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Im ersten Stock eines modernen Glas- und Beton-Baus im Bio-Technopark in Schlieren forscht Anita Rauch. Hier empfängt sie in ihrer Sprechstunde auch Patientinnen und Patienten. Rauch ist Direktorin des Instituts für Medizinische Genetik der UZH.
Schon während des Medizinstudiums hatte sie den Drang, herauszufinden, weshalb jemand überhaupt krank wird und weshalb Krankheiten ganz verschieden verlaufen und Patienten unterschiedlich auf Therapien ansprechen. Die Genetik war da genau das Richtige.
Als sie 1994 ihr Studium abschloss, begann die Forschung auf diesem Gebiet abzuheben. Doch die Enträtselung des menschlichen Genoms galt damals noch als Projekt für Träumer. Wie wir mitlerweile wissen, sind diese Träume schneller als erwartet Wirklichkeit geworden. Seit 2003 gilt die Bibliothek des menschlichen Lebens als entschlüsselt.
Die Genetik konnte auch auf anderen Gebieten grosse Erfolge feiern. «Anfang der 1990er-Jahre kannte man bei Kindern nur für eine Handvoll genetisch bedingter Krankheiten die molekulare Ursache, heute sind es rund 3000», sagt Anita Rauch. Ein ähnlich rasanter Wissenszuwachs ist bei Krankheiten im Erwachsenenalter festzustellen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entdecken immer mehr Zusammenhänge zwischen Gendefekten – so genannten Mutationen – und Krankheiten. Und sie können diese Erkrankungen immer besser interpretieren.
«Das Wissen darüber, welche Genmutation welches Krankheitsbild macht, ist in den letzten Jahren exponentiell gewachsen», sagt Rauch. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für differenziertere Diagnosen und in der Folge für gezieltere Therapien. Die präzisen Diagnosen sind ein Etappensieg auf dem Weg zu einer möglichst massgeschneiderten Behandlung, sagt Rauch.
So weiss man heute beispielsweise, dass Tumoren nicht so einheitlich sind, wie man lange angenommen hat. Krebsgeschwüre bestehen aus verschiedenen Teilen, in denen sich entartete Zellen mit unterschiedlichen Mutationen ansammeln und auch andere Veränderungen des Gewebes festzustellen sind. Diese Eigenschaften können die Forscher nun detailliert unter die Lupe nehmen.
Und nicht nur das: Sie können sogar einzelne Zellen ins Visier nehmen und ihre Rolle bei der Entwicklung von Krebs analysieren. Für die Arbeit an neuen und besseren Therapien eröffnet dieses Wissen aus der Grundlagenforschung ganz neue Perspektiven. «In zehn Jahren werden wir uns in der Klinik ein differenziertes Bild eines Tumors und seiner Ursachen machen können», sagt Anita Rauch, «wir werden aber auch sagen können, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass er Ableger – Metastasen – bildet und mit welcher Therapie er erfolgreich bekämpft werden kann.»
Bereits heute kann die Medizinische Genetikerin auf Grund ihrer Analysen Hinweise für gezieltere Behandlungen geben. Vor 15 Jahren war die Genomsequenzierung, die Aufschlüsselung unseres individuellen genetischen Profils, das aus rund drei Milliarden Einheiten besteht, noch unglaublich aufwändig.
Das hat sich geändert: Heute kann eine solche Analyse in relativ kurzer Zeit und vergleichsweise günstig durchgeführt werden. Rauch untersucht mit ihrem Team beispielsweise Blutproben von Brustkrebspatientinnen. Je nach Tumortyp findet man heute bei bis zu 15 Prozent dieser Patientinnen eine angeborene Mutation in den Brustkrebs-Genen, die für die Krankheit verantwortlich ist. Am häufigsten sind die Gene BRCA1 und BRCA2, die durch die Schauspielerin Angelina Jolie auch in der breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden.
Die effizienten Gentests aus Rauchs Labor wirken sich auch auf die Therapie aus. Eine Möglichkeit, Brustkrebs zu bekämpfen, ist eine Bestrahlung des Tumors. Mutationen in den zuständigen Genen führen jedoch dazu, dass bei einer Bestrahlung im Körper ein Reparatursystem aktiviert wird, das die Tumorzellen schützt. Wenn man weiss, dass diese Mutationen vorliegen, kann der unerwünschte Schutzmechanismus mit einem Medikament, einem so genannten PARP-Inhibitor, ausgeschaltet werden. «Dadurch verringert sich die benötigte Strahlendosis», sagt Anita Rauch, «das Gewebe wird geschont und der Krebs wird trotzdem wirksam bekämpft.»
Ein wichtiges Thema in Anita Rauchs Sprechstunde am Institut für Medizinische Genetik ist die individuelle Krankheitsprävention. «Eine gute Therapie ist viel wert», sagt die Ärztin, «noch besser ist, wenn man sie gar nicht braucht.» In ihrer Sprechstunde sieht sie beispielsweise Frauen, in deren Familie gehäuft Fälle von Brustkrebs auftreten. Wenn aufgrund genetischer Veränderungen ein hohes Risiko besteht, kann häufiger kontrolliert und auch schon bei jungen Patientinnen beispielsweise jährlich eine Magnetresonanztomografie gemacht werden. Das erlaubt, krankhafte Veränderungen schon früh festzustellen und dadurch besser und schonender zu bekämpfen. In klinischen Studien wird derzeit auch erprobt, wie das Risiko für die Tumorentstehung bei Trägerinnen solcher Mutationen verringert werden kann. «Auch bei anderen vererbten Krebsrisiken kann eine intensive individuelle Vorsorge lebensverlängernd sein», sagt Rauch.
Vielversprechend für die Medizin der Zukunft ist für Anita Rauch die Initiative des Swiss Personalized Health Network (SPHN), dessen Leitungsausschuss sie angehört. Ziel ist, Gesundheitsdaten aus Labors und Kliniken in der ganzen Schweiz so aufzubereiten, dass sie – das Einverständnis der jeweiligen Patienten vorausgesetzt – gebündelt für die Forschung verwendet werden können. Damit wird man langfristig auch die Behandlung verbessern.
«Wenn wir die Daten aller Patienten in der Schweiz zusammennehmen, die einen bestimmten Tumor und die gleiche Therapie haben, und all diese Fälle vergleichen und detailliert analysieren, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir neue Zusammenhänge erkennen», sagt die Forscherin. Der Datenschatz, der durch das SPHN in den nächsten Jahren verfügbar wird, soll die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf neue Ideen bringen und überraschende Hypothesen für die Grundlagenforschung generieren. Das könnte der Forschung einen enormen Schub verleihen und die Erfolge in der Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten weiter erhöhen.