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Reproduktionsmedizin

Fruchtbarkeit auf Eis

Fachpersonen an der UZH befassen sich intensiv mit dem Thema Social Egg Freezing, dem vorsorglichen Einfrieren von Eizellen für einen späteren Kinderwunsch. Das Thema beschäftigt zunehmend auch Frauen in der Schweiz. Juristin Andrea Büchler und Mediziner Bruno Imthurn sprachen über Gründe, Nutzen, aber auch mögliche Zwänge rund um die neue Methode. Ihr Anliegen: Frauen sollen gut informierte Entscheidungen treffen.
Gesprächsführung: Maja Schaffner
Die beiden Professoren im Gespräch.
Wann ist Social Egg Freezing sinnvoll? Der Reproduktionsmediziner Bruno Imthurn und die Juristin Andrea Büchler diskutieren Chancen und Risiken. (Bild: Frank Brüderli)

Frau Büchler, Herr Imthurn, wann und in welchem Zusammenhang sind Sie zum ersten Mal mit dem Thema Social Egg Freezing in Berührung gekommen?

Andrea Büchler: Ich bin häufig in den USA. Dort war Social Egg Freezing schon früher als hier ein Thema. Wahrscheinlich habe ich dort das erste Mal davon gehört. Später habe ich mich als Präsidentin der Nationalen Ethikkommission intensiv mit dem Thema befasst: Die Ethikkommission hat eine Stellungnahme mit Empfehlungen zu Social Egg Freezing veröffentlicht. Ausserdem beschäftigt mich das Thema auch im Zusammenhang mit meiner Forschung an der Schnittstelle von Familien- und Medizinrecht.

Bruno Imthurn: Ich bin ebenfalls in den USA auf das Thema gestossen. Social Egg Freezing wurde an einem Kongress diskutiert – als eine Art Lifestyle-Methode. Einige Kliniken in Las Vegas haben schon vor etwa zehn Jahren reife, unbefruchtete Eizellen eingefroren. In der Schweiz angekommen, wurde das Thema in den Medien ebenfalls primär als Lifestyle- Methode und als Karrierehelfer dargestellt. Man fragte sich: Brauchen wir wirklich Technologien, die Frauen ermöglichen, mit 60 oder 70 Kinder zu bekommen? Ich selbst stand der Methode kritisch gegenüber.

Was hat Ihre Einstellung verändert?

Imthurn: Mir wurde im Gespräch mit einem Wissenschaftsjournalisten klar, dass Social Egg Freezing gegenüber der Eizellspende ethische Vorteile hat. Die Eizellspendenbehandlung wird bei Frauen eingesetzt, die keine oder keine befruchtungsfähigen Eizellen mehr haben und deswegen auf die Eizellen einer anderen Frau zurückgreifen müssen. Die Eizellspende ist in der Schweiz zwar verboten, die Realität sieht aber so aus, dass jedes Jahr Hunderte von Paaren dafür ins Ausland gehen. Dabei wird die Belastung der Eizellengewinnung an eine andere Frau delegiert. Bei Social Egg Freezing dagegen nimmt die spätere potenzielle Empfängerin diese Belastung auf sich. Dieses Argument und der Umstand, dass bei der Verwendung eigener Eizellen weniger Schwangerschaftskomplikationen auftreten, haben mich für die Methode eingenommen. Sie könnte in gewissen Fällen die Eizellspende ersetzen. Hinzu kommt, dass sie die Chance bietet, auch im Problemfall genetisch eigene Kinder zu bekommen.

Hat Social Egg Freezing weitere Vorteile?

Büchler: Ich denke, zunächst müssen wir uns mit den Gründen auseinandersetzen, die zu einer Nachfrage führen. Im Zentrum steht die Tatsache, dass wir immer älter werden. Die Zeitspanne, in der Frauen fruchtbar sind, ist aber gleich geblieben. Das heisst, Frauen werden heute gemessen an ihrer Lebenszeit früh unfruchtbar. Gleichzeitig steigt das Alter der Frau bei der Geburt des ersten Kindes ständig an. Es liegt heute bei 31 Jahren. 1970 kam das erste Kind mit 25 Jahren.

