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Zuerst Primarlehrer, dann Geographiestudent und Ausbildung für das Höhere Lehramt, anschliessend Forscher in der Glaziologie und Leiter eines interdisziplinären Projekts in der Wissenschaftskommunikation: Andreas Linsbauers Leidenschaft ist es, Bildung und Umwelt zusammenzubringen. Er will abstrakte Fakten wie das an der Pariser Klimakonferenz vereinbarte 2-Grad-Ziel für den globalen Temperaturanstieg verständlich und eindrücklich vermitteln. Was bedeuten diese 2 Grad konkret für die alpine Landschaft? Was heisst das für uns Menschen? Diesen Fragen widmet sich die Ausstellung «Expedition 2 Grad», die heute im Nationalparkzentrum Zernez eröffnet wird.
Ausgerüstet mit einer 3D-Brille begeben sich die Besucherinnen und Besucher auf die «Expedition 2 Grad»: In einer virtuellen Welt rund um den Grossen Aletschgletscher erleben sie die Auswirkungen der Temperaturzunahme in der alpinen Umgebung emotional, im Zeitraffer und direkt vor ihren Augen. Sie reisen durch Zeit und Raum und sehen die Aletschregion anfangs zu Beginn der Industrialisierung, durch die Augen ihrer Grosseltern, zum Schluss durch die Augen künftiger Generationen. «So bekommen die Teilnehmenden ein Gefühl für die Auswirkungen der Entscheidungen in verschiedenen Zeitaltern», sagt Andreas Linsbauer.
Entstanden ist die Idee zu diesem Projekt gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Fachrichtung «Knowledge Visualization» der Zürcher Hochschule der Künste, und zwar im Anschluss an Linsbauers Dissertation. In dieser hatte er Szenarien für den Rückzug der Gletscher in der Schweiz berechnet. Zusammen mit Forschenden aus der Hydrologie und Klimatologie ging es darum, die Auswirkungen der Klimaänderung auf die Wasserressourcen und Gewässer der Schweiz abzuschätzen. Für «Expedition 2 Grad» waren die vorhandenen Daten zeitlich nicht ausreichend gut aufgelöst. «Aber in der Glaziologie ist die Zusammenarbeit mit der ETH, der Universität Freiburg und verschiedenen anderen Institutionen sehr gut», erzählt Linsbauer, «so liess sich dieses Problem lösen.» Aus Szenarien für den Gletscherrückzug, Luftbildern und Höheninformationen entstand in einem interdisziplinären Projektkonsortium ein dreidimensionales Modell der Gletscherlandschaft, in dem man virtuell durch die Zeit reisen kann.
Mit dem Konzept der Virtual-Reality-Umgebung will das Team vor allem Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und II erreichen. «Sie sind es, die die Entscheidungen von morgen treffen werden», sagt Linsbauer. Ein Rahmenprogramm und eine geleitete Diskussion im Klassenverband ergänzen das Virtual-Reality-Erlebnis. «Wir wollen die Jugendlichen nicht mit einem schlechten Gewissen verabschieden.» Ziel sei vielmehr, sie zu inspirieren, selbst aktiv zu werden, sei es als Individuum oder als Kollektiv, das Druck auf Politiker und Entscheidungsträger ausübt, sagt Linsbauer. Dass das Projekt nun zeitlich mit den Klimademos und den Aktivitäten der schwedischen Schülerin Greta Thunberg zusammenfalle, hätte nicht besser kommen können.
Für Linsbauer ist «Expedition 2 Grad» nur einer der Schritte auf seinem vielfältigen Weg zwischen Lehre, Bildung und Umwelt. Als Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abteilung «Geography Teacher Training» des Geographischen Instituts bildet er zukünftige Geographie-Lehrpersonen an Maturitäts- und Sekundarschulen aus. Ein besonderes Anliegen ist ihm dabei, die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mit den Auswirkungen auf die Menschen und ihren Lebensraum zu verknüpfen.
Für den Klimawandel und seine Folgen in der Schweiz sei das Schmelzen der Gletscher ein sehr anschauliches Beispiel. Es zeige auf einen Blick, dass sich massiv etwas verändere. «Für uns Alpenvölker sind Gletscher ein Teil unserer Identität. Und entsprechend Sorge bereitet es uns, diese zu verlieren», sagt Linsbauer. Anderswo betrifft der Klimawandel die Menschen und ihre regionale Identität in anderer Form, beispielsweise in Küstengebieten durch den Anstieg des Meeresspiegels oder in nördlichen Regionen durch das Tauen des Permafrosts.
«Letztlich wollen wir den ganzen globalen Zusammenhang vermitteln», sagt Linsbauer. Das Projektteam diskutiert zurzeit die Idee, die Veränderungen in anderen Regionen der Erde mit der für «Expedition 2 Grad» entwickelten Technologie erlebbar zu machen. «Daraus könnten mehrere Scientainment-Module entstehen, die auch an Messen und Ausstellungen präsentiert werden», sagt Linsbauer. Die junge, wie auch die ältere Generation für die langfristigen Auswirkungen des heutigen Verhaltens nicht nur zu sensibilisieren, sondern auch zu konkreten Handlungen anzuleiten, das sei das Ziel. «Vielleicht schaffen wir es eines Tages sogar, dass die Module im Bundeshaus in Bern stehen!»