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Die Polizei kommt an einen Tatort und sammelt Blut- und Gewebeproben zur Rekonstruktion der Ereignisse. Opfer und Täterschaft widersprechen sich hinsichtlich dem Tathergang: Laut Opfer hat eine Vergewaltigung stattgefunden, laut dem Täter nicht. In dieser Situation gibt es verschiedene Möglichkeiten, der Wahrheit näher zu kommen. Welche Spuren gibt es, woher stammen sie?
«Die Bestimmung der Spurenart ist äusserst wichtig», betont Adelgunde Kratzer, Abteilungsleiterin der Forensischen Genetik am Institut für Rechtsmedizin der UZH. Ein neuer Ansatz aus ihrem Team könnte in Zukunft helfen, Zweifelsfälle zu klären. Wie die Genetikerin Natasha Arora im Fachblatt «Forensic Science International: Genetics» berichtet, können Gewebsproben allein aufgrund ihrer bakteriellen Signatur unterschieden werden. Erstautor der Publikation, die als Proof-of-Concept-Studie die Machbarkeit gezeigt hat, ist der Datenwissenschaftler Akos Dobay.
«Wir wissen, dass Milliarden von Bakterien unseren Körper besiedeln und die Zusammensetzung je nach Gewebe verschieden ist», sagt Natasha Arora. Die Diversität der Mikroben ist enorm: Auf verschiedenen Körperbereichen sind jeweils mehrere hundert verschiedene Arten aus rund hundert Gattungen zu finden. Die Bakterien lassen sich genetisch einfach identifizieren und erlauben einen mikrobiellen Fingerabdruck des Gewebes.
«Wir stellten uns die Frage, ob diese bakterielle Signatur bestehen bleibt, wenn die Gewebeproben längere Zeit ausserhalb des Körpers zu liegen kommen und nicht mehr frisch sind», sagt Arora. So wie dies in einem Kriminalfall realistisch zu erwarten wäre. Bleibt die Signatur, dann könnte die Zuordnung verräterischer Gewebsproben zu bestimmten Körperbereichen helfen, den Tathergang zu klären.
Zur Beantwortung dieser Frage entnahmen die Forschenden 70 Proben von 19 Versuchspersonen. Die Abstriche stammten aus verschiedenen Gewebe und Körperflüssigkeiten wie Haut, Speichel, Vaginal- und Samenflüssigkeit, Menstruations- oder Körperblut. Von jeder Stelle entnahmen die Studienautoren zwei Proben: Ein Abstrich wurde unmittelbar nach Entnahme auf die Bakterienpopulationen untersucht, die andere erst einen Monat später. Während dreissig Tagen lagen diese Proben offen im Labor, danach wurde auch ihre mikrobielle Zusammensetzung bestimmt.
«Wir konnten zeigen, dass die bakterielle Zusammensetzung in den meisten Proben bestehen bleibt und eine Zuordnung auch nach dreissig Tagen möglich ist», sagt Natasha Arora. Am besten erhalten blieb die bakterielle Signatur in den Vaginal- und Speichelproben sowie dem Menstruationsblut und den Hautproben, etwas schlechter in der Samenflüssigkeit und dem peripheren Blut.
Dies erklärt sich damit, dass in den letztgenannten Flüssigkeiten generell weniger Bakterien vorkommen. Zudem ist die Unterscheidung von Menstruationsblut und Vaginalflüssigkeit aufgrund ähnlicher Bakterienpopulationen schwierig. Insgesamt seien die Resultate sehr vielversprechend und zeigten, dass bakterielle Signaturen für die Identifizierung von Gewebeproben im Prinzip tauglich seien, freut sich die Forscherin.
Damit rückt die Anwendung in der Forensik näher. Bis zum Einsatz in der Praxis gibt es allerdings noch einiges zu tun. Als nächstes werde man das Verhalten der Proben in «realistischen» Umgebungen eines möglichen Tatortes wie zum Beispiel einem Teppich oder Bettlaken testen. Zum anderen möchte man die Genauigkeit der Zuordnung der Proben verbessern und automatisieren.
«Für die alltägliche Anwendung in der Forensik braucht es eine robuste und einfache Analyse», sagt Arora. Vielversprechend seien neue Methoden des Machine-Learning, um genetische Analysen einem Gewebstyp zuzuordnen.
«Wir untersuchen gegenwärtig maschinelle Lernalgorithmen zur Vorhersage von Körperflüssigkeiten», sagt Akos Dobay und fügt hinzu, dass nicht nur die Genauigkeit der Vorhersage wichtig sei, sondern auch die geeignete Darstellung der Resultate. «Die Ergebnisse müssen als Gerichtsbeweis anerkannt werden.» Verlaufen die weiteren Arbeiten erfolgreich, verfügt die Kriminalistik wohl schon bald über ein weiteres Element – basierend auf der unglaublichen Vielfalt der Mikroben.