Imthurn: Ich sehe das auch so. Vor 100 Jahren lag die Lebenserwartung noch bei durchschnittlich 50 Jahren. Heute kann eine Frau davon ausgehen, dass sie weit über 80 Jahre alt wird. Das heisst, der Lebensentwurf erstreckt sich über mehr Dekaden als früher. Das Unfaire ist, dass die Lebenserwartung aller Körperzellen zwar auf über 85 Jahre angestiegen ist – aber die der Eizellen nicht. So nimmt die Zahl der Eizellen unverändert ab 35 rapide ab, und der Eizellenpool versiegt mit durchschnittlich 51 Jahren. Social Freezing ist nun eine Möglichkeit, die Spannung zwischen gleichbleibender Reproduktions- und längerer Lebenszeit abzubauen.

Büchler: Auch die Lebensentwürfe der Frauen haben sich verändert. Frauen absolvieren eine längere Ausbildung, haben berufliche Ambitionen, wollen verschiedene Wege testen, bevor sie sich festlegen. Dazu kommen höhere Ansprüche an eine Partnerschaft. Frauen suchen heute den «richtigen Partner », einen, der bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und die Erziehungsaufgabe gleichberechtigt mitzutragen. Der häufigste Grund für Social Egg Freezing ist – das sagen alle Untersuchungen –, dass eben dieser richtige Partner fehlt.

Imthurn: Das kann ich bestätigen. Im klinischen Alltag erlebe ich typischerweise Frauen zwischen 34 und 38, bei denen eine langjährige Beziehung, die schon auf dem Weg zur Familiengründung war, in die Brüche gegangen ist. Und da habe ich wirklich Verständnis, dass die Frauen den Kinderwunsch nicht ad acta legen wollen.

Büchler: Da kann Druck entstehen: Die biologische Uhr tickt. Der Partner muss auch noch Vater werden wollen. Und er hat nicht den gleichen Druck. Er möchte sich vielleicht noch etwas Zeit geben, will eine Weltreise machen oder muss eine Zeit lang berufsbedingt ins Ausland. Social Egg Freezing kann Entlastung bringen. Die Frau gewinnt reproduktive Zeit.

Das Kinderwunschzentrum am Universitätsspital Zürich hat im Juni eineInformationsveranstaltung zum Thema Social Egg Freezing durchgeführt. Wen wollten Sie ansprechen?

Imthurn: Grundsätzlich alle, speziell aber Frauen, die an der Methode interessiert sind. Der Informationsbedarf ist sehr gross. Zu uns in die Klinik kommen oft Frauen, die Interesse an Social Egg Freezing haben, aber völlig falsche Vorstellungen: Sie denken, dass sie morgen kurz vorbeikommen könnten, um schnell eine Eizellenentnahme vornehmen zu lassen; das Ganze koste ein paar hundert Franken, und danach hätten sie eine Garantie auf ein Kind, in welchem Alter auch immer. Das stimmt natürlich alles nicht. Deshalb wollen wir seriös und realistisch über Chancen, Ablauf, Risiken und Kosten sowie Alternativen informieren.

Büchler: Die umfassende Information ist zentral. Frauen müssen wissen, worum es bei diesem Eingriff geht und was sie realistischerweise erwarten können. Sie müssen die Risiken bei der Entnahme und auch bei der späteren Nutzung kennen. Social Egg Freezing ist ein invasives Verfahren. Kurz: Frauen müssen eine informierte Entscheidung treffen können.

Ist Social Egg Freezing ein Thema für Frauen in der Schweiz?

Imthurn: Ja, Social Egg Freezing ist ein Thema. Immer mehr Frauen wissen davon. Das sehen wir direkt in der Klinik: Vor vier Jahren haben wir für Social Egg Freezing eine Eizellenentnahme pro Jahr vorgenommen, dann eine pro Monat. Unterdessen ist es eine pro Woche. Damit ist der Eingriff zwar immer noch relativ selten, die Zunahme aber massiv.

