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Der direkte Weg zum Glück, dies legen die vergangenen Monate nahe, ist mit vielen Lagen Toilettenpapier ausgelegt, eng gepflastert mit Hefewürfeln und üppig von Küchenkräutern gesäumt. Die Hamsterkäufe in der Corona-Krise werfen nicht gerade das beste Licht auf unsere Fähigkeit zu teilen: Der Mensch sucht sein Wohl in der Regel darin, das Beste für sich selbst herauszuholen. Da stehen die anderen schon einmal vor leergeräumten Regalen.
Grosszügigkeit scheint vor allem mit Kosten verbunden; welcher Nutzen für uns herausspringt, bleibt erst einmal ungewiss. Gerade Krisenzeiten jedoch bringen auch unsere solidarische Seite zum Vorschein: Wir kaufen für die betagte Nachbarin ein, obwohl wir sie kaum kennen. Wir inszenieren Theateraufführungen für Kinder, die den ganzen Tag zu Hause hocken. Wir spenden Geld an diejenigen, die das Schicksal härter trifft als uns selbst. «Die Corona-Krise hat uns verstärkt vor Augen geführt, dass wir alle miteinander verbunden sind und unser Verhalten nicht ohne Wirkung für andere bleibt», sagt Philippe Tobler. «Wir sind auf die Menschen um uns herum angewiesen und sie auf uns.» Tobler ist Neuroökonom an der UZH, das bedeutet: Er beschäftigt sich mit der Frage, was im Gehirn vorgeht, wenn wir wirtschaftliche Entscheidungen treffen.
Die Neuroökonomie ist eine junge Disziplin an der Schnittstelle von Ökonomie, Neurowissenschaften und Psychologie. In der Forschung von Tobler geht es oft um jene Fälle, in denen neuronale Abläufe aus dem Ruder laufen: wenn Menschen drogensüchtig sind, zum Beispiel, an Schizophrenie leiden oder an Parkinson erkrankt sind. Der Wissenschaftler untersucht aber auch die Gehirne von gesunden Menschen – und hat sich dabei unter anderem damit beschäftigt, welche Prozesse dort ablaufen, wenn wir uns spendabel verhalten.
Die Wissenschaft hält unterschiedliche Antworten darauf bereit, was uns zu grosszügigem Handeln bewegt: So wirken sicher Verwandtschaftsbande mit, oder wir erhoffen uns, das Gegebene in irgendeiner Form eines Tages zurückzubekommen. Vielleicht sind wir auch um unseren Ruf besorgt. Tobler hält noch eine weitere Erklärung parat: Grosszügigkeit macht glücklich. «Wir unterschätzen, dass eine Gabe an andere uns oft zufriedener macht, als sich eigennützig zu verhalten», sagt der Professor für Neuroökonomie und Soziale Neurowissenschaften am Volkswirtschaftlichen Institut.
Gemeinsam mit der Psychologin Soyoung Park und weiteren Forschenden untersuchte Tobler in einem Experiment, wie Grosszügigkeit und Glück auf neuronaler Ebene zusammenhängen. Die Wissenschaftler informierten fünfzig Probandinnen und Probanden, dass sie in den kommenden vier Wochen insgesamt je hundert Schweizer Franken erhalten würden. Dann teilten sie die Versuchspersonen zufällig in zwei Gruppen auf: Die erste verpflichtete sich dazu, den Betrag jeweils für eine andere Person auszugeben und diese zum Beispiel zum Essen einzuladen oder ihr ein Geschenk zu machen. Die zweite Gruppe wurde aufgefordert, das Geld für sich selbst zu nutzen. Alle Versuchspersonen mussten danach in einer davon unabhängigen Aufgabe entscheiden, welchen Betrag sie für eine andere Person aufzuwenden bereit wären; dabei wurde mittels funktioneller Magnetresonanztomografie die Gehirnaktivität der Probandinnen und Probanden gemessen (siehe Kasten).
Was Tobler und sein Team überraschte: Allein der verbindlich gefasste Vorsatz, den Betrag für jemand anders auszugeben, reichte bereits aus, dass sich die entsprechenden Probanden in der unabhängigen Aufgabe grosszügiger verhielten. Zudem schätzten sie sich als glücklicher ein als die Kontrollgruppe. Das wohlige Gefühl, das Ökonomen «warm glow» nennen, scheint zudem nicht viel mit dem objektiven Wert der Gabe zu tun zu haben. In anderen Worten: Ob wir der Bürokollegin ein Schoggistängeli zum Kaffee mitbringen oder eine ganze Schachtel Pralinen, hat keinen wesentlichen Einfluss darauf, wie zufrieden wir danach mit uns selbst sind. Nicht zuletzt zeigen die Ergebnisse: Grosszügigkeit ist eine veränderbare und manipulierbare Grösse. Sie kann, Schoggistängeli um Schoggistängeli, erlernt und geübt werden.
