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Das EKG ablesen, den Puls messen, Schritte zählen, Schlafdaten aufzeichnen oder die Angststörung behandeln. Gesundheitsapps liefern medizinische Daten rund um die Uhr, und sie können Therapien unterstützen. Auf dem Markt gibt es mittlerweile 300'000 dieser Applikationen. Doch kaum eine wurde in einer wissenschaftlichen Studie auf ihre Wirksamkeit getestet. «Es ist wichtig, die Spreu vom Weizen zu trennen», sagt Claudia Witt, Professorin für komplementäre und integrative Medizin und Co-Direktorin der Digital Society Initiative an der UZH. «Gesundheitsapps sollten einen Mehrwert für den Patienten bringen, zudem müssen sie verständlich und datenschutzkonform sein.»
Die Diskussion um Gesundheitsapps hat jüngst einen neuen Schub bekommen. In Deutschland – als erstem und einzigem Land in Europa – gibt es seit Oktober erstmals Gesundheitsapps auf Rezept. Das deutsche «Digitale-Versorgung-Gesetz» erlaubt es Ärztinnen und Psychotherapeuten ausgewählte Apps zu verschreiben. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten.
Fünf Apps wurden bis jetzt ins Verzeichnis aufgenommen. Sie unterstützen zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit Tinnitus oder Angststörungen, mit Bluthochdruck oder Übergewicht und sammeln Daten, die anschliessend mit dem Arzt oder dem Therapeuten besprochen werden. «Das Aussergewöhnliche an der Vorgehensweise in Deutschland ist, dass die Apps bereits verschrieben werden können, während die prospektiven wissenschaftlichen Studien parallel dazu durchgeführt werden», sagt Witt. Nach einem Jahr soll dann entschieden werden, ob die eingesetzten Tools sich tatsächlich bewähren.
Claudia Witt findet den Ansatz, Apps in der Praxis bereits einzusetzen, während eine randomisierte wissenschaftliche Studie noch läuft, auch für die Schweiz durchaus für diskussionswürdig. «Denn häufig verstreicht zu viel Zeit, bis die Wirksamkeit einer App durch eine Studie belegt werden kann.»
Bei der Entwicklung von Gesundheitsapps müssen nicht nur medizinische, sondern auch technische Aspekte berücksichtigt werden. «Eine Tablette – einmal in ihrer Wirkung durch Studien bestätigt – bleibt als Medikament auf dem Markt», erklärt Witt. «Eine App dagegen muss technisch mithalten, damit sie auch auf neueren mobilen Geräten läuft.» So hat sie die Erfahrung gemacht, dass die von ihr mitentwickelte App zu Akupressur bei Menstruationsbeschwerden zwar in einer randomisierten Studie wirksam war, aber aufgrund der technischen Entwicklung digitaler Geräte neu programmiert werden musste. «Studien brauchen Zeit, und eine App ist schnell wieder veraltet.»
Ein grosses Fragezeichen setzt die Medizinerin auch beim Datenschutz. Denn die sensiblen Gesundheitsdaten werden von der Applikation zu anderen Computern oder gar in die Cloud transferiert. Nur Sicherheit und Transparenz beim Datenschutz schaffe auch Vertrauen in eine Applikation, meint Witt. Zudem müsse gewährleistet werden, dass alle Zugang zum digitalen Angebot bekommen. Das ist aber noch lange nicht der Fall.
So ist laut einer Studie des Zentrums für Gerontologie der UZH aus dem Jahr 2020 ein starker Anstieg bei der Nutzung des Internet bei den bis 64-Jährigen zu verzeichnen; die Altersgruppe über 65 Jahren bleibt jedoch zurück. Die Medizinerin ist allerdings überzeugt, dass durch die Corona-Tracing-App die Akzeptanz in Gesundheitsapps auch in Schweiz zugenommen hat. In Zukunft gelte es, so Witt, durch Studien belegte Apps anzubieten, die dann zur gesunden Lebensweise oder zu einer besseren Behandlung beitragen.