Büchler: Die Information muss freilich sehr früh erfolgen. Falls eine Frau ihre Eizellen tatsächlich vorsorglich einfrieren lassen möchte, muss sie das rechtzeitig in die Wege leiten.

Imthurn: Ich sage immer: In der Schule sollte man nicht nur über Verhütung, sondern auch über die Entwicklung der Fruchtbarkeit informieren. Gut gebildete Frauen wissen heute zwar meist, dass ihre fruchtbare Zeit nicht ewig andauert, denken sich dann aber fälschlicherweise häufig: Wenn es Probleme gibt, kann ich mich ja an ein Kinderwunschzentrum wenden, und dann ist alles paletti. Aber wir können auch nur die Chancen nutzen, die ein Paar in seinem Alter noch hat. Das Rad der Zeit zurückdrehen können wir nicht. Am besten sind die Aussichten, wenn wir die Eizellen bis zum 35. Lebensjahr der Frau einfrieren können. Tut man es erst später, nehmen die Chancen auf ein Kind stark ab. Und es sind wegen der geringeren Befruchtungsfähigkeit mehr Eizellen nötig – sofern überhaupt noch genug vorhanden sind.

Erhalten Sie in Ihrem Alltag auch Anfragen von Frauen, die aus
karrieretechnischen Überlegungen Eizellen einfrieren wollen?

Imthurn: Nein, das sehen wir hier kaum. Ich habe mich auch schon gefragt, warum im Unterschied zu den USA keine Frauen aus Karrieregründen zu uns kommen. Vielleicht weil sich in den vergangenen Jahren in puncto Gleichstellung etwas getan hat – und Beruf und Familie unterdessen dank besseren Betreuungsangebots vereinbarer geworden sind?

Büchler: Das glaube ich nicht. Das hohe Alter der Erstgebärenden und die geringe Kinderzahl pro Frau in der Schweiz hängen auch damit zusammen, dass Beruf und Familie hier nicht leicht zu vereinbaren sind. In Frankreich und Schweden, wo Frauen europaweit betrachtet die meisten Kinder haben, gibt es auch wesentlich bessere Unterstützungsstrukturen für Familien und Betreuungsangebote für Kinder.

Und wenn nun Kinder und Karriere besser vereinbar wären: Bräuchte es Social Egg Freezing dann gar nicht?

Büchler: Da bin ich nicht sicher. Längere Lebenszeit, längere Ausbildung, mehr Optionen, Kinderkriegen nicht mehr als Schicksal, sondern als bewusste Entscheidung, hohe Ansprüche an die Partnerschaft – das alles bleibt ja. Ich bin allerdings sehr dafür, dass man das Thema breit diskutiert und das Verfahren sorgfältig evaluiert. Social Egg Freezing darf kein Ersatz für Gleichstellungsmassnahmen werden. In der Schweiz haben wir die besondere Situation, dass die Erwerbsquote der Frauen sehr hoch ist, die Mehrheit der Frauen allerdings nur Teilzeit arbeitet. Gleichzeitig ist die innerhäusliche Arbeitsteilung noch eher traditionell organisiert und die staatliche Unterstützung alles andere als optimal. Die Belastung für die Frauen ist hoch.

In diesem Umfeld entscheiden sich Frauen dann für oder
gegen Social Egg Freezing?

Büchler: Jedenfalls finden Entscheidungen nicht im luftleeren Raum statt, sondern in einem gesellschaftlichen Kontext. Und wenn ein neues Angebot wie das Social Egg Freezing geschaffen wird, dann wirkt das auch wieder auf die Gesellschaft zurück. Neue Optionen können nicht nur die Autonomie erweitern, sondern auch neue Erwartungen und Zwänge schaffen: die Erwartung etwa, das Angebot zu nutzen, um voll im Beruf einsatzfähig zu bleiben. In den USA erhalten Graduates offenbar immer häufiger von ihren Eltern ein Social Egg Freezing als Abschlussgeschenk.

Könnte Social Egg Freezing für Akademikerinnen, die mit 30 bis 40 Jahren beruflich unter Druck stehen, eine Lösung sein?

