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Es war ein bewegtes Jahr, als das Seminar für Filmwissenschaft an der UZH seine Türen öffnete. 1989 fiel die Mauer in Berlin, und mit ihr fielen gesellschaftliche und politische Schranken. Dass das «FiWi» (wie das Seminar für Filmwissenschaft liebevoll genannt wird) gerade im Jahr der deutschen Wiedervereinigung eröffnet wurde, war Zufall. Kein Zufall hingegen war die offene Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Fragen, die am FiWi neben der Filmanalyse, Filmtheorie und Filmgeschichte von Beginn an Platz hatte.
Die erste Professorin Christine N. Brinckmann drehte in New York erfolgreich Experimentalfilme – doch Studierende konnten bei ihr auch zu Hollywood-Filmen forschen. Brinckmann habilitierte zum dokumentarischen «Direct Cinema und Radical Cinema» – und förderte gleichzeitig die Auseinandersetzung mit dem Schweizer Film. – Weitere «Bewegungen, Impulse und Umbrüche» um das Gründungsjahr 1989 beleuchtet die gleichnamige Ringvorlesung zu «30 Jahre Seminar für Filmwissenschaft» in diesem Herbstsemester.
Eine offene, fordernde und fördernde Diskussionskultur pflegen auch die derzeitigen Professorinnen und Professoren Margrit Tröhler, Barbara Flückiger, Fabienne Liptay und Daniel Wiegand. FiWi-Alumna und Festivaldirektorin Seraina Rohrer (siehe Video) ist des Lobes voll, wenn sie auf ihre Studienzeit angesprochen wird: «Ich habe das nirgendwo sonst im Studium erlebt, dass man sich so interessiert für die Überlegungen und Meinungen der Studierenden und so genau Feedback gibt auf eine eingereichte Arbeit.»
Auch international wird das Seminar für Filmwissenschaft geschätzt. Die Anerkennung zeigt sich unter anderem in Form vieler Drittmittel-finanzierter Forschungsprojekte. So erhielten die Professorinnen und Professoren am FiWi unter anderem einen begehrten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats, mehrere Male Fördermittel des Schweizerischen Nationalfonds sowie Unterstützung durch Kommissionen, Wirtschaftspartner (Disney Research Zurich, Sony u. a.) und Stiftungen. Von den erfolgreich akquirierten Drittmitteln profitiert auch der Mittelbau. Aktuell forschen am FiWi 18 angestellte Doktorierende. Einigen gelingt es danach, Stellen an ausländischen Universitäten zu besetzen.
Doch nicht nur Studium und Forschung sind exzellent. Auch wer das Seminar verlässt, hat intakte Jobchancen. Das verbreitete Vorurteil, Filmwissenschaft sei ein brotloses Studium, hat sich in den letzten dreissig Jahren nicht bewahrheitet. Die positive Bilanz hat indirekt auch mit dem eingangs erwähnten breiten Horizont, der das FiWi auszeichnet, zu tun.
«Es hat sich gezeigt, dass die Filmwissenschaftsabsolventinnen und -absolventen im ganzen Kulturbereich gefragt sind», sagt der Geschäftsführer des Seminars für Filmwissenschaft Dr. Matthias Brütsch. «Viele finden Arbeit bei einem Filmverleih, in der Kino-Programmierung, bei einem Filmfestival, in einem Archiv oder einer Dokumentationsstelle, in Museen oder beim Schweizer Fernsehen.» Exakte Zahlen zu den Jobchancen gibt es zwar keine; doch zahlreiche Beispiele erfolgreicher Alumni zeigen, dass man es mit diesem Studium weit bringen kann.
Im Folgenden lesen Sie drei «prototypische» Kurzporträts von erfolgreichen FiWi-Absolventinnen und -Absolventen:
Christian Jungen (46) schrieb 25 Jahre lang Filmkritiken für verschiedene Zeitungen. Dieses Jahr wechselte er von der «NZZ am Sonntag» ans Zurich Film Festival (ZFF). Und damit vom «Traumjob Filmkritiker» zum «ultimativen Traumjob Festivaldirektor», so Jungen. «Ich war schon früh fasziniert vom Festivalbetrieb, den grossen Bühnen, den Schauspielern und Regisseuren, die über ihre Arbeit erzählen, der Spannung in der Luft.»
