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Früher war nicht alles besser, aber manches schon. Wenn Florian Altermatt an seine Kindheit zurückdenkt, erinnert er sich an farbenprächtige Magerwiesen mit blühenden Pflanzen und brummenden Insekten. Diese besonders artenreichen Wiesen prägten das «Schwarzbubenland» im Nordwesten der Schweiz, wo der Ökologe aufwuchs. Die mageren Kalkböden der Juralandschaft beherbergen eine Vielzahl an Pflanzen und Tieren – sind aber wie viele naturnahe Habitate in der Schweiz unter Druck.
Die prägenden Erfahrungen in einer artenreichen und vielfältigen Landschaft sind wohl mit ein Grund dafür, dass Florian Altermatt Wissenschaftler geworden ist, der die Biodiversität erforscht. Seit diesem Jahr ist der Forscher zudem Präsident des Forums Biodiversität Schweiz, das von der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (Scnat) 1999 ins Leben gerufen wurde.
Das Forum setzt sich einerseits für die Erforschung der Biodiversität ein und andererseits für den Dialog zwischen Wissenschaft, Politik, Verwaltung und Gesellschaft. «Eine grosse Biodiversität ist essenziell für das Funktionieren der Ökosysteme und für unser Wohlergehen», sagt Altermatt. «Wir müssen sie unbedingt erhalten und den Artenverlust
bremsen.»
Der Professor für Aquatische Ökologie an der UZH und Gruppenleiter an der Eawag in Dübendorf ist ein geborener Naturforscher. Bereits in seiner Jugend machte er Experimente und untersuchte die Vielfalt und Verbreitung von Schmetterlingen. Das Studium der Biologie in Basel war eine klare Sache, ebenso die nachfolgende Dissertation. In seiner Doktorarbeit untersuchte er die räumliche und zeitliche Zusammensetzung von Artengemeinschaften kleiner Planktonkrebse in Gezeitentümpeln entlang der Küste Finnlands. Parallel dazu arbeitete er an der Entwicklung und Umsetzung nationaler Monitorprogramme zum Erfassen der Biodiversität in der Schweiz mit.
Als sich Florian Altermatt zwischen einer eher anwendungsorientierten Tätigkeit und einer Karriere in der Wissenschaft entscheiden musste, wählte er «sehr bewusst» die Grundlagenforschung. So kam er 2009 als Postdoc an die Universität von Kalifornien in Davis, wo er neue Kenntnisse und Fähigkeiten erwarb.
Anhand eines Modellsystems mit Einzellern erforschte er die Auswirkungen der räumlichen Strukturen und der Fragmentierung von Habitaten auf die Biodiversität. Dabei kombinierte er Experimente und mathematische Modelle. «Mein Forschungsgebiet liegt an der Schnittstelle zwischen Ökologie und Biodiversitätsforschung », sagt Altermatt. «Ich will verstehen, wie sich Arten in Raum und Zeit verhalten und wie sie interagieren.»
2012 erhielt er eine Anstellung an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs. 2014 kam er mit einer Förderprofessur des Schweizerischen Nationalfonds an die UZH, seit 2018 ist er Ausserordentlicher Professor.
Altermatt ist ein idealer Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Einerseits besitzt er einen hervorragenden Ruf als Forscher und hat wegweisende Arbeiten verfasst. So beschreibt eine seiner Studien die Gesetzmässigkeiten der Ausbreitung von Organismen in Flusslandschaften und den daraus entstehenden universellen Biodiversitätsmustern.
Andererseits hat er aufgrund seines Werdegangs auch viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Verwaltung, Politik, Gesellschaft und liebt die Arbeit im Feld. Davon zeugen auch Publikationen wie das Monitoring von Arten durch die Erfassung ihrer DNA in der Umwelt (eDNA). Altermatt hat erstmals gezeigt, dass sich mit dieser Methode die Verbreitung und Diversität von aquatischen Invertebraten über grosse Distanzen in Fliessgewässern messen lässt.
Die Erfassung und das Verständnis der Biodiversität sind wichtig, da sich die Ökosysteme und ihre Arten derzeit stark verändern. «Als Ökologe bin ich höchst beunruhigt über den massiven Artenverlust in den vergangenen Jahrzehnten», sagt Altermatt. Von den rund 45 000 bekannten Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz ist ein Drittel bedroht, Hunderte sind in den letzten Jahren ausgestorben.
Zwar sind wichtige Gründe wie die Fragmentierung und Übernutzung der Landschaft seit Jahren bekannt. Doch der Druck durch Zersiedelung und Mobilität hat nicht abgenommen. Hinzu kommt die Klimaerwärmung, die nicht anpassungsfähige Arten verdrängt. «Wir müssen der Natur wieder mehr Raum lassen», sagt Florian Altermatt.
Selbstverständlich könne man nicht die halbe Schweiz unter Schutz stellen, aber es brauche mehr Raum, in dem die Biodiversität sich möglichst ungestört entfalten könne: «Es braucht Mut zur Wildnis.» Das bedeutet etwa, dass man den Druck auf Lebensräume in der Schweiz verringern und dem Erhalt naturnaher und diverser Lebensräume mehr Bedeutung einräumen müsste. Organismen in Fliessgewässern und Seen beispielsweise sind durch Mikroverunreinigungen und Klimaveränderung beeinträchtigt. Als Präsident des Forums Biodiversität will er diesen Botschaften Gehör verschaffen und dafür sorgen, dass die Erkenntnisse in Gesellschaft und Politik wahrgenommen und beachtet werden.
Dieser Artikel erscheint auch im Journal Nr. 1/2019