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Bernie Madoff kommt die zweifelhafte Ehre zu, als erster globaler Betrüger in die Geschichte dieses Planeten einzugehen. Als das FBI den bis dahin hochangesehenen Finanz- und Börsenmakler 2008 verhaftete, hatte er die Kunden seiner Vermögensverwaltungsfirma mit einem Schneeballsystem um rund 50 Milliarden US-Dollar geprellt. Etwa drei Millionen Menschen weltweit waren direkt oder indirekt vom Schaden betroffen. Die Finanzkrise hatte – zumindest moralisch – ihren Tiefpunkt erreicht.
Florian Scheuer forschte damals am Massachusetts Institute of Technology zu Steuerfragen. «Der Fall Madoff, aber auch die astronomischen Einkommen an der Wall Street und das dumpfe Gefühl von Ungerechtigkeit haben mich motiviert, über die Besteuerung von Spitzeneinkommen nachzudenken», erzählt Scheuer. Seit Anfang 2017 ist der gebürtige Deutsche ordentlicher Professor für Ökonomie in Zürich. Was ist optimale Steuerpolitik? Wann ist sie gerecht, wann ungerecht? Scheuer sucht volkswirtschaftliche Antworten.
«Am Anfang steht für mich die Frage, ob Leute auf Kosten anderer verdienen», sagt Scheuer. Im Verlauf seiner Arbeit hat er bei Spitzenverdienern drei Kategorien ausgemacht: die Abzocker, die Profiteure und die Superstars – um es mal grob zu formulieren. Zur ersten Kategorie gehören beispielsweise CEOs, die Mandate in mehreren Verwaltungsräten innehaben und sich gegenseitig Kompensationsverträge zuschanzen. «Sie verhandeln ihre Saläre auf Kosten der produktiv Tätigen und damit letztlich auf Kosten der Volkswirtschaft.» Die Ökonomen nennen die Abzocker «rent seekers». Statt mitzuhelfen, den wirtschaftlichen Kuchen zu vergrössern, schneiden sich «rent seekers» Stücke vom vorhandenen Kuchen ab. Das ist ungerecht – nicht nur aus moralischer, auch aus volkswirtschaftlicher Sicht. «Hier», sagt Scheuer, «ist es zweifellos fruchtbar, Spitzensteuern zu erheben.» Dadurch sinkt der Anreiz für solche Tätigkeiten, und durch finanzielle Umverteilung steigen die Löhne jener, die produktiv am Kuchen mitbacken.
Die zweite Kategorie bilden Börsenhändler, die sich auf den Hochfrequenzhandel spezialisiert haben. Dank Internet reagieren sie umgehend auf kleinste Preis- und Währungsschwankungen und generieren so Einkommen. «Da geht es nicht um Sekunden, da geht es um Nanosekunden», sagt Florian Scheuer. Hochfrequenzhändler investieren denn auch in immer bessere Infrastruktur – extrastarke Rechner, ultraschnelle Glasfaserleitungen – und mieten teure Büros in unmittelbarer Nähe zur Börse, um Datenwege kurz zu halten.
«Für die Volkswirtschaft ist das alles völlig nutzlos», sagt Florian Scheuer. Wie also diesem Tun den Riegel schieben? Die Gewinne hoch besteuern wie jene der CEOs? «Das wäre in diesem Fall sogar kontraproduktiv», warnt Scheuer. Dränge man die erfolgreichen Hochfrequenzhändler mit hohen Steuern aus ihrem Job, rückten sogleich andere nach, die man auf diese Weise dem produktiven Markt entzöge. «Statt hoher Steuern braucht es im Hochfrequenzhandel Regulierung. Der Staat könnte zum Beispiel anordnen, dass der Stock Exchange nur noch im Minutentakt zugänglich ist. Der Wirtschaft erwachsen dadurch keinerlei Nachteile.»
Die dritte Kategorie ist jene der sogenannten Superstars. Das sind die ganz Grossen unter den Managern, jene also, die dank stetig wachsender Märkte und Unternehmen weit mehr Heil oder Unheil anrichten können, als es Manager vor zwei Jahrzehnten noch konnten – genau wie Tankerkapitäne, deren Schiffe heute zehnmal mehr Öl transportieren als früher. Das Problem: Um ans Steuer eines Grosskonzerns zu kommen, muss ein Manager ein paar wenige Prozente besser sein als seine Mitbewerber. Mit seinem Unternehmen ist er dann allerdings zehnmal produktiver als jene kaum weniger fähigen Managerkollegen, die «normale» Firmen führen. Ist es gerechtfertigt, wenn der zehnmal produktivere Superstar auch das Zehnfache verdient?
Volkswirtschaftlich gesehen ja, denn die Hebelwirkung des Superstars, die Auswirkungen seiner Entscheidungen seien auch zehnmal grösser, so Scheuer. Kann man Superstars dann wenigstens maximal besteuern und das Geld «nach unten» umverteilen? Nein, sagt Florian Scheuer, denn mit maximalen Steuersätzen schiesse man der Volkswirtschaft in den Rücken. In Grossunternehmen sei die Hebelwirkung nämlich auch dann zehnmal grösser, wenn hohe Besteuerung Demotivierung und Führungsschwäche in den Chefetagen auslöse. «Letztlich trifft es dann jene, die weiter unten in der Einkommensverteilung die Folgen zu spüren bekommen», sagt Scheuer.Die Erfahrung in den USA hat gezeigt, dass der Steuersatz für Spitzeneinkommen, der die Steuereinnahmen für den Staat maximiert, bei etwa 60 Prozent angesiedelt ist. Spielen allerdings Superstar-Effekte eine Rolle, sollte er 40 Prozent nicht überschreiten.
Das heisst freilich nicht, dass Superstars weniger Steuern bezahlen als Wenigverdiener; die Progression schafft hier bekanntlich den Ausgleich. Es gilt jedoch, die Progressionskurve so zu legen, dass auch Grossunternehmen noch produktiv arbeiten und der Volkswirtschaft einen Nutzen bringen können.
Ungerechtigkeit, so Scheuer, lasse sich ohnehin nicht nur am Lohngefälle, sondern vor allem auch an der Chancenungleichheit festmachen. «Die meisten Menschen sind sich darüber einig, dass Chancengleichheit eines der primären Ziele sein muss. Was jeder und jede aus seiner Chance macht, kann man dann je nach politischer Präferenz als gerecht oder ungerecht empfinden.» Auch in der Schweiz wäre dieser Ansatz angebracht, ist es um die Chancengleichheit doch gar nicht so gut bestellt: Die Statistik zeigt, dass Menschen mit finanzschwacher und bildungsferner Herkunft hierzulande geringere Chancen auf einen Beruf mit hohem Einkommen haben als in anderen Ländern.
Mit der Steuerpolitik allein lasse sich die Welt nicht gerechter machen, bilanziert deshalb Florian Scheuer. Für eine langfristige Entwicklung weg von Abzockern, Profiteuren und Superstars bedürfe es allem voran einer Bildungspolitik, die Chancengleichheit fördere. «Mit ungleichen Chancen wird der Grundstein für spätere Ungerechtigkeit gelegt. Und diese lässt sich mit Steuern und Regulierung nur noch begrenzt ausgleichen.