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Die Digitalisierung verändert unser Leben. Damit die Schulen mit dieser Entwicklung Schritt halten, werden grosse Summen aufgewendet. Ist dieses Geld gut investiert? Dieser Frage war eine vom Alumni-Chapter Erziehungswissenschaft organisierte Podiumsveranstaltung gewidmet, die kürzlich an der UZH stattfand.
Die Referenten – zwei Professoren am Institut für Erziehungswissenschaft der UZH – setzten dabei unterschiedliche Akzente. Während Dominik Petko für einen gezielten und überlegten Einsatz digitaler Geräte und Medien in der Schule warb, kritisierte Roland Reichenbach die forcierte Digitalisierung der Klassenzimmer.
Dominik Petko, Professor für Allgemeine Didaktik und Mediendidaktik, zeigte in seinem Vortrag die Möglichkeiten und Grenzen des sinnvollen Einsatzes elektronischer Medien im Schulunterricht auf. Dabei warnte er vor bildungspolitischem Aktivismus und riet zur Umsicht: «Viele Trends verschwinden ebenso schnell, wie sie aufgetaucht sind», sagte er. Zum Beispiel sei die noch vor wenigen Jahren verbreitete Forderung nach Sprachlabors an den Schulen trotz grosser Anfangsinvestitionen bereits wieder verklungen. Die Labors hätten sich schlicht nicht bewährt.
Die Diskussionen über die Digitalisierung der Schulen zielten häufig an der Sache vorbei, monierte Petko. Die Motive sowohl der Befürworter als auch der Bremser hätten mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung oft wenig zu tun. «Viele Schulen treiben die Digitalisierung voran, ohne dass die Ziele immer ganz klar wären, während sich manche Lehrerinnen und Lehrer dagegen stemmen, weil sie sich persönlich den Anforderungen eines digitalisierten Unterrichts nicht gewachsen fühlen.»
Bei der Einführung neuer technischer Geräte und neuer digitaler Lehrmittel müsse kritisch geprüft werden, ob und inwiefern sie die Unterrichtsqualität verbesserten. «Die Weiterentwicklung der Schulen sollte nicht an den verfügbaren Technologien, sondern an unseren Vorstellungen von gutem Unterricht ausgerichtet werden. Sonst spannen wir den Karren vor das Pferd», sagte Petko.
Indem man Computer im Klassenzimmer aufstelle und den Schülerinnen und Schülern Tablets aushändige, sei noch nichts zur Verbesserung der Unterrichtsqualität getan. Zudem sei das Neueste nicht immer das Beste. Viele Technologien erwiesen sich im Unterrichtszusammenhang als weit weniger innovativ als der äussere Anschein vermuten lasse. Digitale Whiteboards zum Beispiel böten gegenüber herkömmlichen schulischen Medien kaum einen Mehrwert.
Der unüberlegte Einsatz neuer Technologien könne sogar zu einer Verschlechterung der schulischen Leistungen führen. So hätten PISA-Studien gezeigt, dass die häufige Nutzung von Computern mit einem tieferen Leistungsniveau in Mathematik einher gehe, wenn nicht zugleich die Qualität des Computereinsatzes berücksichtigt werde.
Lohnend sei aber der gezielte und überlegte Einsatz von Computern. «Digitale Geräte können den Unterricht anschaulicher, interaktiver, kreativer, kommunikativer, strukturierter und anregender machen», sagte Petko. Nicht anders als bei herkömmlichen Lehrmedien wie zum Beispiel dem Schulbuch komme es auf die fachkundige Anwendung im Unterricht an.
Didaktisch besonders effektiv sei es, wenn Computer von Schülerinnen und Schülern im Projektunterricht verwendet würden – als Hilfsmittel in quasi-realen Situationen. «Ein Computer in der Hand von Lernenden ist ein effektiveres Werkzeug als ein Computer in der Hand von Lehrerinnen und Lehrern», so Petko.
Eine ausgesprochen skeptische Haltung gegenüber der Digitalisierung des Schulunterrichts vertrat auf dem Podium Roland Reichenbach, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der UZH. Lustvoll und polemisch nahm er die Dringlichkeits-Rhetorik aufs Korn, mit der in der Öffentlichkeit allenthalben die digitale Transformation des Erziehungswesens eingefordert wird. Viele dieser Verlautbarungen seien nichts als «warme Luft».
Schulische Bildung sei ein langwieriges Unterfangen, betonte Reichenbach. Elektronische Geräte könnten zwar da und dort helfen, doch sie könnten den Kindern die Mühsal des Lernens nicht ersparen. Die Vorstellung, Smartphones und Google machten das Üben überflüssig, sei falsch. Die Zeit, die ein Kind aufwende, um ein Bild von der Wandtafel abzuzeichnen oder ein Gedicht auswendig zu lernen, sei keine verlorene Zeit.
Das Klassenzimmer müsse ein Raum sein, der die Entwicklung elementarer Fähigkeiten gewährleiste. «Lesen ist eine imaginative Praxis, die innere Ruhe voraussetzt», sagte Reichenbach. Digitale Medien würden das «Ethos der Anstrengung» an den Schulen untergraben, weil sie kurzfristige Erfolgserlebnisse in Aussicht stellten. Biete die Schule keinen Schutz vor den schnelllebigen Verheissungen der digitalen Medien, hätten Kinder aus weniger behüteten familiären Verhältnissen das Nachsehen. Die Folge wäre, dass sich die Bildungsschere zwischen den sozialen Milieus weiter öffne.
Mit Nachdruck plädierte Reichenbach dafür, angesichts der Diskussionen um die Digitalisierung des Klassenzimmers das eigentliche Ziel der schulischen Bildung nicht aus den Augen zu verlieren. Kinder müssten lernen, den Sinn von Informationen zu erfassen und Zusammenhänge zu erkennen. Das brauche Zeit und Geduld. Den Kindern diese Zeit zu geben und ihr Durchhaltevermögen und ihre Konzentrationsfähigkeit zu stärken sei wichtiger, als ihnen den Umgang mit elektronischen Geräten beizubringen.
Der Alltag der Digital Natives sei ohnehin schon von Computern, Apps, Games und Social Media geprägt. «Was Schülerinnen und Schüler digital lernen, lernen sie auch ohne Schule», sagte Reichenbach. Die Schule solle nicht Trends hinterherlaufen, die sich sowieso durchsetzen würden. «Überall Beschleunigung – da muss die Schule nicht noch einen draufsetzen.» Den besten Beitrag zu einer gelingenden digitalen Transformation der Gesellschaft könne die Schule leisten, indem sie den Kindern einen gewissen Schutz vor der Zudringlichkeit digitaler Medien biete, schloss Reichenbach.