Stern anzusammeln, als auch nach aussen, weg von der Scheibe. Die Scheibe entwickelt sich so viel schneller als bisherige Theorien annehmen liessen.
«Die Simulation zeigt, dass die Energie, erzeugt durch die Wechselwirkung des sich formenden Magnetfeldes mit der Schwerkraft, nach aussen wirkt und einen Wind antreibt, der Materie aus der Scheibe schleudert», sagt Mayer. Dies führe dazu, dass 90 Prozent der Masse in weniger als einer Million Jahren verloren gehe. «Wenn das stimmt, wäre dies eine willkommene Vorhersage, denn viele der mit Teleskopen untersuchten, eine Million Jahre alten protoplanetaren Scheiben, haben etwa 90 Prozent weniger Masse als bisherige Simulationen vorhergesagten», erklärt der Astrophysiker. Letztlich führt der Energieentzug dazu, dass die Materie kollabiert und die Rotation abnimmt. Die Forscher hoffen nun, die Winde und den Auswurf von Materie in frühen Lebensphasen protoplanetarer Scheiben mit extrem leistungsfähigen Teleskopen wie ALMA in Chile oder dem im Bau befindlichen Quadratkilometer-Array beobachten zu können.
Die Forscher gehen davon aus, dass sie durch ihre Arbeit einen völlig neuen Reibungsmechanismus entdeckt haben, der durch die Wechselwirkung von Magnetfeld und GI entsteht und den Drehimpuls der Scheibe deutlich abschwächt. «Dank des leistungsstarken Motors der Spiraldichtewellen erscheint unser neuer Reibungsmechanismus in den dichten Bereichen der protoplanetaren Scheiben, in denen es weniger geladene Teilchen gibt, die das Magnetfeld aufrechterhalten, noch effizienter», betont Hongping Deng. «Dies unterscheidet sich von allen anderen bisher vorgeschlagenen Mechanismen, die das Magnetfeld in solchen Regionen nicht aufrechterhalten konnten.»
Hongping Denk forscht mittlerweile an der Universität Cambridge. Ziel ist es nun, die Forschungsresultate zu untermauern indem sie beispielsweise – auch von anderen Forschungsgruppen – für die Simulation unterschiedlicher kosmischer Strukturen angewendet werden.