Imthurn: Wir führen keine Statistik über die Ausbildung unserer Patientinnen. Aber ich denke schon, dass überdurchschnittlich viele Akademikerinnen unter den Interessentinnen sind. Das führe ich allerdings nicht primär auf den Druck in der Arbeitswelt zurück, sondern darauf, dass Akademikerinnen besser informiert sind.

Büchler: Nein, Social Egg Freezing kann dafür keine Lösung sein. Wir brauchen definitiv andere Lösungen für die Rushhour zwischen 30 und 40, in die sowohl berufliche Entwicklung als auch Familiengründung fallen. Was wir vor allem brauchen, ist umfassende Forschung zu den sozialen, psychologischen, ökonomischen, ethischen und medizinischen Aspekten des Social Egg Freezing.

Imthurn: Social Egg Freezing hat keinesfalls den Zweck, den Kinderwunsch aktiv in ein höheres Lebensalter zu verschieben. Nur schon wegen zunehmender Schwangerschaftskomplikationen. Darum sollten die beim Social Freezing gelagerten Eizellen frühzeitig für eine In-vitro-Fertilisation genutzt werden. Allerdings ist das gemäss Eidgenössischem Fortpflanzungsmedizingesetz erst dann zugelassen, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft oder aussichtslos sind.

Gibt es weitere ethische Fragestellungen?

Büchler: Social Egg Freezing ist ambivalent: Die Methode eröffnet Frauen einerseits mehr Möglichkeiten, macht sie unabhängiger bei der Familienplanung – man spricht von einem Gewinn an reproduktiver Autonomie. Andererseits ist Social Egg Freezing auch ein weiterer Schritt der Medikalisierung des Frauenkörpers, einige sprechen gar von einer «Herrschaft» über ihn. Sie verweisen darauf, dass mit Social Egg Freezing auch finanzielle Interessen von Unternehmen einhergehen. Diese zwei Sichtweisen spalten auch die Frauenbewegung.

Imthurn: Ich finde es sehr wichtig, über Vor- und Nachteile zu diskutieren und darüber, was wir genau wollen und was nicht. Dazu kommt mir jetzt die Präimplantationsdiagnostik in den Sinn: Die war in der Schweiz wegen möglicher Missbräuche und Auswüchse jahrzehntelang verboten. Eine Methode ist meist nicht an sich gut oder schlecht – es kommt immer darauf an, wie man sie anwendet.

Büchler: Pränataldiagnostik ist ein gutes Beispiel: Dank der neuen nicht-invasiven vorgeburtlichen Tests, die es erlauben, den Embryo durch eine einfache Blutentnahme der schwangeren Frau genetisch zu untersuchen, können Frauen selbstbestimmtere Entscheidungen treffen, weil sie über mehr Information verfügen. Werden diese Tests jedoch zur Routine, kann kaum mehr von Autonomie gesprochen werden. Wenn eine Frau sich keine solche Diagnostik wünscht, könnte sie plötzlich Schwierigkeiten haben, sich dagegen zu entscheiden. Bei all diesen neueren Verfahren ist eins sehr wichtig: Autonomie hat einen hohen Wert, sie ist aber auch anspruchsvoll und geht mit Verantwortung einher.

Was würden Sie Ihren Töchtern zu Social Egg Freezing raten?

Imthurn: Wenn keine medizinischen Gründe vorliegen, meine Tochter zum Beispiel schon früh sehr wenige Eizellen hätte, würde ich mit Social Egg Freezing zuwarten. Sollte sie dann bis 35 keine Kinder und keinen geeigneten Partner haben, würde ich sie, wie meine Patientinnen auch, bestmöglich informieren – damit sie die Entscheidung treffen kann, die für sie selbst am besten stimmt.

Büchler: Mutterschaft dann zu wagen, wenn sie sich dafür bereit fühlen – und sie nicht allzu lange aufzuschieben. Kinder zu haben, bleibt ungeachtet aller Planung ein Abenteuer.

Dieser Test stammt aus der aktuellen Ausgabe des  UZH Journal Nr. 3/2019