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Epigenetik

Vererbte Traumata

Traumatische Erlebnisse direkt nach der Geburt verändern die Erbanlagen, die an die Nachkommen weitergegeben werden, bis in die vierte Generation. Dies konnte Neuroepigenetik-Professorin Isabelle Mansuy nachweisen.
Valeria Heintges
Die Neuroepigenetikerin Isabelle Mansuy erforscht, wie die Auswirkungen von Traumata über mehrere Generationen weitergegeben werden. (Bild: zVg)

 

Seit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms hat sich in der Forschung viel getan. Erst stellte sich heraus, dass die Gene nur rund ein Prozent der DNA ausmachen; den Rest bezeichnete man als «Schrott-DNA». Dann zeigte sich, dass diese «Schrott-DNA» steuert, ob bestimmte genetische Schalter an- oder abgeschaltet werden. Epigenetiker, die diese Mechanismen erforschen, fanden heraus, dass auch Umwelteinflüsse für ein solches An- oder Abschalten sorgen können.

Nach traumatischen Erlebnissen etwa verändert sich der ganze Körper: das Gehirn, die Organe, aber auch das Erbgut in Spermien und Eizellen. Isabelle Mansuy, Professorin am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich und an der ETH Zürich, konnte jetzt mit Mäusen zeigen, dass solche Veränderungen nach Traumata in der Kindheit über Sperma bis in die vierte Generation vererbt werden. «Wir arbeiten derzeit an der fünften Generation», sagt Mansuy, «es sieht ganz so aus, als würden sich manche Symptome auch da zeigen.»

Gestörter Stoffwechsel

In grossangelegten Experimenten wurden Mäusejunge in den ersten zwei Wochen in unregelmässigen Abständen von der Mutter getrennt und auch die Mutter während der Trennung Belastungen ausgesetzt. Dieses Trauma hatte psychische Folgen wie Depression oder eine veränderte Risikofreudigkeit. So zeigten die Mäuse weniger Scheu vor offenem Licht, waren unsozial oder konnten komplexe Aufgaben schlechter meistern als Tiere der Kontrollgruppe. Das Trauma hatte auch physische Folgen im Stoffwechsel, die etwa zu Hypoglykämie – niedrigem Blutzuckerspiegel – oder anderen metabolischen Störungen führte.

Während Depression in der vierten und wohl auch in der fünften Generation nicht mehr nachweisbar ist, sind Risikofreudigkeit und Hypoglykämie deutlich zu erkennen. «Wir haben eine kleinere Studie bereits vor zehn Jahren durchgeführt», sagt Mansuy, «aber wir sind jetzt in einer viel grösseren Studie mit bis zu 124 Mäusen grossen Kohorten zu denselben Ergebnissen gekommen.»

Heilsame Umgebung

Mansuy konnte aber auch nachweisen, dass eine angenehme Umgebung im späteren Leben die Krankheiten mildern und den epigenetischen «Gen-Schalter» sogar abschalten kann; die Schaltung wurde auch nicht mehr an die Nachfahren vererbt. «Dafür hatten unsere Mäuse Laufräder, kleine, bekletterbare Häuschen und ein Labyrinth», sagt Mansuy, «also wirklich viel Spass.» Derzeit untersucht das Team in einer grösser angelegten Studie, ob auch andere epigenetische Veränderungen rückgängig gemacht werden können.

Die Ribonukleinsäuren (RNA) tragen als Kopie der DNA deren Informationen aus den Zellkernen heraus und sind die Träger eines Teils der epigenetischen Veränderungen im Sperma. Bisher war man davon ausgegangen, dass lediglich die kurzen Micro-RNA, die aus 22-25 Nukleotidenketten bestehen, diese Informationen tragen.

Zusammen mit Forschern der Universität Cambridge konnte Isabelle Mansuys Team aber beweisen, dass auch die langen RNA mit über 200 Nukleotidenketten Informationen weitergeben. Es zeigte sich, dass nur dann, wenn kurze und lange RNA zusammen injiziert werden, der Nachwuchs die meisten Symptome der traumatisierten Väter zeigt. Wurden nur lange RNA übertragen, zeigte sich verändertes Risikoverhalten, Hypoglykämie und metabolische Störungen, bei nur kurzer RNA Depression. So war es bei den Mäusen. Und wie ist das beim Menschen? Mansuy: «Es gibt keinen Grund, warum das bei uns nicht auch so sein sollte.»