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Als der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Jahr 2013 das Projekt «Belt and Road Initiative» ankündigte, war die Rede von einer neuen Seidenstrasse, die, angelehnt an die historische Seidenstrasse, den Austausch zwischen China und anderen Staaten erleichtern und somit auch das wirtschaftliche Wachstum ankurbeln solle.
Was romantisch tönt und Erinnerungen an lange Karawanen weckt, läuft heute unter dem Namen «Belt and Road Initiative» (BRI) und bezieht sich auf Land- und Seerouten, die von China bis nach Europa reichen. Damit sind wirtschaftliche Korridore entlang Landrouten («Belt») von Peking bis nach Westeuropa gemeint, die hauptsächlich in zentralasiatischen und osteuropäischen Staaten realisiert werden sollen. Mitgemeint sind zudem auch Korridore entlang maritimer Routen («Road»), die mehrheitlich in südostasiatischen und ostafrikanischen Ländern geplant sind.
Zur neuen Seidenstrasse veranstaltet die Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich (GEGZ) eine Vortragsreihe. Sie thematisiert in fünf Veranstaltungen verschiedene Aspekte des chinesischen Entwicklungsmodells. Einer der Referenten ist Patrick Ziltener, Titularprofessor für Soziologie an der UZH. Er befasst sich wissenschaftlich mit Prozessen der regionalen Integration in Ostasien und speziell mit der neuen Seidenstrasse. In seinem Vortrag diskutiert er, was die BRI für die Schweiz und Europa bedeuten könnte.
Laut Ziltener gibt es für die Schweiz viele Möglichkeiten, sich an der BRI zu beteiligen, da China daran interessiert ist, mit der Schweiz zu kooperieren. «Da die Schweiz keine Machtpolitik betreibt, wird sie nicht als Bedrohung empfunden. China möchte vor allem von der Erfahrung der Schweiz mit dem internationalen Wirtschaftsrecht lernen». Zum Beispiel könnte die Schweiz China dabei helfen, die BRI transparenter zu machen.
Die Meinungen darüber, wie eng die Schweiz mit China kooperieren soll, gehen auseinander. Ziltener vertritt diesbezüglich eine pragmatische Haltung. «Die Schweiz hat keine Verhandlungsmacht gegenüber China. Aber sie hat die Chance, etwas Positives zur Entwicklung der BRI beizutragen. Es wäre verantwortungslos, einem Dialog aus dem Weg zu gehen.»
Vielfach wird kritisiert, vor allem seitens der USA, das chinesische Grossprojekt treibe Entwicklungsländer in eine Schuldenabhängigkeit. «Eine empirische Basis für diesen Vorwurf existiert nicht», sagt Ziltener. «Es gibt zwar Fälle, wie beispielsweise der Hafen von Hambantota in Sri Lanka, wo Projekte schiefgegangen sind. Es liegt jedoch nicht im Interesse Chinas, Staaten in eine Schuldenabhängigkeit zu treiben. Letztendlich müssen auch für sie Projekte wirtschaftlich tragfähig sein.»
Trotzdem ist es für die Volksrepublik wichtig, sich als Weltmacht zu positionieren, weswegen eine geopolitische Motivation nicht ausgeschlossen werden kann. «China hat begonnen, die Welt um sich herum zu ordnen, was nebst einer wirtschaftlichen natürlich auch eine geostrategische Dimension hat», sagt Ziltener. Der Staat arbeitet vermehrt an seiner strategischen Ausrichtung nach Westen. «China baut alles um – von der UNO bis zu den Häfen in Südostasien. Überall sollen chinesische Konzepte und Vorgehensweisen eingeführt werden».
Ziltener sieht diese strategische Positionierung Chinas auch als eine Folge des Näherrückens der USA und seinen Verbündeten im pazifischen Raum. Zum Beispiel befinden sich in der chinesischen Nachbarschaft Südkorea und Japan mit US-militärischen Stützpunkten, die China den Zugang zum Pazifik erschweren. Oder die Philippinen am Südchinesischen Meer, wo zusätzlich ein Territorialkonflikt die Beziehung verschlechtert. So sei, erklärt Ziltener, die Seidenstrasse eine neue Option, um Chinas geopolitische Ziele zu erreichen und die Transportwege aufrechtzuerhalten.
Für Patrick Ziltener ist es wichtig, die Initiative richtig einzuordnen. «Wir haben eine westlich geprägte Vorstellung davon, wie Organisationen mit Statuten, rechtlichen Verfahren etc. auszusehen und zu funktionieren haben.» Aber in China habe man ein ganz anderes Verständnis von diesen Prozessen. Man sehe die BRI als ein Projekt, das nach und nach entstehe. Prozesse könnten sich dabei überlagern und nebeneinander existieren. Wenn man die BRI als einen lernenden Organismus auffasse, könne man die Initiative besser verstehen.
«China ist nicht daran, sich auf einen hegemonialen Endkampf einzustellen», sagt Ziltener. «Die Chinesen möchten keine militärische Konfrontation. Sie wollen mit der BRI ihr Umfeld verändern, um sich in eine bessere strategische Lage zu bringen. Letzten Endes möchten auch sie Teil des globalen Systems sein.»