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Die Digitale Demokratie hat in der Schweiz längst Einzug gehalten in den politischen Alltag. Immer mehr Kantone bieten das Abstimmen und Wählen per Internet an, Petitionen können online lanciert werden, Online-Wahlhilfen wie smartvote werden rege zur Meinungsbildung genutzt. Die Forderung nach einem weiteren Schritt in Richtung Digitalisierung der direkten Demokratie steht im Raum: das elektronische Sammeln von Unterschriften.
Wie wirken sich diese Entwicklungen auf die Demokratie in der Schweiz aus – eine Demokratie, die stark von Sachabstimmungen geprägt ist? Vor allem die Kombination der genannten Anwendungen führt in unbekanntes Terrain. Das Abstimmen per Internet mag als Sicherheitsrisiko wahrgenommen werden, hat per se jedoch keinen grossen Einfluss auf die persönliche Meinungsbildung. Sobald es mit Online-Wahlhilfen verknüpft ist, hingegen schon. Je nach den verwendeten Einstellungen und Algorithmen der Online-Wahlhilfe entscheidet sich, ob Kandidierende bei einer Wahl noch auf der Liste stehen oder knapp nicht mehr.
Für sich alleine mögen elektronische Petitionen harmlos erscheinen, in Kombination mit einem Dienst für das elektronische Sammeln von Unterschriften allerdings nicht mehr. Digitale Unterstützungen einer Petition entsprechen in der Schweiz potentiell elektronischen Unterschriften, die eine Abstimmung auslösen können. Will heissen: Wir stehen zwar nicht mehr ganz am Anfang der Veränderungsprozesse, müssen aber mit noch weiterreichenden Konsequenzen der Digitalisierung rechnen, sobald sich diese Applikationen über digitale Schnittstellen automatisch verknüpfen lassen.
Bei der Frage nach den Auswirkungen von Internetanwendungen auf das politische Geschehen und die Demokratie müssen wir uns vor Augen halten, dass es sich hierbei um vielschichtige Phänomene handelt. Was ist konkret angesprochen, wenn wir von Politik oder Demokratie sprechen? Sind es politische Meinungsbildung oder das Erlangen und Ausüben von Macht? Sind es das Agenda Setting, der Ablauf politischer Entscheidungsprozesse oder meinen wir gar die Spielregeln der Demokratie? Abhängig davon stellen sich die brennenden Fragen jeweils ganz anders.
Für die Forschung ist die Lage in jedem Fall kompliziert. Einerseits gilt es Persönlichkeitsrechte und Datenschutz zu respektieren, andererseits gehören die im Internet hinterlassenen Spuren zu einem grossen Teil privaten Unternehmen. Bis anhin lag der Fokus der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion bei den staatlichen Instanzen, den Medien und dem einzelnen Bürger.
Noch wenig Beachtung findet die Frage, was das Internet an den Scharnieren einer demokratischen Gesellschaft bewirkt. In einer voll ausgebauten digitalen Demokratie droht der ganze intermediäre Sektor der organisierten Interessensvermittlung wegzubrechen. Dabei bilden Parteien, Vereine, Verbände, Stiftungen und Genossenschaften den eigentlichen Nährboden einer Demokratie.
Sie würden ihre Bedeutung verlieren, denn im Internet sind Traffic, Klicks und elektronische Adressen die eigentlichen Währungen. In einer Internet-Demokratie sind Webseiten mit hohen Besucherfrequenzen die neuen einflussreichen, politischen Akteure, nicht Parteien und Verbände. Wenn einem als politische Gruppierung beispielsweise Verkehrspolitik ein wichtiges Anliegen ist, kauft man sich am besten einen Zugang zu einer populären Webseite eines Autohändlers. Dort lassen sich elektronische Unterschriften direkt sammeln oder man führt die Besuchenden von dort zu einer e-Collecting Webseite. Politische Mobilisierung findet dort statt, wo die Menschen sind, und die sind in einer digitalen Demokratie auf Webseiten effizienter ansprechbar als auf der Strasse.
Digitale Demokratie kann auch als politische Strategie interessant sein, vor allem für diejenigen, die den Staat und gleich die ganze etablierte Politik mit Parteien, Verbänden und Interessenorganisationen so weit wie möglich zurückbinden oder ganz entsorgen möchten. Angestrebt wird eine noch direktere direkte Demokratie. Eine forcierte Digitalisierung kann zudem weniger Internet-affine Parteien benachteiligen. Umgekehrt gibt es aber auch Befürworter digitaler Demokratie, die mit Internet-basierten Anwendungen dem Staat zu inhaltlich oder demokratisch besseren Entscheiden verhelfen möchten – etwa, indem die Weisheit der Masse genutzt wird.
Die Interessenlagen könnten also unterschiedlicher nicht sein. Während die einen mit einer forcierten Digitalisierung der Politik den Staat am liebsten abschaffen möchten, wollen ihn andere zusätzlich befähigen und stützen.
Um die neuen Möglichkeiten einer digitalen Demokratie konstruktiv nutzen zu können, muss man ausgetretene Pfade ein Stück weit verlassen und über den Tellerrand hinausblicken. Demokratische Prozesse der analogen Welt eins zu eins digital abzubilden, führt nicht sehr weit. Hier seien drei Möglichkeiten angerissen:
Wie verändert das Internet unsere Gesellschaft? Wie verändert es unseren Staat? Konsequent umgesetzt machen digitale Anwendungen die Politik in einem Umfeld sozialer Medien insgesamt unberechenbarer und offener für Einflüsse von aussen. Während die Demokratie an Nationalstaaten oder andere Territorien gebunden ist, gilt das für das Internet nicht.
Wir sollten den negativen Entwicklungen entgegentreten und die Chancen einer digitalisierten Politik nutzen. Dazu gilt es, sich über gewisse Fragen zu verständigen – wie es die Digital Society Initiative der Universität Zürich in einem Manifest fordert. Insbesondere ist zu fragen: Was soll der Staat, was soll die Zivilgesellschaft tun und was überlassen wir dem Markt?