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Wie gross wir werden, bestimmen bis zu 80 Prozent unsere Gene. Ob wir unsere genetisch definierte Maximalgrösse erreichen, wird auch durch unsere Lebensumstände sowie unseren sozioökonomischen Status beeinflusst. Letzterer hängt wiederum mit einer besseren Ernährung zusammen. Wer reicher ist, kann sich qualitativ bessere Nahrung leisten und ist besser über Ernährung informiert. Studien belegen etwa für China und Japan, dass dort die durchschnittliche Körpergrösse dank einer proteinreicheren Kost in der Kindheit angestiegen ist.
Schweizer Frauen sind heute im Durchschnitt 166 Zentimeter und Männer 178 Zentimeter gross. «Man kann davon ausgehen, dass die Schweizer Bevölkerung aufgrund guter Ernährung und medizinischer Versorgung ihr genetisches Maximum punkto Körpergrösse erreicht», erklärt Kaspar Staub vom Institut für Evolutionäre Medizin. Er erforscht seit rund 15 Jahren die Körpergrösse sowie den biologischen Lebensstandard in der Schweiz und hat das Symposium «Perspectives on Human Body Height» an der UZH initiiert. Am 5. Juni stellen europäische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen ihre aktuellen Forschungsarbeiten vor. Unter ihnen ist auch die UZH-Forscherin Sabine Rohrmann.
Die Leiterin des Krebsregisters der Kantone Zürich und Zug hat den Zusammenhang zwischen Körpergrösse und genereller Sterblichkeit in der Schweizer Bevölkerung untersucht. Gemeinsam mit ihrem Team verknüpfte sie Mortalitätsdaten in der Schweiz mit früheren Querschnittstudien, die den Zusammenhang zwischen Lebensstil und Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhellten. Insgesamt umfasste die Untersuchung rund 16'800 Männer und 18'600 Frauen aus der deutsch-, französisch- sowie italienischsprachigen Schweiz.
Rohrmann und ihr Forscherteam erwarteten für ihre Untersuchung in der Schweiz ähnliche Resultate, wie sie internationale Metastudien bereits geliefert haben: Demnach haben kleinere Menschen ein höheres Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Krankheit zu sterben. Grössere Menschen hingegen erkranken häufiger an Krebs.
«Solch eindeutige Resultate wie in anderen Studien konnten wir für die Schweiz nicht nachweisen», erklärt Rohrmann. Das Forscherteam stellte für tendenziell kleinere Männer und Frauen kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen fest. Das einzig signifikante Resultat zeigte sich in Bezug auf Krebserkrankungen bei Frauen: «Die grössten Frauen hatten eindeutig eine höhere Mortalität als durchschnittlich grosse Frauen, auch unter Berücksichtigung von sozioökonomischen Determinanten wie Schulbildung, Erwerbstätigkeit, Zivilstand und gesundheitsbezogenen Faktoren wie Alkoholkonsum oder Rauchen», sagt sie.
Für die höhere Krebsmortalität gibt es verschiedene Erklärungsansätze. Eine häufig diskutierte Theorie besagt, dass grössere Menschen aus mehr Zellen bestehen. Somit ist die Wahrscheinlichkeit höher, über mehr entartete Zellen zu verfügen, die eine Krebserkrankung verursachen. «Viele Forschende beurteilen diese Erklärung als zu einfach», sagt Rohrmann. Eine plausiblere Begründung zielt auf den sogenannten insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor (IGF-1) ab. Dieser spielt während der Wachstumsphase des Körpers eine wichtige Rolle. Je grösser eine Person ist, desto höher ist die Konzentration von IGF-1 in ihrem Blut. Eine erhöhte Konzentration von IGF-1 ist wiederum mit verschiedenen Krebsarten assoziiert – wie Brustkrebs oder Dickdarmkrebs.
Warum ist für tendenziell kleinere Menschen die Sterberate bei kardiovaskulären Erkrankungen in der Schweiz nicht erhöht? Die Foscherinnen und Forscher vermuten, dass es am «healthy-migrant effect» liegen könnte. «Wir haben in der Schweiz eine spezielle Situation: Menschen, die aus Italien oder Portugal in die Schweiz eingewandert sind, sind im Vergleich zur Schweizer Bevölkerung eher kleiner, aber auch gesünder, wie frühere Studien belegen», sagt Rohrmann.
Den Zusammenhang zwischen kardiovaskulären Erkrankungen und Körpergrösse gilt es nach Rohrmann weiter zu erforschen. Heute wird er teilweise aufgrund von anatomischen Gegebenheiten erklärt, zum Beispiel so: Grössere Menschen haben ein grösseres Lungenvolumen, grössere Arterien, grössere Blutgefässe sowie eine bessere Blutzirkulation als kleinere Personen – und somit letztlich ein geringeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Weitere interessante Ansatzpunkte zur Erforschung der Körpergrösse könnten sich laut Rohrmann auch aus dem Zusammenspiel von Genetik, Epigenetik und Lebensumständen ergeben. Bisher haben sich Forscherinnen und Forscher hauptsächlich mit der Genetik befasst.