Vor Weihnachten erhält Tobler jeweils besonders viele Anfragen zu seiner Forschung. Spendenvereine erhoffen sich gerade dann Antworten auf die Frage, was Menschen grosszügig macht. Ein paar Tipps hat er für sie durchaus bereit: «Es ist zum Beispiel wichtig, dass potenzielle Spender möglichst viel über die Empfänger wissen.» So nimmt Grosszügigkeit normalerweise mit zunehmender sozialer Distanz ab. Zudem sollten die Erwartungen der Spender nicht zu hoch geschraubt werden, etwa durch das Versprechen, dass Kinder durch eine Patenschaft geradewegs aus der Armut befreit werden könnten. Besser sei es, regelmässig darüber zu informieren, welche Fortschritte dank der Spende erreicht werden konnten.
Wie grosszügig wir sind, hängt von ganz verschiedenen Faktoren ab. Gerade im Zusammenhang mit Spenden und Philanthropie gibt es dazu zahlreiche Untersuchungen, und nicht alle Forscher kommen zum selben Schluss: So legen manche Studien nahe, dass Arme im Verhältnis grosszügiger sind als Reiche, weil sie sich besser in die Notlage anderer Menschen hineinversetzen können. Andere Arbeiten gelangen hingegen zur Feststellung, dass Menschen an beiden Enden des Einkommensspektrums mehr spenden als die grosse Mehrheit dazwischen. Ältere sind in der Regel grosszügiger als junge; dies mag aber auch damit zusammenhängen, dass sie mit grösserer Wahrscheinlichkeit über mehr Geld verfügen.
Eine Rolle spielt auch das Geschlecht: So gelten Frauen in der Regel als grosszügiger als Männer. Tobler ist mit dem Neuroökonomen Alexander Soutschek und weiteren Forschenden auch hier der Frage auf den Grund gegangen, ob und wie sich dieser Unterschied im Gehirn manifestiert. Die Annahme der Wissenschaftler: Das neuronale Belohnungssystem von Frauen reagiert sensibler auf prosoziales Verhalten wie etwa Spenden als dasjenige von Männern, der Botenstoff Dopamin wird in solchen Situationen verstärkt ausgeschüttet. Grosszügigkeit wirkt in weiblichen Gehirnen also in der Regel stärker belohnend als in männlichen. Die Verabreichung eines Dopaminhemmers führt entsprechend dazu, dass die Grosszügigkeit bei den Frauen abnimmt, nicht aber bei den Männern. Ähnlich führt in einem anderen Experiment die Vergabe von Testosteron dazu, dass sich Männer eigennütziger verhalten – allerdings hauptsächlich gegenüber Menschen, die ihnen nicht nahestehen.
Der Schluss, dass Grosszügigkeit einfach in der Natur von Frauen liegt, greift laut Tobler jedoch eindeutig zu kurz. Mädchen erhalten oftmals von klein auf deutlich mehr positive Rückmeldung als Jungen dafür, dass sie sich altruistisch verhalten und auf andere Rücksicht nehmen. Grosszügigkeit ist ein Verhalten, für das sie belohnt werden – und Dopamin spielt eine entscheidende Rolle darin, bestimmte Handlungen zu stärken und zu bewerten. Ebenso seien Männer nicht schlicht Egoisten. Es gebe ganz unterschiedliche Arten prosozialen Verhaltens, sagt Tobler. «Männer begeben sich zum Beispiel eher für andere in Gefahr als Frauen.»
Wenn sich Grosszügigkeit so mühelos pharmakologisch manipulieren lässt: Könnte man der Menschheit dann nicht einfach ein Mittel verabreichen, damit wir alle spendabler werden? Tobler lächelt: «Eigennutz ist ja nicht ausschliesslich schlecht.» Er zitiert aus der Fachliteratur den Fall eines Mannes, dessen Grosszügigkeit nach einem Hirnschlag keine Grenzen mehr kannte: «Zum Leidwesen seiner Frau verschenkte er in kürzester Zeit ihr ganzes Hab und Gut.»