Der Junge aus einfachen Verhältnissen, der als erster in der Familie studierte (Romanistik, Filmwissenschaft) und doktorierte, liebte den Mainstream und interessierte sich auch für die Rahmenbedingungen, die es braucht, damit grosses Kino entstehen kann. Als Werkstudent arbeitete er im Kino Loge in Winterthur und lernte dort, dass im Kino auch die Kasse stimmen muss. – «Das ZFF begleitete ich vom ersten Tag an, als die Kollegen in der Szene es noch als zu kommerziell belächelten. Bei mir traf der Mix von Mainstream und Autorenkino perfekt meinen Filmgeschmack.» – Die Zeit am Seminar für Filmwissenschaft wurde für ihn zu einer «persönlichen Wende». «Christine Noll Brinckmann schärfte mein Bewusstsein für gestalterische Aspekte wie Kameraeinstellung oder Farbdramaturgie – ohne meine Vorliebe für den Mainstream in Frage zu stellen.
Es herrschte eine total inspirierende und offene Atmosphäre am FiWi. Jeder konnte sich in die Richtung bilden, die ihn faszinierte, und es wurden immer wieder Profis wie der Kameramann von Martin Scorsese zu Werkstattgesprächen eingeladen. Noll Brinckmann und ihr damaliger Doktorand Vinzenz Hediger wurden für mich zu Vorbildern, wie man Leute gut führen kann; extrem fordernd und gleichzeitig mütterlich sanft und unterstützend holte sie das Beste aus mir heraus.»
Die Filmwissenschaftlerin Seraina Winzeler (39) zog es nach einem Praktikum beim Zurich Film Festival zur Filmarchivierung. «Die Festivalarbeit war interessant und gab einen super Einblick in die Filmbranche. Ich hatte aber ein filmhistorisches Interesse und Lust, mich länger in Themen zu vertiefen; zudem interessierten mich Fragen der Geschichtsschreibung und der Überlieferung, die sich ja beim Film als recht fragiles Medium nochmals zugespitzt stellen.»
Ihren Master schrieb sie denn auch über dokumentarische und experimentelle Filme, die mit Archivbildern arbeiten. Seit vier Jahren hat sie eine der äusserst seltenen Stellen im klassischen Archivbereich inne: Sie leitet die Dokumentationsstelle des Zürcher Ablegers der Cinémathèque suisse. «Wir sammeln Quellen zur Schweizer Filmgeschichte und Dokumente zur Filmszene. Das können Nachlässe von Regisseuren wie jener von Peter Liechti sein oder digitales Presse- und Promotionsmaterial zu neuen Schweizer Filmen.
Derzeit übernehmen wir gerade das leider nur fragmentarisch erhaltene Archiv der Praesens Film, die 1924 gegründet wurde; darin hat es unter anderem Drehbücher und Fotografien.» Die Praesens Film ist einzigartig in der Schweiz, deshalb ist die Digitalisierung ihrer Dokumente vorgesehen. Seraina Winzeler arbeitet eng mit dem FiWi zusammen. Sie stellt die Quellen für die Forschenden bereit, und aktuell gibt sie mit Prof. Margrit Tröhler ein Seminar zur Zürcher Filmgeschichte. «Weil meine Arbeit nah bei der Forschung ist, kann ich eigentlich alles, was ich am FiWi gelernt habe, gut gebrauchen.»
Joël Jent (36) produzierte schon während seines Studiums (Politik- und Filmwissenschaft) mit Kollegen Filme, unter anderem den Dokumentarfilm «Kings of the Gambia». Damit fiel er dem Zürcher Regisseur Samir auf, der ihn in seine Produktionsfirma Dschoint Ventschr holte. «Als Produzent bin ich quasi der Vater eines neuen Films», sagt Jent, «ich begleite den Regisseur über viele Jahre hinweg, von der Entwicklung der ersten Idee über die Finanzierung und das Zusammenstellen der Filmcrew bis zur Auswertung und Archivierung.»
Inhaltlich engagiert er sich für sozialpolitische Themen wie Cross Culture und Migration. «Am besten gefällt mir, dass ich an wichtigen gesellschaftlichen Diskursen teilnehmen kann, spannende Leute kennenlerne und in Lebensbereiche, Regionen und Themen hineinsehe, die mir sonst verschlossen blieben.»
Eine gute Basis gelegt hat sein Filmstudium: «Vor allem die Recherche- und Analysefähigkeit, aber auch der Schreibstil, die Rhetorik und die Lust an der Diskussion wurden am FiWi gefördert.» Geschätzt hat er insbesondere Prof. Barbara Flückiger, die auch praktische Erfahrung mit Film hat: «Sie war herzlich, aber trotzdem streng, und hat uns fachlich immer wieder aus den Socken gehauen. Sie verstand es, ihre Leidenschaft für ein Thema auf uns Studentinnen und Studenten zu übertragen und uns gleichzeitig herauszufordern und anzuspornen.»
2016 wurde Joël Jent in Cannes zum «Producer on the Move» ernannt und damit in den Kreis der besten europäischen Produzenten aufgenommen.